Syngenta: Ein Mord in Brasilien

Nr. 50 –

Kürzlich sorgte Syngenta für Empörung. Der Basler Chemie- und Saatgutkonzern hatte vor zwei Jahren eine Gewinnbeteiligung versprochen: In der Schweiz sollte 2017 jeder und jede Angestellte 1200 Dollar bekommen. Das war kurz vor der Übernahme durch die chinesische Chemchina, die inzwischen vom Staatskonzern Sinochem geschluckt wurde. Auf das versprochene Geld warten die Angestellten noch heute.

Eine andere Neuigkeit fand hingegen keine Beachtung: Ende November hat ein brasilianisches Gericht in einem Zivilprozess Syngenta zweitinstanzlich als verantwortlich für Mord und Mordversuch zu Schadenersatz verpflichtet. Keine einzige Deutschschweizer Zeitung berichtete bisher darüber.

Die Verbrechen geschahen 2007 und sind gut dokumentiert. Damals besass Syngenta ein Gelände im Bundesstaat Paranà, nur vier Kilometer vom Iguaçu-Nationalpark mit seinen berühmten Wasserfällen entfernt. 2005 entdeckten BäuerInnen, dass Syngenta dort mit Gentechsoja experimentierte – was so nahe am Nationalpark illegal war. Die brasilianische Umweltbehörde büsste den Konzern. Doch Syngenta weigerte sich zu bezahlen. Bald stellte sich heraus, dass auch Versuche mit Gentechmais stattfanden. Nun besetzte die Landlosenbewegung MST mehrmals das Gelände. Auf die dritte Besetzung im Herbst 2007 reagierte Syngenta brutal: Sie liess die Miliz N. F. Segurança auffahren, die sofort zu schiessen begann. Die Pistoleros richteten den Aktivisten Valmir Mota de Oliveira regelrecht hin, schossen der Kleinbäuerin Isabel Nascimento de Souza ins Auge und verletzten weitere Anwesende.

Amnesty International und viele weitere Organisationen protestierten, die bäuerliche Bewegung Via Campesina demonstrierte vor dem Syngenta-Hauptsitz in Basel. Der damalige Schweizer Botschafter in Brasilien entschuldigte sich bei der Witwe des Ermordeten. Unter Druck geraten, übergab Syngenta das Versuchsgelände dem brasilianischen Staat. 2015 sprach dann ein regionales Gericht den Konzern schuldig. Nun hat das Gericht des Bundesstaats Paranà das Urteil bestätigt.

Der MST ist eine der grössten und am besten organisierten bäuerlichen Bewegungen der Welt. Mehr als eineinhalb Millionen Menschen gehören ihm an, Hunderttausende haben sich bereits Zugang zu Land erkämpft. Ungenutztes Agrarland soll einer Landreform zugeführt werden: Das steht in der brasilianischen Verfassung. Doch ohne die Besetzungen des MST ginge die Umsetzung kaum voran.

Der MST betreibt eigene Schulen, Produktions- und Verarbeitungsgenossenschaften, betont die Gleichberechtigung der Geschlechter und gehört zu den Pionieren der ökologischen Landwirtschaft in Brasilien. Doch den GrossgrundbesitzerInnen, die mit Saatgut und Maschinen multinationaler Firmen und enormem Pestizideinsatz Soja, Mais, Zuckerrohr und Fleisch für den Export produzieren lassen, war er schon immer lästig.

Der Aufstieg des rechtsextremen neuen Präsidenten Jair Bolsonaro macht sie übermütig. In der Wahlnacht überfielen Schlägertrupps ein MST-Camp, zwei Tage später zündeten Bolsonaro-AnhängerInnen ein anderes an. Letzte Woche schossen Vermummte auf MST-AktivistInnen und töteten zwei. In dieser Atmosphäre ist die Verurteilung von Syngenta ein Erfolg für alle, die sich für Menschenrechte und gegen Straflosigkeit einsetzen. Und ein Signal: Menschen darf man nicht einfach erschiessen, auch wenn sie Land besetzen.

Die Schweiz träumt von einem Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, zu denen Brasilien gehört. Freihandel würde den Agrarexport stärken – und damit genau jene brutalen GrossgrundbesitzerInnen, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Diese Woche hat die linke NGO Solifonds eine Petition eingereicht: Die Schweiz soll sich für die Menschenrechte in Brasilien einsetzen und darf in der heutigen Situation kein Freihandelsabkommen abschliessen.

Syngenta schreibt auf Anfrage der WOZ auf Englisch, man sei «tieftraurig» über den «Vorfall» von 2007, der sich «zwischen gewalttätigen Gruppen» ereignet habe. Syngenta habe nichts mit der «tragischen Konfrontation» zu tun und werde das Urteil weiterziehen.