LeserInnenbriefe

Nr. 18 –

Schluchzend

«Durch den Monat mit Silva Semadeni: Ist das Puschlav das Nordirland der Schweiz?», WOZ Nr. 16/2018

Liebe WOZ, was Silva Semadeni über das Puschlav ihrer Jugendzeit schreibt (reformiert gegen katholisch), habe ich in den fünfziger Jahren auch in Basel erlebt. Meine Eltern waren stur reformiert. Ein katholischer Schwiegersohn war tabu. Ich war in einen Kollegen verliebt, schwatzte mit ihm nach einer Vorlesung vor der Uni. Als der Satz fiel: «Wir bei den Katholiken …», verabschiedete ich mich so schnell als möglich, stieg auf mein Velo und fuhr laut schluchzend nach Hause.

Hanni Müller, Basel

Oh Mann!

«Interview mit Virginie Despentes: Ich würde Hosen bevorzugen, die den Penis abschneiden», WOZ Nr. 17/2018

«Einem Knaben von vierzehn Jahren sagt keiner, wie er ein Bewusstsein für seinen Körper und seine Bedürfnisse entwickeln könnte.» «Kleine Mädchen sind es (…) gewohnt, über sich selber nachzudenken.» «Frauen in meinem Alter haben ihr ganzes Leben darüber nachgedacht, was für eine Sexualität sie haben. Männer sagen dir, dass sie nicht darüber nachdenken.» Oh Mann! Wo sind wir denn hier gelandet? In den fünfziger Jahren, als die Welt noch in Ordnung war und wir noch wussten, wie wir uns Männer und Frauen vorzustellen hatten? Virginie Despentes beschreibt die Welt in einer plakativen Einfachheit, die Lichtjahre von meinen konkreten Alltagserfahrungen entfernt ist. Ich erlebe Menschen, Frauen und Männer, die widersprüchlich sind, die sich ihrer Rollen bewusst werden oder auch nicht, die lernen und wieder vergessen, die leiden, ihre Position geniessen oder zu neuen Horizonten aufbrechen. Für alle diese Menschen braucht es einen Platz in der Welt, vor allem und zuerst einmal in meiner Gedankenwelt. In diesem Sinn wünsche ich mir eine Diskussion, die den Blick öffnet für Möglichkeiten, für Entwicklung und Veränderung, und nicht nur die alten Verhältnisse festschreibt.

Peter Schmid, Niederlenz

Verheizung

«Fürsorgerische Unterbringung: Sonst wird man dann gespritzt», WOZ Nr. 14/2018

Ich fand die Reportage mit der Geschichte der Frau Schneider, die Wahnvorstellungen hatte, hochinteressant, gut recherchiert und sehr differenziert dargestellt. Aber etwas ganz Wichtiges, vielleicht das Wichtigste an Frau Schneiders Geschichte, fehlt: Sie sagt wörtlich über eine Wahnvorstellung: «Ich hatte immer das Gefühl, überlebende Nazis hätten noch nicht aufgegeben. Alles sei baulich so eingerichtet, dass man uns hätte vergasen können.» Hat wirklich niemand Frau Schneider zugehört und sie ernst genommen? Der Artikel erwähnt es nicht. Es ist charakteristisch für unsere medizinischen Hilfeleistungen, dass man physisches und psychisches Kranksein nicht als soziales und gesellschaftliches Phänomen betrachtet, sondern strikt individuell. Bei Frau Schneider jedoch zeigt auch der Inhalt ihrer Wahnvorstellung, dass in ihr unsere Gesellschaft krank geworden ist. Würde man ihrer Stimme Gehör verschaffen, könnte das zu einer Heilung beitragen, die uns alle betrifft. Das Bild von den Nazis und dem Vergastwerden steht stellvertretend für eine Lebenskultur, die die Menschen zunehmend einschliesst, ihnen die Freiheit nimmt und sie «verheizt».

Benno Glauser, Asunción, Paraguay

Sozialarbeit: Hilfe für wen?

«Berner Fachhochschule: Trauermarsch fürs kritische Denken», WOZ Nr. 13/2018

Ich weiss nicht, warum Herr Schleicher «auf anonyme Kritik» nicht reagiert. Aber ich verstehe auch nicht, warum die «Berner Kriso-Aktivistin» anonym bleiben will und wovor diejenigen, die das Studium abgeschlossen haben, sich fürchten. Weil sie ihre Stelle nicht verlieren wollen? Da möchte ich die Antwort wissen.

Was ich verstehe und ganz richtig finde, ist die Äusserung von Herrn Schleicher in der «Bärner Studizytig». Er habe geschrieben: «Soziale Arbeit erfüllt auch eine Ordnungsfunktion.» Das stimmt sogar ohne «auch». Sozialarbeit ist die beste Versicherung der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Wer Revolution machen will, soll nicht in die Schule der Sozialarbeit gehen.

Asiye Müjgan Güvenli, Winterthur