WM-Mania: Die Alternative: Ein Pokal für die Diversität

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Die WM besteht nicht nur aus Kommerz und Nationalismus. In St. Petersburg gibt es Ansätze von Widerstand.

Für Fans sind die Bedingungen in St. Petersburg während der Fussball-WM optimal. Es gibt günstiges Bier, die Polizei übt sich in extra dafür antrainierter Zurückhaltung, und die historische Kulisse fasziniert ohnehin. Eine lokale Gruppe steht dem kommerziellen Spektakel kritisch gegenüber und will daraus einen «Pokal für Menschen» machen: «Cup for People», so heisst ihr Projekt, das während der WM mit bescheidenen Mitteln einen alternativen Zugang zur Stadt vermitteln will.

Es werden geführte Stadttouren angeboten mit einem Augenmerk auf die Menschenrechte, die Umwelt und die Situation der LGBTIQ-Community. Auf dem Programm stehen verschiedenste Vorträge, Workshops und Trainings. So bietet eine Gruppe mit Unterstützung des Krisenzentrums für Frauen Schulungen für Barpersonal an. Das Ziel ist es, gendermotivierte Gewalt zu verhindern. Wer nach Cafés und Läden sucht, die zumindest ansatzweise nach ökologischen und sozialen Grundsätzen wirtschaften, findet auf der Website des Projekts einen Stadtplan mit entsprechenden Adressen.

Gedichte und Apfelkuchen

Ideengeberin des «Cup for People» ist die 31-jährige Ökonomin Olga Poljakowa. Inspiriert haben sie die Gegenveranstaltungen zum G20-Gipfel letztes Jahr in Hamburg. Mit ihrem auf sozial-ökologische Geschäftspraktiken ausgerichteten Bildungsprojekt «Trawa» (Gras) verfügt sie über viel Erfahrung im Umgang mit selbstorganisierten Initiativen. Im Februar gab sie den Anstoss, die WM als Anlass zur besseren Vernetzung unterschiedlichster lokaler Projekte zu nutzen. Zu Hilfe kam ihr das Netzwerk Football Against Racism in Europe (Fare): Es schafft in Moskau für die Zeit der Spiele einen Ort, in dem Rassismus und Diskriminierung im Fussball thematisiert werden – das «Diversity House». Mit Geldern von Fare konnten auch Räumlichkeiten für ein Petersburger Pendant angemietet und einige der anfallenden Kosten gedeckt werden.

Der atmosphärisch mit grünem Kunstrasen ausgestaltete Raum in einem durchgestylten Hinterhof befindet sich im historischen Stadtzentrum. Zur Fanmeile sind es mindestens dreissig Gehminuten. «Zur Fanszene haben wir leider keinen Kontakt», sagt Olga Poljakowa bedauernd. Trotzdem strahlt sie Optimismus aus und ist sich sicher, dass die Nachricht vom Diversity House die Runde machen wird und mehr und mehr Leute den Weg dorthin finden werden. In der Mitte des Raums erteilt eine Tanzlehrerin derweil zwei jungen Frauen eine Anfangslektion in Ballett.

Am Empfangstresen herrscht kein Hochbetrieb, aber gegen Abend, der zur Sommerzeit fast so hell ist wie der Tag, schauen immer mal wieder Neugierige vorbei. Ein Dichter in Hippie-Look aus Tscheboksary, einer Stadt 670 Kilometer östlich von Moskau, deklamiert einige seiner kurzen Werke und bedient sich dann am Apfelkuchen, den jemand mitgebracht hat. Eine junge Frau preist Fotos aus der russischen Provinz mit Motiven aus dem Amateurfussball an. Schliesslich taucht sogar der erste ausländische Fan auf. Der junge Ägypter hat sich per Twitter über das Diversity House informiert und studiert aufmerksam die von Fare platzierte Ausstellung über Minderheiten im Fussball. Er stolpert über das Wort «gypsy», was ein längeres Gespräch über die Zustände in Russland provoziert. Polizeiwillkür sei ihm vertraut, aber er habe in den vergangenen Tagen in Jekaterinburg und Moskau nur gute Erfahrungen gemacht.

Plötzlich viel Aufmerksamkeit

Elena Belokurowa, eine umtriebige Petersburger Soziologiedozentin und Aktivistin, reagiert derweil genervt auf einen Journalisten von Reuters TV. Ausländische JournalistInnen stellten immer die gleichen eintönigen Fragen, findet sie. Den Tag zuvor drehte sich alles darum, dass dem Diversity House kurzfristig und ohne Angabe von Gründen ein Raum direkt neben der Fanzone gekündigt worden war und sie rasch nach einer Alternativlösung suchen mussten. War das politisch motiviert? Eher ja.

Aber Belokurova findet, dass die Realität mehr Facetten zu bieten hat, und will lieber über die Inhalte des «Cup for People» reden. Das sei aber gar nicht so einfach: «Wir sind auf so viel Aufmerksamkeit von aussen gar nicht eingestellt und verstehen selber noch nicht, wie wir komplizierte Sachverhalte vermitteln sollen.»