#Unteilbar in Berlin: Eine Viertelmillion gegen den Spuk

Nr. 42 –

242 000 Menschen zählten die VeranstalterInnen, und selbst wenn sie damit etwas hoch gegriffen haben sollten: Es waren überwältigend viele, die am Samstag in Berlin unter dem Motto «#Unteilbar» auf die Strasse gingen. Gegen Rechts, gegen Rassismus, für «Solidarität statt Ausgrenzung», wie es im Aufruf hiess. Seit den Protesten gegen den Irakkrieg 2003 gab es in Deutschland keine solch grosse Demo mehr.

Mitten im Oktober war dies der abschliessende Höhepunkt eines langen deutschen Sommers der Grossdemonstrationen. Zigtausende haben ihre Stimme erhoben: in München gegen die Ausweitung von Polizeibefugnissen und rechte Hetze, beim Hambacher Forst gegen den Braunkohleabbau, in Chemnitz gegen Nazis, gleich in einer ganzen Reihe von Städten gegen die Kriminalisierung privater Seenotrettung auf dem Mittelmeer. #WirSindMehr, #HambiBleibt, #Ausgehetzt: Der oft belächelte Hashtag-Aktivismus hat den Weg vom Internet auf die Strasse gefunden.

Natürlich stellt sich die Frage, inwiefern damit tatsächlich politische Umwälzungen angestossen werden. Denn die markigen Slogans sind zunächst einmal Wunschdenken; als Tatsache formuliert, sollen sie zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Auch hinter #Unteilbar steckt ein frommer Wunsch: Hunderte aktivistische Organisationen und Initiativen wollten klarstellen, dass sie sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Dass also ihre Kämpfe gegen Faschismus, Überwachung und die Aushöhlung von Grundrechten, gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen Sexismus und Homophobie, gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, für bezahlbaren Wohnraum oder auch für Klimagerechtigkeit nicht getrennt voneinander zu denken sind.

Manche deutsche Medien monierten, dass in Berlin «Linksextremisten» eine Plattform geboten worden sei, während andere die DemonstrantInnen als weltfremde «Gutmenschen» bezeichneten. Das war zu erwarten und überschattet nicht das ermutigende Signal, das von Berlin ausgesendet wurde. Gleichzeitig war aber schon im Vorfeld deutlich geworden, dass sich der innerlinke Schulterschluss allein mit dem Slogan «#Unteilbar» noch lange nicht vollziehen lässt. Zu Recht wurde etwa kritisiert, dass unter den teilnehmenden Organisationen vereinzelt auch solche zu finden waren, die in der Vergangenheit mit islamistischen und judenfeindlichen Positionen sowie einer problematischen Nähe zu autoritären Regimes aufgefallen waren. Ein ernstes Problem, das denn auch von mehreren RednerInnen aufgegriffen wurde. Zudem hatte bezeichnenderweise Sahra Wagenknecht, Kofraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, im Namen der von ihr gegründeten Sammlungsbewegung «Aufstehen» verkündet, dass man die Demonstration nicht unterstütze. Wagenknecht werbe dafür, auch Menschen einzubeziehen, «die für eine Regulierung der Migration eintreten», hiess es in einer Stellungnahme der Bewegung. Womit sie die Unteilbarkeit der deutschen Linken beim Kernthema Migration einmal mehr einer gezielten Belastungsprobe unterzog.

Dennoch kamen am Samstag fast eine Viertelmillion Menschen. Vielen von ihnen dürfte es ganz einfach darum gegangen sein, ein Zeichen gegen den Rechtsrutsch der letzten Jahre und insbesondere gegen die AfD zu setzen. Für sie mochte #Unteilbar für den Wunsch stehen, dass endlich «etwas passiert», dass der ganze rechte Spuk bald vorbeigeht und sich die hässlichen Geister der Vergangenheit wieder verkriechen. Mit diesem Ansinnen hatten auch der Schriftsteller Jonas Lüscher und der Philosoph Michael Zichy für denselben Tag weitgehend erfolglos zur europaweiten Grossdemo aufgerufen (siehe WOZ Nr. 33/2018 ). Wohl nicht zufällig hat die Mobilisierung bei #Unteilbar ungleich besser funktioniert. #Unteilbar war eben keine Kopfgeburt, sondern der öffentlichkeitswirksame Zusammenschluss linken Engagements, wie es seit Jahren und Jahrzehnten an unzähligen Orten geleistet wird. Und darin liegt das eigentliche Potenzial solcher Grossdemos: Sie machen erfahrbar, dass schon lange «etwas passiert» – und dass es dafür breiten gesellschaftlichen Rückhalt und Anerkennung braucht, wenn der rechte Vormarsch in Europa gestoppt werden soll.