Finis Germaniae: Mit Sicherheit!

Nr. 34 –

Das Leben in der Berliner Republik begann mit einer riesigen aufblasbaren Coca-Cola-Flasche. Und es wurde nicht besser.

Ich muss Sie, liebe LeserInnen, gleich warnen: Die Berliner Republik ist nicht zum Lachen. Darüber kann auch Jan Böhmermann nicht hinwegtäuschen. Das zeichnete sich schon von Anfang an ab. Ich war exakt am Tag ihrer Gründung, am 3. Oktober 1990, frühmorgens in einem alten Opel Kadett in ein Berlin mit zerbröselter Mauer umgesiedelt. Auf der Wiedervereinigungsfeier am selben Tag, nachmittags Unter den Linden, stach mir eine sechs Meter hohe aufblasbare Coca-Cola-Flasche ins Auge. Das fängt ja nicht so gut an, dachte ich. Und es wurde auch nicht besser.

Die Bundeswehr zieht seit 1999 wieder selbstverständlich in kriegerische Auslandseinsätze. Im «Sommermärchen» bei der WM 2006 gewöhnten sich die Deutschen wieder das Fahnenschwenken an. Und die rechten Umtriebe, die BRD und DDR noch einigermassen unter dem Deckel halten konnten, entfalten sich längst ganz ungeniert. Natürlich ist es nicht der NSU-Komplex, der die deutsche Volksseele zum Kochen bringt, sondern ein Riot, wie er sich kürzlich beim G20-Gipfel im Hamburger Schanzenviertel ereignete. Ein kleiner Riot, bei dem Londoner, Pariserinnen und Athener nur müde lächeln würden. Aber gross genug, dass auch die bürgerliche Mitte den alten deutschen Antikommunismus wieder in sich lodern fühlt.

Merkel, diese Sphinx

Geschickt eingefädelt hat diese jüngste Wendung Angela Merkel, als sie Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, einen Sozialdemokraten, mit dem Gipfel beschenkte. Der SPD steckt ja immer noch in den Knochen, dass sie einst als Vaterlandsverräterin galt. Scholz orderte ein Polizeiaufgebot in der Stärke einer Nato-Division, aber es half nichts, es brannte trotzdem. Die SozialdemokratInnen können einfach keine innere Sicherheit. Und schon ist der Wahlkampf gelaufen, der einzige ernsthafte SPD-Kanzlerkandidat für 2021 gleich mit verbrannt. In Strategie ist Merkel 1a. Diese Sphinx.

In der Regel versteht sie es meisterhaft, den wahren Charakter der Republik zu verbergen. Sie macht sich immer mal wieder klassisch linke Projekte zu eigen, etwa den Atomausstieg. Das war 2011 nach Fukushima, in Wahrheit war es ein Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg, den sie ein halbes Jahr zuvor verkündet hatte. Oder die Parole «Refugees Welcome», der sie sich 2015 anschloss, um dann in vielen kleinen Schritten gleich wieder die Kehrtwende einzuleiten, bis zur jüngsten Welle der Ausschaffungen nach Afghanistan, für Merkel und viele Deutsche ein sicheres Herkunftsland.

Nur einmal hat sie aufblitzen lassen, was wirklich Sache ist in dieser Berliner Republik. Das war in der Haushaltsdebatte im Bundestag im September 2016. Da sagte Merkel, die Grundwerte der Bundesrepublik seien «Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit, Solidarität». Solche Aufzählungen klingen ja immer historisch, gar ein bisschen nach Französischer Revolution. Das macht sich gut in Zeiten, in denen inhumane Ideologien aus dem Boden schiessen. Aber halt, die Revolutionäre von 1789 hatten doch auch Gleichheit gefordert. Tja, weg ist sie, die Gleichheit. Dafür bekommt die Republik Sicherheit.

Ein schönes Souvenir

Und die nicht zu knapp. Bei Telefonüberwachungen ist Deutschland europäischer Spitzenreiter. Pünktlich zum G20-Gipfel wurde das Versammlungsrecht geändert, ein versehentlicher Körperkontakt mit einem Polizisten kann nun als versuchter Angriff gewertet werden. Am ersten Gipfeltag winkte der Bundesrat unbemerkt ein Gesetz durch, nach dem nun auch Vorladungen der Polizei nachzukommen ist. Das gab es vorher nicht. Und Bayern verabschiedete kurz nach dem Gipfel ein Gefährdergesetz, das die «Unendlichkeitshaft» (Heribert Prantl in der «Süddeutschen Zeitung») für krumme Gedanken einführt. «Sicherheit ist, letzten Endes, ein totalitärer Begriff», sagte mir kürzlich Thomas Fischer, liberaler Bundesrichter a. D. Sicherheit ist die Raison d’être der Berliner Republik.

Baulich orientiert sie sich an der Kaiserzeit. Unangenehm genug, dass das Kanzleramt bereits höher als das Parlament, das Reichstagsgebäude, ist. 2019 wird nun die Rekonstruktion des alten preussischen Berliner Stadtschlosses fertig sein. Eingeweiht wird es nicht von einem Bundeskanzler Martin Schulz, sondern von Merkel – mit Sicherheit.

Von der Wiedervereinigungsfeier habe ich immerhin ein schönes Souvenir. Jemand drückte mir das «Kommunistische Manifest» in die Hand, darauf gestempelt: «Gut aufbewahren. 3. Oktober 1990». Als Erinnerung an eine andere Republik, die es nie geben konnte.

Niels Boeing ist Journalist und Buchautor in Hamburg-St. Pauli. Er ist dort auch im Recht-auf-Stadt-Bündnis aktiv.