Frauen in der Politik: Leerstelle Heilsbringerin

Nr. 38 –

Ob Jeremy Corbyn, Pablo Iglesias oder Alexis Tsipras: Wo progressive linke Politik gemacht wird, stehen stets Männer an der Spitze. Eine Intervention.

Sexismus in der Linken konkret: Nicht einmal bemerken, dass die Hoffnung immer nur auf Männer projiziert wird. Foto: WOZ; Montage: WOZ

Es ist noch nicht lange her, da galt Alexis Tsipras als grosse Hoffnung der europäischen Linken. Und der jung-dynamische griechische Ministerpräsident inszenierte sich selbst gerne im hochgekrempelten weissen Hemd – als jemand, der zupacken kann, wenn es darauf ankommt und das Land gerettet werden muss. Die Faust stets kämpferisch in die Luft gereckt, galt Tsipras in Zeiten von knallharter Austeritätspolitik weithin als Inbegriff progressiver Politik.

Umso ernüchternder, zumindest aus feministischer Sicht, war deshalb die Zusammensetzung des ersten Syriza-Kabinetts nach dem Wahlerfolg der Partei im Januar 2015: Unter den neuen Regierungsmitgliedern befand sich keine einzige Frau, stattdessen dezidiert virile Figuren wie Yanis Varoufakis, ein Ökonomieprofessor ohne Politikerfahrung. Gockelgehabe statt Gleichstellung – dies war offenbar das Motto der Partei und ihres Vorsitzenden.

Kritik an dieser wenig progressiven Auswahl kam damals fast ausschliesslich von Frauen: etwa vom Alice-Schwarzer-Magazin «Emma», das Tsipras für seinen Entscheid kurzerhand zum «Pascha des Monats» erkor. Oder aus Spanien, wo die Podemos-Politikerin Clara Serra den Verzicht auf Frauen im Kabinett als «rote Linie» bezeichnete, die nicht überschritten werden dürfe. Und auch die Soziologin Athena Athanasiou hatte für solch patriarchales Gebaren wenig übrig. «Die Geschlechterpolitik wird leider auch innerhalb der Linken als sekundäre Frage, als Luxus oder folkloristische Sache betrachtet», wird die griechische Feministin in einem Buch über den Aufstieg und das Scheitern von Syriza zitiert.

Rechte Frau in Sicht

Bei genauem Hinschauen ist Tsipras mit seiner Ignoranz jedoch nicht allein. Auch bei anderen Hoffnungsfiguren der neuen europäischen Linken steht es schlecht um die Frage der Gleichstellung. Ob Jeremy Corbyn in Britannien, Pablo Iglesias in Spanien oder Jean-Luc Mélenchon in Frankreich: Unter den Heilsbringern der Neuen Linken ist weit und breit keine Frau in Sicht. Das, was der französische Soziologe Pierre Bourdieu vor nunmehr zwanzig Jahren als «männliche Herrschaft» beschrieb, die keiner Rechtfertigung bedarf, weil sie strukturell abgesichert ist, gilt auch im Jahr 2017. Stellt sich bei linken Parteien oder Bewegungen die Machtfrage, ist selten eine Frau in der Favoritinnenrolle.

Erfolgreiche Frauenförderung scheinen hingegen die Rechtsnationalisten zu betreiben. Obwohl Frauke Petry im Kampf um die Parteispitze letztlich unterlag, ist sie neben Alice Weidel das nette Gesicht der AfD. Marine Le Pen hat es geschafft, den eigenen Vater vom Parteithron zu stossen und den Front National mit neuem Ruf zum Erfolg zu führen. In Polen ist Beata Szydlo von der rechtskonservativen Partei für Recht und Gerechtigkeit Ministerpräsidentin, in der Schweiz repräsentiert Natalie Rickli eine SVP in modernem Gewand.

Die Frauen stehen an der Spitze von Parteien, die allesamt für ein rückwärtsgewandtes Frauenbild eintreten, sind letztlich nichts anderes als die Postergirls eines Imagewandels, den ihre Parteien mit einer simplen Gleichung forcieren: Weiblicher bedeutet harmloser und schlussendlich auch anschlussfähiger. So werden rechtsnationale Hoffnungsträgerinnen zu Weichzeichnerinnen einer radikal antifeministischen Politik.

Wo bleibt die Begeisterung?

Bei der europäischen Sozialdemokratie ist es mit der Frauenförderung schon viel schwieriger. Der sogenannte Dritte Weg hat nicht zuletzt auch die Überzeugung beflügelt, dass Frauenförderung kein primäres Ziel sozialdemokratischer Politik mehr zu sein habe, weil Frauen in Regierungen und hohen Parteikadern sowieso selbstverständlich seien. Das Problem dieser Auffassung: Während der Karrierefeminismus Frauen per Quote in die Chefetagen hievte, ging der Ruf nach Frauenförderung in der Politik unter. Oder wäre es je denkbar gewesen, dass statt Martin Schulz eine SPD-Frau praktisch einstimmig zur Spitzenkandidatin gewählt worden wäre? Profitiert hat in Deutschland von so viel Kurzsichtigkeit übrigens eine andere Frau: Angela Merkel.

Die Erkenntnis ist nicht neu: Damit die Politik Hoffnungsträgerinnen hervorbringt, müssen Frauen gezielt gefördert werden. 1986 haben die Grünen in Deutschland in ihrem Frauenstatut festgelegt, dass die Hälfte aller Mandate mit Frauen besetzt werden soll. Dies hat zur Folge, dass der Frauenanteil bei den Grünen und der Linken, die ebenfalls eine Quote von fünfzig Prozent eingeführt hat, am höchsten ist. Weibliche Parteimitglieder haben so im Vergleich zu ihren Kollegen höhere Chancen auf ein politisches Amt.

Neben institutionalisierter Förderung ist das Konzept der Hoffnungsträgerin natürlich auch ein Produkt medialer und persönlicher Zuschreibung. Geprägt ist die Wahrnehmung von Frauen wiederum von einem Sexismus, der in der Gesellschaft von heute offensichtlich weiterhin tief verankert ist und den Blick auf Frauen in der Politik prägt. In Teilen der Linken wird dieser Sexismus zugleich für grösstenteils überwunden gehalten und deshalb zu selten bemerkt. Die britische Journalistin Suzanne Moore brachte den Widerspruch einmal im Hinblick auf Jeremy Corbyn so auf den Punkt: «Der neue ‹brocialism› sorgt sich natürlich sehr um die Anliegen der Frauen – allerdings nicht genug, um auch tatsächlich eine Frau zu wählen. Das brauchen sie auch nicht, schliesslich sprechen gute linke Politiker für uns alle. Das Geschlecht bemerken sie nicht einmal», schrieb Moore in einem Beitrag für den «Guardian» bitter-ironisch.

Womöglich bleibt neben den «brocialists» – einer Wortschöpfung aus «bro» wie Bruder und «socialists» – der Neuen Linken auch deshalb kein Platz für Hoffnungsträgerinnen, weil in der Sehnsucht nach einem starken Sozialstaat die Frauenfrage schnell wieder zum Nebenwiderspruch wird.

Frauen aktiv zu fördern, hiesse auch, dass ein paar Männer zur Seite treten müssten. Doch wichtig wäre auch etwas anderes: dass sich die progressive Linke mit ebenso viel Begeisterung und dem gleichen Jubel hinter eine Politikerin stellt wie hinter Corbyn oder Tsipras.