Klima und Antirassismus: Ohne Grenze, für den Boden

Nr. 32 –

Das Gras wächst nicht mehr. Die Wiesen in vielen Ostschweizer Tälern sehen aus wie in der Provence: braun und verbrannt. Die LandwirtInnen verfüttern das Heu, das für den Winter bestimmt wäre, viele müssen bereits Kühe schlachten. Im Thurgau vertrocknet das Gemüse, im Rhein sterben Äschen und Forellen und Feuerwehrleute überwachen nervös die staubtrockenen Wälder.

Doch abgesehen von den direkt Betroffenen scheint kaum jemand ernsthaft besorgt. Je virtueller eine Ökonomie funktioniert – und die finanzplatzabhängige Schweiz steht da weit vorne –, desto weniger scheint sie durch Stürme, Dürren oder Ressourcenknappheit verwundbar. Es stimmt ja auch: Der Staat, die Berghilfe, notfalls die Glückskette werden die hitzegeschädigten LandwirtInnen unterstützen. Und die kaufkräftige Schweiz kann auf der ganzen Welt Lebensmittel einkaufen, auch wenn sie teurer werden – ob mit oder ohne neue Freihandelsabkommen. Vielleicht wird es in den nächsten Jahrzehnten nötig sein, grosse Speicherseen für die Bewässerung zu bauen. Konflikte mit dem Landschaftsschutz sind absehbar – doch die Mittel, die sind vorhanden.

Die Klimakatastrophe trifft nicht alle gleich. Die Hoffnung der Hippiegeneration, die ökologische Bedrohung bringe die PassagierInnen des «Raumschiffs Erde» dazu, sich auf das Gemeinsame zu besinnen, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Der Egoismus nimmt zu. Und die Erwärmung trifft ausgerechnet jene am härtesten, die am wenigsten dafür können. Zur kolonialen kommt noch die geografische Ungerechtigkeit: In den Tropen sind die Böden empfindlicher, die Stürme heftiger, und viel mehr Menschen leben direkt am Meer. Wie die kanadische Autorin Naomi Klein gezeigt hat, leiden auch im Norden arme Nichtweisse am meisten unter dem fossilen Wirtschaftsmodell: Teersandabbau vergiftet indigene Territorien in Kanada, Hurrikane zerstören zuerst die schlecht gebauten Häuser armer schwarzer Familien an den US-Küsten. Die Liste ist endlos.

Der Soziologe Bruno Latour propagiert eine Hinwendung zum «Terrestrischen» – als Alternative zur neoliberalen Globalisierung wie auch zur nationalistischen Abschottung (siehe WOZ Nr. 27/18 ). Ihm geht es unter anderem darum, die Bindung an reale Landstriche neu zu denken – was ohnehin nottut, denn dauernd um die Welt fliegen liegt nicht mehr drin. Als positives Beispiel des «Terrestrischen» nennt Latour die «zones à défendre» (ZAD), Gebiete, die besetzt werden, um umweltschädliche Grossprojekte wie den Neubau des Flughafens Nantes zu verhindern. «Das Terrestrische hängt zwar an Erde und Boden, ist aber auch welthaft in dem Sinne, dass es sich mit keiner Grenze deckt und über alle Identitäten hinausweist.»

Das Traurige ist, dass solche «terrestrische» Tendenzen schon stärker waren: in der Bewegung für eine andere Globalisierung um die Jahrtausendwende, die das Entwicklungsmodell aus Wachstum, Deregulierung und Umweltzerstörung vehement ablehnte und gleichzeitig die internationale Solidarität hochhielt, inspiriert von den aufständischen indigenen KleinbäuerInnen in Chiapas in Mexiko. Seither haben viele Linke die Globalisierungskritik egoistischen Rechten überlassen. Und im Süden sind Millionen Menschen Teil der Konsumgesellschaft geworden. Europa hat keinerlei Recht, diese Entwicklung zu kritisieren, aber sie verschärft die Ressourcenkonflikte innerhalb der Länder und zeigt einmal mehr, dass das westliche Konsummodell nicht weltverträglich ist.

Die Bewegungen, die seither an Gewicht gewonnen haben, sind Feminismus und Antirassismus. «Terrestrisch» sind sie allerdings zumindest im Norden noch kaum. Viele europäische Linke empören sich über koloniales Unrecht und finden es gleichzeitig völlig normal, mehrmals im Jahr um die halbe Welt zu fliegen. Natürlich, «korrekt» leben ist unmöglich – aber eine ernsthafte, nicht nur private, sondern politische Suche nach einer weltverträglicheren Lebensweise ist trotzdem dringend. Denn die fossile Wirtschaft erzeugt koloniales Unrecht, jetzt und in Zukunft.