Journalismus: Weil es halt erst 2018 ist

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Der Satz ist berühmt geworden: «Because it’s 2015!» So antwortete Kanadas Premierminister Justin Trudeau auf die Frage, warum er ein Kabinett mit fünfzig Prozent Frauen aufgestellt habe. In der Schweiz ist von dieser Selbstverständlichkeit noch nichts zu spüren. Jüngstes Beispiel: die Neujahrsbeilage von Tamedia, «Zwölf der besten Storys aus den Tamedia-Redaktionen zu den grossen Themen 2017». Im Editorial das Gruppenfoto der Tamedia-Chefredaktion: sechs Männer. Völlig selbstverständlich. Because it’s 2018!

Drin geht es fast gleich weiter: Zehn der zwölf «Storys» haben Männer geschrieben. Die beiden Texte von Frauen handeln von den Fragen, wie Menschen ihre LiebespartnerInnen finden und warum junge Frauen Fotos ihrer Bäuche auf Instagram posten. Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Liebe und die Selbstdisziplinierung auf Social Media sind wichtig und politisch. Nichts ist ärgerlicher als die Einteilung der Welt in «harte» und «softe» Themen, wie sie manchmal sogar in Diskussionen auf der WOZ vorkommt. Körperpolitik und Care-Arbeit «soft» zu nennen, ist eine Beleidigung. Es geht nicht darum, dass Frauen nicht darüber schreiben sollten, sondern darum, dass fast nur Frauen darüber schreiben. Was frappiert, ist die geschlechtliche Arbeitsteilung im Schweizer Journalismus: den Männern das Bundeshaus und die Wirtschaft (natürlich ohne Care-Arbeit), den Frauen Kultur und Alltag. Den Männern die Chefetage, den Frauen höchst selten.

Das liegt nicht nur an den Männern («die Männer» gibt es ohnehin nicht). Es liegt an Machtverhältnissen, die Bilder in den Köpfen verfestigen – und umgekehrt. Jeden Winter arbeiten SchülerInnen eines Zürcher Gymnasiums einige Tage auf der WOZ-Redaktion an journalistischen Texten. Die jungen Frauen sind immer deutlich in der Unterzahl – viele wollen lieber filmen oder fotografieren. Sehr selten wagt sich eine an die sogenannte harte Politik heran. Und sehr selten beschäftigt sich ein junger Mann intensiv mit Care-Arbeit. Es gibt immer noch fast keine Institutionen, die versuchen, diese früh festgelegten Bahnen in der Praxis aufzubrechen.