Care-Arbeit: «Ein Kind ergibt doch keinen Mehrwert»

Nr. 24 –

Immer mehr Managementbegriffe, zunehmende Verbetriebswirtschaftlichung: Was nach Professionalisierung tönt und mehr Anerkennung verspricht, entpuppt sich als Entmündigung. Dagegen regt sich Widerstand von Frauen in Care-Berufen – etwa in Kindertagesstätten.

Dass Jelena Valdivia eine engagierte Berufsfrau ist, wird schnell spürbar; auch jetzt, da wir vor der Kita in Zürich Altstetten sitzen, kurz nachdem die Fachangestellte Betreuung Kind nach einem strengen Tag «ausgestempelt» hat.

Valdivias Arbeit beschränkt sich längst nicht «nur» auf die Betreuung der Kinder. Als stellvertretende Kitaleiterin ist die 31-Jährige mit einem Haufen administrativer Arbeiten beschäftigt. Und der wird immer grösser.

«Widerstandstoleranz», mit diesem Wort allerdings sei sie erst kürzlich konfrontiert worden. Auch Managementwörter, die ihr in Kursen zu Fundraising, Führung und Buchhaltung begegnen, tauchen immer häufiger in ihrem Arbeitsalltag auf. «‹Input› und ‹Output› zum Beispiel», sagt sie. «Für ein Unternehmen, das Produkte herstellt, mögen solche Begriffe passen. Doch was heisst das auf uns bezogen, die wir Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen und fördern, betreuen und pädagogisch begleiten? Und was wäre der Output? Die Produktion eines ‹kindergartenfähigen› Kindes? Das ist aber kein Produkt, das einen wirtschaftlichen Mehrwert ergibt. Was wir schaffen, ist ein sozialer Mehrwert. Doch um den zu ermessen, bräuchte es eine Langzeitstudie über mindestens vierzig Jahre.»

Pseudoprofessionalisierung

Valdivias Arbeit ist eine von vielen im Care-Sektor, die zunehmend von einer «Verbetriebswirtschaftlichung» erfasst werden. Der Begriff kommt von der Zürcher Philosophin und Historikerin Tove Soiland, die sich seit Jahren mit dieser Entwicklung beschäftigt, die schon ab den frühen neunziger Jahren eingesetzt hat: «Wir stellen fest, dass im Zuge dessen eine faktische Entmündigung der Care-Arbeiterinnen stattfindet», sagt Soiland.

Auf den ersten Blick mag das überraschen. Denn gleichzeitig findet eine Akademisierung statt, die eine Aufwertung suggeriert. Doch das ist trügerisch: «In einem oft diffusen Sprachgebrauch wird Frauen ein Angebot zur Professionalisierung gemacht, indem sich ihr Beruf vom Stigma des ‹typischen Frauenberufs› reinigen soll», sagt Soiland. Die Krux dabei bestehe darin, dass die Instrumente dazu aus der Güterproduktion kämen, Arbeitsabläufe standardisierten, zu einer massiven Arbeitsverdichtung führten – und für Care-Arbeiten völlig ungeeignet seien.

Die Tatsache, dass immer mehr im Care-Sektor Tätige davon betroffen sind, hat Frauen aus Bereichen wie der Pflege, der Kleinkindererziehung oder der sozialen Arbeit dazu veranlasst, das Thema zum Inhalt eines feministischen Leseseminars des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) zu machen. Seit Anfang Jahr treffen sie sich regelmässig, um gemeinsam mit Soiland eine Gegensprache zu finden. Darunter eine Sozialarbeiterin mit langjähriger Berufserfahrung, die konstatiert, dass die «Professionalisierung» ihres Berufs vor allem zu einer Entpolitisierung geführt habe: «Gesellschaftliche Missstände und Konflikte werden ausgeblendet – und die ganze Problematik auf die Klientel abgeschoben.» Und was die Akademisierung betreffe, so meint eine Pflegefachfrau, habe dies nicht zu einer Aufwertung geführt, sondern ganz im Gegenteil: «Direkte Pflege wird nach unten delegiert.»

Seit sie «nur» noch zu neunzig Prozent in der Kita arbeitet, engagiert sich auch Valdivia gewerkschaftlich beim VPOD. Doch viele Kolleginnen haben dazu schlicht nicht die Zeit. Kommt hinzu, dass es nicht primär um klassisch gewerkschaftliche Forderungen wie etwa nach mehr Lohn geht. Sondern zuerst darum, «die eigene Fachlichkeit zurückzuerobern», wie Lorena Gulino sagt, die bei der Unia für die Ausbildung der GewerkschaftssekretärInnen zuständig ist. Gulino berichtet auch von der «Schwierigkeit der Care-Arbeiterinnen, in Worte zu fassen, wogegen genau man sich auflehnt». Ein weiteres Problem: die Angst vieler Care-ArbeiterInnen, sich zusammenzutun – vor allem in privaten Spitex-Betrieben und Pflegeheimen fürchte man sich davor, den Job zu verlieren.

Permanentes Multitasking

Jelena Valdivia arbeitet seit zwölf Jahren in ihrem Beruf. Damit gehört sie zur letzten Generation von Kitafachfrauen, die noch die generalistische Ausbildung absolviert haben – die Spezialisierung in Kinder-, Betagten- und Behindertenbetreuung wurde erst 2006 eingeführt. «Früher musste man achtzehn sein, um die Ausbildung zu beginnen – heute geht das schon ab fünfzehn», sagt Valdivia. «Viele Kitas leisten sich nur noch eine ausgelernte Fachfrau pro Gruppe mit zehn bis zwölf Kindern.» Anders gesagt: Die Last der Kinderbetreuung wird in vielen Kitas fünfzehnjährigen Praktikantinnen auferlegt – für einen Lohn von nicht mal tausend Franken im Monat.

«Überhaupt, die Finanzen», sagt Valdivia. «Überall herrscht Spardruck. Und weil es ein Frauenberuf ist, wird diese Arbeit grundsätzlich weniger gut bezahlt.» Für Valdivia ist klar: «Es braucht mehr pädagogisch ausgebildetes Personal – damit die, die die Büroarbeiten machen müssen, das auch wirklich machen können.» Heute zum Beispiel sei wieder so ein Tag gewesen, an dem sie bis zu zehn Aufgaben gleichzeitig zu erledigen gehabt habe. «Es ist eine permanente Multitasking-Arbeit. Für die Reflexion der eigenen Arbeit bleibt da keine Zeit. Selbst beim Tischputzen muss ich mich gleichzeitig um Kinder kümmern, die mich grad brauchen.»

Eine Studie der Soziologin Olivia Blöchlinger aus dem Jahr 2014 im Auftrag der Stadt Zürich hat die Vermutung bestätigt, dass es in Kitas «überdurchschnittlich viele Absenzen und eine hohe Fluktuation des Personals gibt», wie das Sozialdepartement in einer Zusammenfassung schreibt. Die Studie liefere Hinweise darauf, «dass krankheitsbedingte Langzeitabsenzen, schlechte Rahmenbedingungen und eine hohe Belastung durch fehlendes Personal» die Hauptursachen seien. «Die geringe gesellschaftliche Wertschätzung trägt dazu bei, dass Betreuungspersonen nicht lange im Beruf verweilen.» Am meisten belaste die Betreuungspersonen, wenn für die Kinder zu wenig Personal vorhanden sei. Und: «Die Arbeitszufriedenheit des Betreuungspersonals ist deutlich tiefer als in anderen Berufen.»

Gerne vergessen werden die körperlichen Belastungen, denen Kitaangestellte ausgesetzt sind: Die Arbeit mit den Kindern erfordert viel Arbeit am Boden, kniend oder auch sitzend. Und dazu die hohe Lärmbelastung. Das alles zusammen würde Forderungen wie etwa nach einer geregelten Frühpensionierung, wie sie in männlich geprägten Berufen auf dem Bau existiert, mehr als plausibel machen.

Doch die gewerkschaftliche Organisation gestaltet sich schwierig. Auch deshalb, weil sich Care-Arbeiten nicht mit industriellen Tätigkeiten vergleichen lassen. Nun aber formiert sich Widerstand: Unter der Bezeichnung «Trotzphase» hat sich Valdivia mit jungen Kitafachfrauen im Grossraum Zürich zusammengeschlossen. «Zunächst geht es darum, dass wir als Arbeiterinnen gehört werden», sagt Valdivia. «Und zweitens um einen Gesamtarbeitsvertrag in der Stadt oder im ganzen Kanton Zürich.»

Valdivia und ihren Mitstreiterinnen geht es aber nicht nur aus Eigeninteressen um bessere Arbeitsbedingungen; mindestens so sehr liegt ihnen eine Verbesserung der Betreuung für die Kinder am Herzen. Diese wiederum kann jedoch nur sichergestellt werden, wenn genügend Personal zur Verfügung steht und angemessen honoriert wird. «Die Richtlinien der Stadt Zürich sind in dieser Hinsicht sehr tief gesetzt», sagt Valdivia. Ginge es nach ihr, könnte die Qualität der Kinderbetreuung allein schon dadurch verbessert werden, dass Praktikantinnen, Zivildienstleistende und Lernende nicht mehr im Betreuungsschlüssel mitgezählt würden.

Theorie und Praxis

Wie sich gegen die schleichende Entmündigung wehren? Den Frauen im Leseseminar geht es zuerst darum, Erfahrungen auszutauschen, die berufsübergreifende Solidarität zu stärken und eine eigene gemeinsame Sprache zu finden. Erst auf dieser Basis, so sind sie überzeugt, können konkrete gesellschaftliche Forderungen formuliert werden. Grundsätzlich, so Soiland, soll ein Prozess in Gang gesetzt werden, «der die Definition guter Arbeit im Care-Sektor wieder in die Hände der Praktikerinnen zurückverlegt». Bereits stehen mögliche Forderungen im Raum: so etwa die Aufhebung der an die Mittelvergabe geknüpften Auflage, ein Qualitätsmanagement einzuführen; die Rücknahme des prospektiven Abrechnungssystems und der damit verbundenen Output-Steuerung, die Care-Arbeiterinnen dazu zwingt, ihre Leistung als «Ware» zu designen, oder die Einsetzung von Arbeitsgruppen, in denen die Praktikerinnen die Kriterien für gute Arbeit selber festlegen.

Dass die beteiligten Frauen am 14. Juni, dem Erscheinungstag dieser WOZ, im Zürcher Volkshaus zu diesem Thema erstmals öffentlich in Erscheinung treten, hat seinen Grund: An diesem Tag legten im Sommer 1991 rund eine halbe Million Frauen ihre Arbeit nieder. Seither sind bald drei Jahrzehnte vergangen – und doch verdienen Frauen nach wie vor nur ein Drittel des gesamten Lohnvolumens. Unter anderem gerade deshalb, weil sie mehrheitlich im Care-Sektor tätig sind, wo aufgrund des «Produktivitätspakts» mit den Gewerkschaften (wonach Lohnsteigerungen immer an eine Produktivitätssteigerung gekoppelt sind) generell tiefere Löhne bezahlt werden. Dass neben dieser Diskriminierung weitere Schikanen hinzugekommen sind, unter denen vor allem berufstätige Frauen leiden, wird darob gerne vergessen.

Doch was zum Teufel meint «Widerstandstoleranz»? Ach ja, sagt Valdivia, dieses Wort. Das sei ihr kürzlich an einem Weiterbildungskurs zum Thema Führung zu Ohren gekommen – als Antwort auf die Frage, wie man als leitende Angestellte damit umgehen soll, wenn einem wegen zu wenig Personal ein Burn-out drohe. «‹Indem ich meine Widerstandstoleranz stärke!›: So lautete kurz gefasst die Antwort der Kursleitung», sagt Valdivia. Die zynische Lehre also, die die Kursteilnehmerinnen daraus hätten ziehen sollen: zu lernen, wie man die eigene Belastbarkeit erhöht – und nicht, wie die Überbelastung verringert werden könnte.

«Professionalisierung – oder Ökonomisierung»: Öffentlicher Abschluss des feministischen VPOD-Leseseminars mit Tove Soiland, mit Referaten und szenischen Inputs, in Zürich, Volkshaus, Do, 14. Juni 2018, 19 Uhr.