Stuben und Kommunen: Olten jetzt!

Nr. 18 –

Im Kulturlokal Coq d’Or in Olten treffen sich Kulturszene und Stadtjugend. Es ist einer der Orte, wo das neue Selbstbewusstsein der Kleinstadt herangewachsen ist.

«Wenn man etwas bewegen will, muss man mit allen reden»: Daniel «Kissi» Kissling an der Bar des «Coq d’Or».

In Olten regt sich etwas – genauer gesagt: die Jungen und Linken. So zumindest liest man es aus dem Ergebnis der städtischen Wahlen vom letzten Jahr: Die Juso legte stark zu, die Fraktionen der grossen Parteien wurden verjüngt, und erstmals gewann die Linke die Hälfte der Parlamentssitze. Doch eigentlich schauten an diesem Wahlsonntag alle auf eine neue Lokalpartei, die den Aufbruch schon in ihrem Namen trägt: «Olten jetzt!» holte auf Anhieb vier Sitze im Gemeindeparlament.

Dass die Jungen in Olten in die Politik drängen, dass sie stolz sind auf ihre Kleinstadt und sie gestalten wollen, statt wegzuziehen, hat auch mit einem Ort auf der Rückseite des Bahnhofs zu tun, der auf den ersten Blick ganz unscheinbar wirkt: dem Kulturlokal Coq d’Or. Drei der vier GründerInnen von «Olten jetzt!» standen hier schon hinter dem Tresen oder organisierten Konzerte. Einer von ihnen ist mit dieser Bar nicht nur verbunden, sondern richtiggehend verwachsen: Daniel Kissling oder Kissi, wie sie ihn hier alle nennen, ist seit fünf Jahren Geschäftsführer des Lokals. Man zögert keine Sekunde, den freundlichen Dreissigjährigen mit der Frank-Zappa-Mähne als Stadtoriginal zu bezeichnen.

Das Haus hinter dem Bahnhof

Wir sitzen vor dem «Coq d’Or» an der Abendsonne, und Kissling erzählt von seiner Generation und ihrer Jugend in Olten. «Als Teenager tranken und tanzten wir in der Provinzdisco – die Musik war schrecklich, aber es gab hier nichts anderes.» Kissling studierte in Basel Philosophie und Literatur, doch weggezogen aus der Region ist er nie. Seine Wochenenden verbrachte er in Olten oder an Konzerten in der ganzen Schweiz. «Wir wären damals so froh gewesen um einen Ort wie das ‹Coq›.»

Das «Coq d’Or» wurde 2010 von der Oltnerin Nathalie Papatzikakis gegründet, die damals in Bern Theaterwissenschaft und in Zürich Filmwissenschaft studierte. Dass das Haus hinter dem Bahnhof ihrem Vater gehörte, ermöglichte ihr völlige Freiheit von kommerziellen Zwängen. Obwohl zuerst nur am Samstagabend geöffnet, entstand ein Kulturraum, wie ihn Olten noch nie gesehen hatte: für Lesungen, Performances und international angesagte Bands. Als sie Kissling als ersten Barkeeper anstellte, erfüllte sich für ihn ein kleiner Traum.

Mittlerweile hat er jeden Job einmal gemacht, der in einem solchen Lokal ansteht – heute Abend ist es das Licht. Der Tontechniker kommt aus der Bar und verkündet, dass die Band gleich spiele. Wir gehen an der fröhlich trinkenden Meute in der grosszügig dimensionierten Bar vorbei und hinab in den Keller, das «Coq Noir». Die Zürcher Mathrockband In Love Your Mother schreddert den etwa dreissig Leuten im Keller ihre vertrackten Riffs um die Ohren. Jung, dringlich, fordernd – eine typische Band für das «Coq d’Or».

Geld ist sekundär

Wenn hier eine Band gebucht wird, dann geht es höchstens in zweiter Linie ums Geld. Das Lokal, das als GmbH organisiert ist, hat zwar noch nie Subventionen erhalten, kann das Kulturprogramm aber mit Getränkeeinnahmen quersubventionieren. «Wenn eine Band anfragt, von deren Musik ich begeistert bin, dann sage ich selten Nein», spricht Kissling im Fumoir, dessen Wände von oben bis unten mit Musiknoten tapeziert sind. Dank dieser Einstellung finden sich immer wieder ausgefallene Dinge im Programm, etwa ein zwölfstündiges Konzert der Schweizer Gipsy-Jazz-Band Extrafish. Dass das Programm nicht immer Massen anzieht, wird bewusst in Kauf genommen.

Von der Gründung an war die Musik der Kern des vielseitigen Kulturprogramms des «Coq d’Or». Aus einzelnen Konzerten pro Monat wurden mehrere pro Woche und aus einem Hobby eine der bekannten Adressen der Schweizer Musikszene. Der Rockförderverein Basel hat einmal eine Umfrage unter Basler Bookern, Managerinnen und Bands gemacht, wo sie ausserhalb ihrer Stadt Konzerte besuchen – das «Coq» war unter den zehn meistgenannten Schweizer Klubs.

In den ersten Jahren lagen solche Dimensionen noch in weiter Ferne, und eigentlich hatte es Gründerin Nathalie Papatzikakis gar nie darauf abgesehen. Ihr ging es um die Kultur – ein Unternehmen führen wollte sie nicht. Nach drei Jahren brachte ein Unfall eines Musikers das Fass für sie zum Überlaufen. Papatzikakis erklärte in einem Facebook-Post das Ende des «Coq d’Or».

«Ich habe zuerst mal einen Schnaps getrunken und angefangen, mir einen neuen Job zu suchen», erinnert sich Kissling. «Doch dann habe ich realisiert: Ich will nicht, dass das ‹Coq› zugeht!» Zusammen mit dem Team beschloss er, das Lokal zu retten. Das gelang auch darum, weil die Schriftsteller Alex Capus und Pedro Lenz und der Journalist Werner De Schepper, die damals in Olten eine Bar betrieben, das «Coq d’Or» mit 11 000 Franken unterstützten. Nach einem Jahr verkauften sie Kissling ihren «Anteil» für einen symbolischen Franken zurück.

Frei von Ideologie, voll von Ideen

Mittlerweile gehören das «Coq d’Or» und Kissling genauso zu Olten wie die Holzbrücke über die Aare oder der zentralste Bahnhof der Schweiz. Kein Wunder, wollten ihn die Junge SP und die Grünen auf ihre Listen für die Lokalwahlen setzen. Stattdessen entstand «Olten jetzt!». Obwohl Kissling keinen Hehl aus seiner linken Gesinnung macht, klingen die Erklärungen der Partei eher gemässigt, mit einer populistisch angehauchten Macher-Rhetorik und frei von politischer Ideologie. Olten schöner und lebenswerter machen, so lautet der Tenor.

«Es war auch eine gezielte Strategie, uns bürgerlicher zu verkaufen, als wir sind», erklärt Kissling. Doch er habe sich in den Jahren als Barleiter, in denen er mit Behörden oder der Polizei verhandeln musste, auch einen gesunden Pragmatismus antrainiert. «Wenn man etwas bewegen will, muss man mit allen reden. Es bringt auch nichts, jedes Jahr eine Steuererhöhung zu fordern – so einverstanden ich mit der Idee dahinter bin.»

Dynamik in die Kleinstadt zu bringen, vielleicht weitere Orte wie das «Coq d’Or» zu ermöglichen, ist das Hauptziel von «Olten jetzt!». Die Stadt, meint Kissling, sei dazu fast schon erkoren. «Pedro Lenz hat einmal gesagt, der Vorteil von Olten sei, dass es nichts Bestimmtes sein müsse. Niemand erwartet etwas von Olten, hier ist alles möglich.»