«Vox»: Am Telefon hängen

Nr. 17 –

Natürlich, man kann dieses Buch  auch als eine Studie zur Entfremdung in der atomisierten Konsumgesellschaft lesen. Aber zuerst einmal ist es erotische Literatur. Ein Mann und eine Frau treten via eine Telefonsexlinie in Kontakt und telefonieren dann ein Buch lang miteinander.

«Vox» ist ein drängender Dialog, in dem Sex verhandelt wird und der zugleich Sex sprachmächtig zu evozieren sucht. Was also erregt? Zuerst einmal die anmachenden, aufreizenden Wörter. Die zehren von der Grenzüberschreitung, der Lust am Direkten, auch Groben, und sind dann doch wieder ganz individuell. Die TelefonpartnerInnen schildern sich gegenseitig Empfindungen (Wasser), Konstellationen (nach dem Sport in der Duschkabine), Situationen (beim Wändestreichen, mit Farbe und Pinsel), Fantasien (mit ArbeitskollegInnen). Sie erörtern Pornografie, warum Frauen Literatur und Männer Filme bevorzugen und wie sie wirkungsvoll gehandhabt wird: beim ersten Lesen oder Schauen jene Stelle eruieren, durch die und bei der man zum Orgasmus kommen will, und dann kalkulierend zurückgehen und mit passendem Tempo wieder nach vorne lesen oder schauen, um rechtzeitig an jener Stelle anzukommen und zu kommen.

Inszeniert wird Sex am Telefon, damit geht es ums Masturbieren. Das entschärft die Geschlechterbeziehung, weil sich Machtverhältnisse nicht handgreiflich äussern können. Obwohl es auch eine Entfremdung …, siehe oben.

Zuweilen wird um die Sache herumgeredet, wie hier, und schliesslich wird nicht mehr darum herumgeredet. «Vox» ist kunstvoll, es ist witzig, und es ist, vor allem, aufreizend erotisch.

Nicholson Baker: Vox. Roman. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Rowohlt Verlag. Reinbek 1992. 192 Seiten. 12.50 Franken