Durch den Monat mit Peter Weishaupt (Teil 3): Wie wird der Krieg in Syrien weitergehen?

Nr. 42 –

Um aktuelle Konflikte zu lösen, brauche es eine globale Perspektive und eine stärkere Weltgemeinschaft, sagt Peter Weishaupt. Dass die Uno in Syrien nicht eingreife, sei verheerend.

Peter Weishaupt: «Wir müssten die Fragen rund um den Sicherheitsrat und das Vetorecht der Grossmächte klären.»

WOZ: Peter Weishaupt, der Kalte Krieg hat Sie als junger Mann politisiert. Seit fünfzig Jahren sind Sie für den Schweizerischen Friedensrat tätig. Sind die Kriege und Konflikte seither unübersichtlicher geworden?
Peter Weishaupt: Damals gab es zwar ebenfalls sehr heftige Konflikte. Diese wurden jedoch vielfach vom Kalten Krieg überlagert. Und die atomare Drohung führte dazu, dass sie weniger eskalierten. Die Konflikte in Osteuropa zum Beispiel schwelten schon während des Kalten Kriegs, brachen aber erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus. Davor war die Einteilung der Welt in Gut und Böse klar. Und zwar auf beiden Seiten. Ich wehre mich dagegen, das einseitig zu sehen.

Kriege und Konflikte sind also unübersichtlicher, weil die Welteinteilung weniger klar ist?
Es gibt viele Konflikte, deren Wurzeln weit zurückliegen und die sich weiterentwickeln. Wenn zum Beispiel Wladimir Putin versucht, den alten Einfluss Russlands wiederherzustellen – nicht nur in der Ukraine, sondern in den meisten Ländern der ehemaligen Sowjetunion wie in Tschetschenien und in Abchasien. Aber die Welt ist nicht mehr klar zweigeteilt. Es ist kein Einfrontenkampf mehr, sondern eben komplexer. Das Positive daran ist, dass man die Konflikte aus einer globalen Perspektive anschauen muss. Man kann sie nicht mehr nur aus zwei Sichtweisen heraus verstehen.

Was heisst das in Bezug auf den Bürgerkrieg in Syrien, in den zahlreiche Akteurinnen und Akteure involviert sind?
Der Kriegsverlauf in Syrien war für mich extrem ernüchternd. 2011 kam es von Tunesien aus zu einem spontanen Aufstand in vielen Teilen der arabischen Welt. Das war eine soziale Bewegung aus der Bevölkerung. Eine demokratische Bewegung, die nicht konfessionell gespalten war. Es ging darum, die autoritären Regimes zu stürzen. Ich finde es noch immer unglaublich, wie lange in Syrien die Protestaktionen trotz der schweren Bombardierungen von Machthaber Baschar al-Assad anhielten. Sie gingen während der gesamten Kriegszeit weiter.

Ihrer Ansicht nach hätte die Uno in Syrien eingreifen sollen. Warum?
Dass man sich nicht einigen konnte, in Syrien zu intervenieren, hatte verheerende Auswirkungen. Assad hat die Aufstände brutal niedergeschlagen und ist dabei massiv gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen, es wurden ganze Städte und Regionen zerstört. Da wäre ein internationaler Einsatz nötig gewesen, um mindestens die Repression des Regimes zu blockieren.

Stattdessen ist das Land im Bürgerkrieg versunken.
Inzwischen kämpft jeder gegen jeden. Die oppositionelle Freie Syrische Armee gegen die Regierungstruppen. Dschihadistische Milizen wie der sogenannte Islamische Staat kämpfen gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten. Und die konfessionelle Spaltung von Schiiten und Sunniten hat sich durch den Krieg grausam verschärft. Ich bin noch immer überzeugt, dass es ein internationales Vorgehen braucht, um in diesem Konflikt zu einer Lösung zu gelangen. Bei der Vernichtung der Chemiewaffenbestände ist es der Uno immerhin gelungen, dass die Russen und die Amerikaner gemeinsame Sache machten. Aber zusammen politische und zivile Lösungen zu finden, um den Bürgerkrieg zumindest einzudämmen, das ging nicht. Das wird auch in anderen Konflikten ein Problem sein.

Russland und China blockierten mit ihrem Vetorecht immer wieder Uno-Resolutionen für Syrien. Der Friedensrat möchte eine stärkere Uno. Wie sähe diese aus?
Wir müssten die Fragen rund um den Sicherheitsrat und das Vetorecht der Grossmächte klären. Das Vetorecht lässt sich politisch zwar fast unmöglich ändern, funktioniert aber oft als Blockadeinstrument. Die Uno ist ein Versuch, kollektiv Sicherheit zu schaffen. Das sollten wir fördern. Jedes Land sollte sich stärker für die Politik der Uno einsetzen. Die Schweiz hat sich für 2022 als nichtständiges Mitglied für den Uno-Sicherheitsrat beworben. Das wäre sinnvoll. Die Schweiz ist keine Grossmacht, sie könnte für eine Stärkung der Uno und des Sicherheitsrats eine mitbestimmende Rolle spielen.

Seit sechs Jahren herrscht in Syrien nun Bürgerkrieg. Er kostete rund eine halbe Million Menschen das Leben. Mehr als fünf Millionen Syrerinnen und Syrer sind auf der Flucht. Wie wird es nun weitergehen?
Der Krieg hat sich wohl bald erledigt. Wegen der Unterstützung Russlands wird die Assad-Regierung früher oder später siegen. Damit ist aber weder der Konflikt gelöst noch sonst eine Lösung gefunden. Es wird im Nahen Osten weiterhin zu sozialen Aufständen gegen die autoritären Regimes kommen. Wir müssen herausfinden, wie wir diese Aufstände stärker unterstützen können, ohne militärisch einzugreifen. Das ist eine der grossen Fragen, die ich mir momentan stelle.

Der syrische Bürgerkrieg erinnert Peter Weishaupt (65) an den Biafrakrieg, als 1969 soziale Aufstände in Nigeria blutig niedergeschlagen wurden. Daraufhin setzte sich der junge Friedensaktivist gegen Schweizer Waffenlieferungen an die nigerianische Regierung ein.