Männerwelten: Lasst ihn spielen

Nr. 11 –

Männlichkeit ist auch nur eine weitere Marketingkategorie. Oder wieso die Messe Man’s World in Zürich Oerlikon den Mann zwar mit Spielzeug verführt, um Sex aber einen grossen Bogen macht.

Wohlfühlzone für grosse Buben: «Themen wie Sex, Gewalt und Politik sind heikel, da gerät man schnell aufs Glatteis», sagt Daniel Rasumowsky, Mitbegründer der Man’s World.

Es gibt Szenen, da fühlt man sich wie in einem Lied von Manuel Stahlberger. Und das ist bei dieser Szene hier nicht nur darum so, weil der Ostschweizer Liedermacher tatsächlich einmal über eine Baggervermietung gesungen hat. Wenn diese drei jungen Männer konzentriert auf ihre kleinen Spielzeugbagger blicken und damit Holzspäne möglichst schnell in einen Spielzeuglastwagen befördern, dann kreiert die Wirklichkeit ihre ganz eigene feine Komik. Wird der Mann hier eins mit dem Buben in ihm drin – oder wird hier viel eher das Patriarchat verniedlicht? Doch erst mal drehen wir eine Runde.

Wir befinden uns in einer ehemaligen Industriehalle in Zürich Oerlikon; hier findet die Man’s World statt, eine Messe mit Produkten für stilbewusste Männer oder für Frauen, die Produkte für stilbewusste Männer mögen. Doch an diesem Stand einer Baggervermietung aus Frauenfeld geht es nicht in erster Linie um Stil. Wenn man als Gruppe ein paar Stunden zu ihnen baggern komme, sei das zum Beispiel gut fürs Teambuilding in einem Unternehmen, erklärt ein Mitarbeiter.

Gegenveranstaltung zum Autosalon

Der Mann, um den es an dieser Messe geht, hat also nicht nur Geschmack, er ist auch ein Teamplayer – zwei Tugenden, die augenscheinlich kombiniert werden. In einer Ecke der Halle bildet sich neben einer Spielzeugrennautobahn eine Schlange. Darum darf man jetzt nur noch zehn statt fünfzehn Runden pro Person fahren. Das kleine Unternehmen kommt aus Deutschland und fertigt seine Bahnen nachhaltig aus Holz statt billigem Plastik, aus dem die Carrera-Bahnen sind, die wir von früher kennen. Quasi eine Brio-Bahn auf Testosteron.

Überhaupt wird Testosteron hier eher als Spiel- denn als Kampfdroge eingesetzt. Schön zu sehen auch bei einem Handwerker, der Teile ausrangierter Kampfjets im Internet kauft und daraus Leselampen und andere nützliche oder dekorative Gegenstände herstellt. Die toxische Männlichkeit verpufft dabei ganz einfach im Design eines netten Retroobjekts. Bei der ersten Ausgabe der Man’s World 2016 konnte man noch mit einem Panzer durch die Gegend fahren. Abgesehen von ein paar Klappmessern sucht man Waffen dieses Jahr vergeblich. Und auch die Messer sind wohl eher zum Schnitzen im Wald gedacht.

Doch es brauchte offenbar eine Weile, bis solche Dinge auch beim Publikum angekommen waren. Vor zwei Jahren sei die Stimmung in der Halle generell angespannter und unangenehmer gewesen, sagt einer der Jungunternehmer vom Stand einer Zürcher Ginmarke. Viele Männer hätten vor allem gratis trinken wollen und sich unanständig benommen. «Seit letztem Jahr ist das ganz anders: Die Leute interessieren sich für die Produkte und wollen sich mit uns unterhalten.»

Auch wenn sich das wohl niemand bewusst so ausgedacht hat, ist die Man’s World eine Art Gegenveranstaltung zum Autosalon Genf, der just zur selben Zeit läuft. Zwar gibt es auch hier in Oerlikon ein paar Autos, nur kommen diese eben ein wenig anders daher. Statt einer knapp bekleideten Hostess steht neben dem Prototyp eines winzigen Elektroautos ein sportlicher Typ mit Bart, der ein Familienvater aus dem Zürcher Kreis 3 sein könnte.

Was man schon angesichts der fehlenden Hostessen hätte merken können, wird, vor dem Pissoir stehend, plötzlich offensichtlich: Sex kommt an der Man’s World nicht vor. Zumindest fast nicht. Über dem Pissoir hängt ein kleines Plakat, das ein Hilfsangebot für Männer mit frühzeitigem Samenerguss bewirbt. Hier kommen zwar alle Männer in der Halle einmal vorbei, doch zurückhaltender hätte man es kaum platzieren können. «Sex sells», heisst es ja immer, doch so einfach ist es offenbar nicht.

Was ein «richtiger Mann» ist

Daniel Rasumowsky, Mitbegründer der Man’s World, sitzt auf einem Barocksofa auf einer Galerie in der kleineren der beiden Messehallen. Nicht weit entfernt stehen ein paar Männer, die gekleidet sind wie in einem Westernfilm. Sie pressen Hüte in runde Formen, preisen Craft-Bier an oder färben Stoffe in Denimblau. Vintage, Craftsmanship oder Heritage, wie man in Marketinganglizismen sagt. Rasumowsky ist zufrieden, die Hallen platzen aus allen Nähten.

Von ihm erfahren wir, dass der Verzicht auf Sex ganz bewusst ist. «Themen wie Sex, Gewalt und Politik sind heikel, da gerät man schnell aufs Glatteis.» Schon der Titel der Messe sei provokativ, da wolle man nicht noch zusätzlich kontroverse Themen anschneiden. Im ersten Jahr habe es zwar einen Stand mit Sextoys gegeben, aber das habe nicht besonders gut funktioniert. Beim Brainstormen sei einmal die Idee aufgekommen, es mit Onlinedating zu probieren. Doch die Oberflächlichkeit einer Plattform wie Tinder widerspreche der Idee der Man’s World.

Der Man’s-World-Mann geht also in die Tiefe – zumindest klingt es danach, wenn Rasumowsky die Kriterien für die an der Messe vertretenen Brands aufzählt: regionale Produkte, Handwerk, Qualität. «Die Leute lassen sich nicht mehr so einfach von der Werbung veräppeln; sie wollen wissen, woher die Produkte kommen, und die Leute treffen, die sie herstellen.» Der «richtige Mann» ist auch ein Konsument, der das schätzt: «Ein richtiger Mann», sagt Rasumowsky, «ist tolerant, hat Eier und kann über sich selber lachen. Er schätzt schöne Autos, nutzt aber auch Carsharing oder den ÖV.»

Obwohl die Männer hier klar in der Überzahl sind, werden Frauen keineswegs ausgeschlossen – ganz im Gegenteil. An der ersten Man’s World gab es auch einen Stand mit Produkten, die sich explizit an Frauen richteten. Darauf seien einige Nachrichten von Frauen eingegangen, die sich über den Stand beschwerten, so Rasumowsky: «Die Frauen sagten, sie seien doch nicht hierhergekommen, um Frauenprodukte zu kaufen, sondern weil sie Männerprodukte schätzen.»

Da ist Männlichkeit nicht mehr viel mehr als eine Produktkategorie – und als solche harmoniert sie problemlos mit zeitgemässen Geschlechterrollen. Dieses Jahr fand zum Beispiel ein Charityanlass statt, dessen Erlös ans Frauenhaus Zürich ging. Nächstes Jahr soll das Thema «Vater sein» präsenter sein, wie Rasumowsky ankündet. Doch die Grenzen des Konzepts liegen dort, wo die Diskussion anfangen würde: bei der Männlichkeit als Problem. Ob all der kleinen Manufakturen, Distributionswege und KMUs könnte man fast vergessen, dass das Patriarchat mehr mit hoch konzentrierter ökonomischer und politischer Macht zu tun hat als mit Schuhwichse und Büffelsteaks. Die Man’s World dagegen soll «das letzte Refugium des Mannes» sein, wie es im «Event Guide» heisst. Echt jetzt?

Besonders ausgeklügeltes Marketing

Wenn es um den Frieden in der Halle geht, wird jene Grenze zwischen guter und schlechter Männlichkeit neben präzise justiertem Onlinemarketing vor allem übers Portemonnaie reguliert: An der Tageskasse kostete das Ticket 39 Franken, die Preise der meisten Produkte richten sich an mittlere oder höhere Einkommen. Die Man’s World ist eine Wohlfühlzone, in der man gesittet spielen, trinken und sich verwöhnen lassen kann. Diejenigen Männer, die sich das leisten können, müssen offenbar selber ein wenig vor der toxischen Männlichkeit beschützt werden.

Zeitgemäss ist die Man’s World nicht vor allem darum, weil sie progressive Genderrollen integriert, sondern weil sie letztlich eine besonders ausgeklügelte Form von Marketing ist. In einer Zeit, in der Ladenflächen schrumpfen und ein grosser Teil des Konsums ins Internet abwandert, sind Alternativen vor allem für HerstellerInnen von luxuriösen Produkten attraktiv. Viele von ihnen sind auf Identifikation mit einer Marke oder eine emotionale Bindung zum Produkt angewiesen. Die Man’s World tut genau das: Sie bringt ProduzentInnen und KonsumentInnen einander näher, stärkt ihr Gefühl füreinander. «Mir hend Begegnige», wie Stahlberger einmal gesungen hat.