Fotografie und Freizeit: Der Beruf ist auch nur ein Hobby

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Freizeit auf Knopfdruck? Das Hobby war einst der Rückzugsort vor dem ökonomischen Diktat der Arbeit. Heute, in Zeiten von Snapchat und Instagram, ist alles viel komplizierter.

Das sei ganz klar eine Explosion, raunt der ältere Mann seinem Begleiter zu und zeigt auf die Fotoserie vor ihm an der Wand. So was habe er mit der eigenen Kamera auch schon eingefangen, habe genau gleich ausgesehen. Das aufs Bild zu kriegen, sei leicht, das schaffe sogar er als Amateur. Heiteres Gelächter.

Die Fotoserie zeigt die zerbeulte Karosserie eines Autos, die mittels Sprengstoff in die Luft geschleudert wird und nach einem Rückwärtssalto auf dem Dach landet. «The Big Bangers» nennt sich die Community, die sich dem Demolieren alter Autos verschrieben hat – als Freizeitbeschäftigung. Der Fotograf David de Beyter hat ihr Hobby zu seiner Arbeit gemacht, seine Serie «Auto Sculpture IV» ist jetzt im Fotomuseum Winterthur zu sehen. Der kundige Museumsbesucher neben der abgebildeten Autoskulptur ist dabei so etwas wie der körpergewordene Ausstellungstitel: «The Hobbyist – Hobby, Fotografie und fotografierte Hobbys».

So plastisch wie in dieser Anordnung ist das Verhältnis zwischen Freizeitbeschäftigung und dem Medium Fotografie aber längst nicht mehr. Das Hobby, einst etabliert als Rückzugsort vor der belastenden Arbeit und ihrem ökonomischen Diktat, hat sich mit der Fotografie zu unterschiedlichen Mischformen verbunden. Wenn heute über visuelle Kanäle wie Instagram, Snapchat oder Youtube gleichzeitig kommuniziert, Identität konstituiert und auch noch Geld verdient wird, sind die Wechselwirkungen kaum mehr zu überblicken. Die Influencerin ist nur ein Beispiel für dieses bildbasierte Amalgam aus Alltagsgeschwafel, Marketingstrategie und Kunstprojekt. Das Hobby ist Beruf ist privat ist öffentlich – und umgekehrt.

Bezeichnenderweise war es eine Strömung der Fotografie, die diese Grenzen früh aufweichte, noch vor 1900. Der Pictorialismus wollte dem neuen Bildmedium damals zur Anerkennung als Kunstform verhelfen und stellte damit bestehende Verhältnisse zwischen Professionalität und Amateurkultur zur Debatte. Das Hobby zum Beruf machen? Der Fotoapparat schien es möglich zu machen.

Klick, klack, Kodak!

«You press the button, we do the rest», verspricht Kodak 1888. Mit einer leicht zu bedienenden Kamera ebnete das Unternehmen der Fotografie damals den Weg zum Massenphänomen. Die Popularisierung der Fotografie vollzieht sich dabei parallel zu einer anderen Entwicklung: der sukzessiven Trennung von Arbeit und Freizeit, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts schrittweise die Arbeitszeit eingegrenzt wird. Das schafft Raum für Tätigkeiten fernab des beruflichen Alltags, das Hobby kommt auf. Neben allem, was wir heute Outdooraktivitäten nennen, gehört dazu früh auch die Fotografie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bildet sich rund um das Hobby eine eigentliche Freizeitkultur heraus – und ein eigener Industriezweig, samt bürgerlichen Konventionen darüber, wer welche Hobbys wie zu verrichten habe. Die Protestbewegungen der sechziger Jahre zielen dann auch auf diese Konventionen der Freizeitkultur: «Do it yourself» steht nicht mehr für popelige Bastelanleitungen, sondern für ein selbstbestimmtes Leben. Das führt zu mehr Autonomie und Individualismus, aber auch zu einer Verflechtung beruflicher Tätigkeiten und Freizeitbeschäftigungen. Der Markt wiederum antwortet mit Produkten, die genau auf diesen Zwischenraum zielen: Der Apple-II-Heimcomputer wird in der Anzeige aus dem Jahr 1977 gleichermassen als Arbeitshilfe wie als Unterhaltungsgerät beworben.

Adorno im App-Store

Heute versinnbildlicht die hochauflösende Kamera, die wir Smartphone nennen, die Einschmelzung des Gegensatzes zwischen Arbeit und Freizeit – wenn dieser Gegensatz denn als solcher je Gültigkeit hatte. Theodor W. Adorno enervierte sich bereits Jahre vor dem ersten Homecomputer: «Die Menschen merken nicht, wie sehr sie dort, wo sie am freiesten sich fühlen, Unfreie sind.» Er sah die Freizeit durch deren Industrialisierung vielfältig verstrickt mit den Strukturen der Arbeitswelt. Die Hobbykultur schaffe nicht etwa ein Gegengewicht, sondern diene vielmehr der allgemeinen Leistungssteigerung. Wäre Adorno heute unter uns und würde in den App-Stores auf die unzähligen Fitness-Apps stossen, er würde in die Tischplatte beissen.

Die Tendenz zu professionalisierten oder auf Effizienz getrimmten Regelwerken zeigt sich nirgends deutlicher als im Freizeitsport. Joggingrunden, Skifahrten, ja selbst Yogaübungen werden von Apps erfasst, in Statistiken, Punkte und Ranglisten umgewandelt – und damit in jene Wettbewerbslogik zurückgeschlauft, vor der uns die Idee der Freizeit einst zu befreien versprach. Die fotografische Entsprechung dazu ist die ultrakleinformatige Kamera «GoPro». Beworben als robuste Begleiterin bei Freizeitabenteuern in der freien Natur, ist die Stossrichtung bereits in den Produktnamen eingeschrieben: «Go professional». Die Kamera ist aber nicht bloss Symptom einer Professionalisierung, sondern auch der Tendenz hin zur lückenlosen Aufzeichnung und Veröffentlichung unserer Freizeitaktivitäten. Das unablässige Sammeln visueller Belege wird zur Norm.

Arbeit am digitalen Kapital

Der Hintergrund, vor dem so ehrgeizig dokumentiert und geteilt wird, ist die Ökonomie einer digitalen Infrastruktur, die genau darauf abzielt: Man soll (mit)teilen. Facebook und andere Plattformen sind auf die Kommunikation der industrialisierten Freizeit ausgerichtet, sie haben den Austausch über Aktivitäten zum ertragreichen Geschäftsmodell ausgebaut. Gym-Selfie, Gruppenfoto im australischen Hinterland, Konzertabend, #nofilter, #yolo: Das Aneinanderreihen, Befiltern und Kommentieren von Fotos und Videos sind die unablässige Arbeit am (Selbst-)Bild. Oder wie der Internetkritiker Jaron Lanier einmal sagte: Früher war die Fotografie eine Industrie, die unzähligen Menschen auch bezahlte Arbeit bot; heute «arbeiten» rund um den Globus Millionen von FotografInnen gratis für Instagram und Snapchat – und sie nennen es Freizeit.

Ist die Idee der Freizeit also längst restlos kolonisiert durch verdeckte Arbeit am digitalen Kapital? Vielleicht aber ist das Hobby auch der Ort, wo wir den Verlust unserer individuellen Wirkmacht kompensieren. So jedenfalls kann man in der Ausstellung in Winterthur die Hundedressurvideos lesen, die das Kollektiv Neozoon kompiliert hat: Da wir als Individuen gesellschaftlich keinen Einfluss üben können, schaffen wir uns im Hobby ein System, in dem wir die Regeln selbst bestimmen.

«The Hobbyist» zeigt die Freizeitbeschäftigung im Spannungsfeld zwischen Rückzugsort und Talentschau, Freiheitsgefühl und Leistungsdruck – alles unter den Vorzeichen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit. Und ganz nebenbei gewährt die Ausstellung einen äusserst amüsanten Blick auf den scheinbar grenzenlosen Einfallsreichtum des Menschen. Irgendwo da draussen werden gerade Blogs gefüllt mit Berichten über das wunderbare Gefühl beim Schwimmen in Kleidern, es werden Tauben farbig bemalt und zum Spass brennende Teerfässer durch die Gegend getragen.

«The Hobbyist» im Fotomuseum Winterthur, bis 28. Januar 2018. www.fotomuseum.ch