Ausstellung: Ein heftiges Nachglühen

Nr. 18 –

In seiner Werkschau im Cartoonmuseum Basel treibt es der Schweizer Comiczeichner Andreas Gefe bunt mit der schwarzgalligen Melancholie.

Immer mehr Bedeutung, als vorderhand zu sehen ist: «Erscheinung» von Andreas Gefe. © Andreas Gefe

Der Andrang im Museum hält sich an diesem Freitagmorgen in Grenzen, dennoch fühlt man sich beobachtet. «Da sind wir» steht in Buchstaben aus pinkem Klebeband am Eingang zur eindrücklichen Werkschau von Andreas Gefe, und das ist nicht zu viel versprochen: Der Schwyzer Comiczeichner und Maler beschäftigt sich in seiner Arbeit vorzugsweise mit Menschen, die jetzt dicht gedrängt und fragend von den Wänden im Erdgeschoss blicken.

Fast unscheinbar hängt das titelgebende Gemälde zur Ausstellung in einer Ecke, ein nachtblaues Interieur mit zwei dunkelhäutigen Figuren: eine Frau auf einem Sofa, dahinter im Halbschatten stehend ein Mann. Das Figurenensemble wirkt verloren, wie bestellt und nicht abgeholt, und diese existenzielle Verunsicherung begleitet uns durch die ganze Schau. Kaum je wird aufgelöst, worum es sich bei dem Gezeigten handelt: um den Ausgangs- oder den Endpunkt einer Geschichte? Oder ist es der flüchtige Moment, in dem die Gegenwart sich selbst fremd und zur Erinnerung wird? Das Schöne am Malen, sagt Andreas Gefe in einem Videointerview, sei gerade, dass er sich von der Zeit verabschieden könne.

Welche Farbigkeit!

Anders als die Fotografie kennt Gefes Malerei keine Tiefenschärfe. Alle Bildelemente und Effekte werden gleichwertig behandelt, der Glanz auf einer pinken Sandale und das Licht auf einem Jackett. So entstehen symbolhafte Beziehungen zwischen Figuren und Objekten, deren Bedeutungsgehalt über ihr blosses Abbild hinauswächst. Da sitzt etwa eine Frau in einer banalen Blockwohnung, mit Fotos zu ihren Füssen und einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht, während auf der Fensterbank ein Kaktus erblüht. Dornige Erinnerung oder ein unverhofftes «Souvenir», wie der Bildtitel lautet? Die Interpretation bleibt uns überlassen.

Das Auffälligste aber ist die Farbigkeit von Gefes Gemälden, und das nicht nur, weil deren Personal ethnisch so divers ist: Obwohl die Atmosphäre bisweilen düster wirkt – die Farbe Schwarz findet man auch bei starken Lichtkontrasten so gut wie nirgends. Selbst auf einem Bild wie «Totentanz», das eine Frau beim Musikhören auf dem Bett liegend zeigt, muss der maskenhafte Sensenmann am Fenster mit einem Minimum an Schwarz auskommen. Der ganze Raum scheint durch seine satte Farbenpracht und die leuchtenden Konturen gegen die Zumutung der Endlichkeit imprägniert. Vorerst. Wie Andreas Gefe seine Bilder zum Glühen bringt, enthüllt eine Serie ungerahmter Ölgemälde: Bei allen ist die Leinwand in Rosatönen grundiert, die selbst bei mehrfachem Farbauftrag noch durchscheinen und an den Rändern in fast schockierender Intensität hervorsickern.

Im ersten Stock setzt sich die Porträtgalerie fort, begleitet von sonnigem Reggae, der aus einer Box dringt und in teils harschem Gegensatz zu den ausgestellten Motiven steht – surreale Alltagsszenerien oder White-Trash-Idyllen mit Büchsenbier und Patronen. Hier gibt die Ausstellung auch Einblick in Gefes Werk als Comiczeichner. Er arbeite illustrativ, sagt der Künstler im Videointerview, bei längeren Geschichten passe er seinen Stil deshalb an, um den Aufwand zu reduzieren. Für die Graphic Novel «Zwei Mal Zwei», die in Zusammenarbeit mit Charles Lewinsky entstand, wählte Gefe deshalb den Bleistift, um seinen Figuren eine nervös gestrichelte Kontur zu verleihen. Der Vergleich der fertigen Seiten mit den blau skizzierten Vorzeichnungen bereitet ein besonderes Vergnügen.

Rosa, leitmotivisch

In «Nachtzug nach Lissabon» verarbeitet der fussballbegeisterte Künstler die Begegnung mit einem Fan, der über die portugiesische Nationalmannschaft herzieht – «zu viele Neger». Dass der Rassist das französische Nationaltrikot mit der Nummer von Thierry Henry trägt und mit dem angeekelten Protagonisten nicht nur das Zugabteil, sondern auch die «besten Orangen der Welt» teilt, gehört zu den Widersprüchen, die der Zeichner mit klarem Blick festhält. Es folgen zwei weitere Eisenbahngeschichten, die Gefe schon deshalb faszinieren, weil sie auf engem Raum intime und konzentrierte Auftritte ermöglichen, die der Künstler wie ein Regisseur inszeniert.

Der letzte Auftritt gehört – vermutlich – dem Regisseur selbst, und er ist der Höhepunkt. «Bleib nicht, wo du bist» verknappt eine gescheiterte Liebesbeziehung auf sechs grossformatige Bilder mit wenig Begleittext. Wieder blitzt die Farbe Rosa leitmotivisch auf: in Lichtreflexen und Blüten beim ersten Zusammentreffen in Luzern, wo der Künstler an der Hochschule für Gestaltung studiert hat; dann auch in dem zu einem pinken Stöckelschuh erstarrten Begehren und in den Feldblumen, durch die der Ich-Erzähler in die Nacht flüchtet. Zuletzt glimmt die Farbe nur noch in prosaischen Blumentopfuntersetzern, die ungebraucht in einem Hinterhof liegen. «Doch was würde ich tun, wenn ich nicht mehr an dich denken könnte?», zieht der Erzähler sein melancholisches Fazit.

Die Basler Ausstellung dagegen hinterlässt ein heftiges Nachglühen, das in der Erinnerung noch heller leuchtet als das grelle Klebeband am Eingang: Wir waren da.

Basel, Cartoonmuseum. Bis 17. Juni 2018.