Urheberrecht: Darf ichs hören?

Nr. 34 –

Die Unterhaltungsindustrie sieht überall Piraten am Werk. Und geht mit teilweise fragwürdigen technischen Mitteln gegen sie vor.

Verwirrung herrscht: «Die wenigsten Nutzer können angesichts der komplexen rechtlichen Situation einschätzen, was erlaubt ist. Wenn man nicht weiss, was legal ist, kann man natürlich auch nicht zwischen legalen und illegalen Angeboten unterscheiden.» Was der Hamburger Rechtsanwalt Till Kreuzer, Autor einer Studie über die digitale Medienwelt, unlängst zu Deutschland schrieb, kann auch für die Schweiz gelten. Und nicht nur die NutzerInnen sind sich im Unklaren. Selbst das juristische Fachpersonal bewegt sich auf wackligem Terrain. So auch Mitte Juli in Frauenfeld.

Wo kein Täter, da kein Helfer

Ein Exempel sollte statuiert werden. Doch das Gericht machte nicht mit. Stattdessen muss der Thurgauer Staatsanwalt noch einmal über die Bücher. Mitte Juli stand ein 25-jähriger Mann vor dem Bezirksgericht Frauenfeld. Die Swiss Anti-Piracy Federation hatte ihn angezeigt. Die Lobbyorganisation im Dienste der internationalen Film-, Musik- und Softwareindustrie ist der Ansicht, der Frauenfelder habe «gewerbsmässige Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung» geleistet. Ohne einen Haupttäter könne niemand der Beihilfe bezichtigt werden, befand jedoch das Gericht. Der Angeklagte hatte bis 2004 auf einer Website auf urheberrechtlich geschütze Dateien im Internet verwiesen.

Diese Dateien haben indes unbekannte Dritte bereitgestellt. Der Angeklagte selbst hatte keinerlei Daten widerrechtlich verfügbar gemacht. Ausserdem: Nach geltendem Recht dürfen urheberrechtlich geschützte Daten für den Eigengebrauch selbst aus illegalen Quellen bezogen werden. Das soll auch so bleiben. Es könne nicht Aufgabe des Nutzers sein, die Legalität eines Angebots vor dessen Nutzung abzuklären. «Das ist für den Durchschnittskonsumenten zum Teil schlicht unmöglich zu beurteilen», sagt Carlo Govoni, Jurist im Institut für geistiges Eigentum. Das in Russland basierte Musikportal allofmp3.com etwa erweckt den Anschein einer legalen Bezugsmöglichkeit für digitale Musik - nicht zuletzt, weil es kostenpflichtig ist. Wer bezahlt, geht davon aus, dass damit auch die Rechte der KünstlerInnen abgegolten werden. Alles gehe mit rechten Dingen zu und her, sagen die russischen Betreiber des Portals - das Gegenteil behauptet die Unterhaltungsbranche.

Alles, was recht ist

Seit Musik, Filme, aber auch Texte vermehrt in digitaler Form verfügbar sind, weiss offenbar niemand so recht, was Recht ist. Klarheit schaffen soll in der Schweiz das neue Urheberrechtsgesetz (URG). In Kraft treten wird die Novelle frühestens in zwei Jahren (siehe unten). Gemäss Bundesrat soll das neue Urheberrechtsgesetz «einen ausgewogenen, den Anforderungen der Informationsgesellschaft entsprechenden Schutz des Kulturschaffens sichern». Das ist leichter gesagt als getan.

Weiterhin klaffen die Meinungen und Einschätzungen weit auseinander; richtig zufrieden ist niemand. Der Unterhaltungsindustrie gehen die vorgesehenen Regelungen zu wenig weit. Sie befürchtet, dass der «Piraterie» nicht wirklich ein Riegel geschoben wird. Auf der anderen Seite stehen die KonsumentInnen und ihre Lobbyorganisationen: Sie sehen den freien Informationsfluss gefährdet und warnen vor überzogenen technischen Schutzmassnahmen. Die Musiker, Künstlerinnen, Autoren, kurz: die UrheberInnen, stehen irgendwo dazwischen und vertreten keine einheitliche Position. Umstritten sind insbesondere technische Schutzmassnahmen wie Zugangs- und Kontrollsperren, auch bekannt als Digital Rights Management (DRM).

DRM bezeichnet technische Massnahmen, die das Kopieren von Dateien verhindern. Nach neuem Gesetz soll es verboten sein, solche zu umgehen. Allerdings darf ein Nutzer auch in Zukunft eine Kopiersperre umgehen, wenn dies zum Zweck erfolgt, das Werk in gesetzlich erlaubter Weise zu verwenden. Diese Bestimmung löst bei vielen Vertreter-Innen der Musik- und Filmindustrie nur Kopfschütteln aus. Sie fordern einen wirksamen Schutz, wie ihn etwa das EU-Recht vorsieht. In jeder Ausnahmebestimmung sehen sie einen möglichen Einnahmeverlust. Denn mithilfe digitaler Rechteverwaltung will die Unterhaltungsindustrie die Beziehung zu ihren Kunden neu organisieren. Das heisst: Wer ein Angebot nutzt, soll dafür bezahlen - wer keines nutzt, zahlt auch nicht. So weit die Theorie.

Was du darfst, sagen wir

In der Praxis sind wir schon heute mit zahlreichen DRM-Mechanismen konfrontiert - meist ohne dass wir sie bewusst als solche wahrnehmen. So sind zum Beispiel DVDs mit einem sogenannten Regionalcode versehen, der dafür sorgt, dass ein bestimmter Film nur auf einem Gerät abgespielt werden kann, das diesen Code lesen kann. Damit wollte die Filmindustrie ursprünglich verhindern, dass eine DVD aus einer Region, wo die Kinoauswertung bereits abgeschlossen und der Film bereits im Handel erhältlich ist, in einer anderen Weltregion betrachtet werden kann, wo der Film noch im Kino läuft.

Sony blamiert sich

Einen Schritt weiter gegangen ist Sony BMG. Der japanisch-deutsche Musikkonzern hatte im vergangenen Herbst in mehreren Ländern (nicht in der Schweiz) Musik-CDs auf den Markt gebracht, die ein Softwarepaket enthielten, das sich mittels eines - für die BenutzerInnen unsichtbaren - sogenannten Rootkits tief in den Computer einnistete. Das Programm, das ermöglicht, eine CD von Sony BMG auf dem Computer abzuspielen, spioniert die NutzerInnen aus und schickt Informationen über allfälliges Kopieren von Musiktiteln, aber auch über die Hörgewohnheiten der Sony-KundInnen an das Unternehmen. Der Rootkit, der dieses Ausspionieren ermöglicht, öffnet aber nicht nur für Sony, sondern auch für Schadsoftware Tür und Tor.

Auf öffentlichen Protest zeigte sich Sony vorerst uneinsichtig: Wenn ja die NutzerInnen nichts von dieser Software bemerkten, müsse man sie auch nicht informieren. Erst unter wachsendem Druck krebste das Unternehmen zurück und sprach sogar von einer Blamage.

Mindestens ein Hersteller von Antivirensoftware wusste über dieses Rootkit Bescheid, verzichtete aber darauf, seine Software mit einer entsprechenden Warnung nachzurüsten. Offenbar fürchtete man die Macht des Unterhaltungsriesen und wollte sich nicht der Umgehung einer Kopierschutzmassnahme schuldig machen. Der Fall Sony/Rootkit zeigt - Sonys Rückzieher hin oder her -, in welche Richtung die Bemühungen der Unterhaltungsindustrie gehen. Nicht nur die Medieninhalte und die Trägermedien sollen mit Kontrolltechnologie versehen werden, sondern vermehrt auch die Abspielgeräte. Eine geschlossene Kopierschutzkette als das höchste aller Gefühle für den modernen Medienmanager. Nur: Der Druck, als Erster mit neuen Produkten auf dem Markt zu sein, kann da schon mal einen Strich durch die Rechnung machen. So ist letzte Woche bekannt geworden, dass das erste Laufwerk von Sony für den DVD-Nachfolger Blu-Ray Disc nicht imstande sein wird, kopiergeschützte Filme abzuspielen. Es sei denn, man umgeht diesen Mangel mit einem technischen Kniff. Aber das wäre dann illegal.

«Nicht der Konsument muss seine Unschuld beweisen»


WOZ: Herr Tschöpe, Apple verkauft Musikstücke, die nur auf dem ebenfalls von Apple hergestellten iPod gehört werden können. In mehreren europäischen Ländern ist vonseiten der Konsumentenlobby massive Kritik an dieser Geschäftspraxis zu vernehmen. Weshalb nicht in der Schweiz?

Andreas Tschöpe: Wir sehen die gleichen Probleme wie unsere Schwesterorganisationen in Deutschland, Frankreich oder Norwegen. Wir versuchen unsere Anliegen im Rahmen der laufenden Revision des Urheberrechtsgesetzes einzubringen und dafür zu sorgen, dass es für solche geschlossenen Systeme keine Rechtsgrundlage mehr gibt.

Mit welchen Problemen treten KonsumentInnen an Sie heran?

Ein Beispiel: Jemand entscheidet sich, bei einem bestimmten Anbieter im Internet Musik zu kaufen, weil sie sich nicht mehr länger in der juristischen Grauzone der Tauschbörsen aufhalten will. Als sie die legal erworbenen Tondateien auf CD brennt und danach im Büro hören will, bleibt der Computer stumm.

Hätte diese Person das Kleingedruckte in den allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen, wäre sie nicht enttäuscht worden.

Ja. Aber es sind eben genau solche Geschäftsbedingungen, die dafür sorgen, dass sich die Leute wieder von den legalen Angeboten abwenden und sich ihre Musik in Tauschbörsen besorgen.

Auch wenn der Gesetzesentwurf in der Frage der Tauschbörsen den Konsumentinnen und Nutzern entgegenkommt, halten Sie ihn für unausgewogen. Weshalb?

Die Balance wird klar zuungunsten der Konsumenten verschoben. So soll etwa das Kopieren von urheberrechtlich geschützten Daten für den Eigengebrauch unter Strafe gestellt werden.

Für gesetzlich erlaubte Nutzungen eines Werks darf eine technische Schutzmassnahme, etwa eine Kopiersperre, umgangen werden.

So steht es tatsächlich auf dem Papier. Das ist aber Makulatur, da ja das Herstellen, Einführen, Anbieten, Veräussern solcher Umgehungshilfen grundsätzlich verboten werden soll.

Es kann davon ausgegangen werden, dass solche Umgehungshilfen auch in Zukunft irgendwo im Internet zu finden sein werden.

Das mag sein. Der Durchschnittskonsument wird aber nicht speziell danach suchen, zumal er ja weiss, dass die Umgehung von technischen Schutzmassnahmen strafbar ist.

Sehen Sie einen Ausweg aus diesem Dilemma?

Der Gesetzgeber müsste einfach den Passus streichen, wonach das Herstellen, Einführen, Anbieten und Veräussern der Umgehungshilfen verboten ist. Dann kann die Durchschnittskonsumentin die Kopie zum Eigengebrauch erstellen. Und es liegt an der Musik- und Unterhaltungsindustrie nachzuweisen, dass jemand das Gesetz bricht - also massenweise und mit kommerziellen Absichten und somit nicht zum Eigengebrauch kopiert. Und nicht der Konsument muss beweisen, dass er unschuldig ist. Das ist ein fundamentales rechtsstaatliches Prinzip.

Der Bundesrat will eine Beobachtungsstelle einrichten, die in möglichen Grenzfällen schlichtend eingreift. Reicht das denn nicht?

Nein. Diese Stelle schafft nur unnötige Bürokratie. Wirklich einschreiten kann sie nur, wenn dies der Bundesrat will. Im Zusammenhang mit dieser Stelle gibt es im Gesetzesentwurf zu viele Kann-Bestimmungen.

Es ist kaum davon auszugehen, dass das Gesetz im Sinne des Konsumentenschutzes verabschiedet wird. Was dann?

Wenn vom Gesetz solche restriktiven Geschäftspraktiken geschützt werden, wie wir sie heute bereits kennen, dann verlieren legale Möglichkeiten, im Internet Musik und Filme sowie kopiergeschützte CDs und DVDs im Laden zu kaufen, an Attraktivität. Als Alternativen locken dann die Tauschbörsen. Insofern betrachten wir den Gesetzesvorschlag, wie er sich heute präsentiert, als nicht eben innovativ und marktfreundlich. Ich habe manchmal den Eindruck, gewisse Kreise sind sich zu wenig bewusst, dass sie nur deshalb überleben, weil es Leute gibt, die bereit sind, Geld auszugeben für Musik und andere Werke. Wenn die Konsumentinnen nun übermässig eingeschränkt werden, vergeht ihnen auch die Lust am Konsumieren.

Interview: Nick Lüthi



Urheberrechtsgesetz

Das geltende Gesetz über das Urheberrecht (URG) stammt von 1992. Seither hat sich die Medienrealität stark verändert. Leitplanken für die längst fällige Revision des URG sind zwei Abkommen der Weltorganisation für geistiges Eigentum. Die UnterzeichnerInnen, unter ihnen die Schweiz, verpflichten sich zu einem «hinreichenden Rechtsschutz und wirksamen Rechtsbehelfen gegen die Umgehung wirksamer technischer Massnahmen». Das neue Gesetz soll die Interessen der verschiedenen Akteure - Kulturschaffende, Unterhaltungsindustrie, Medienunternehmen, NutzerInnen - angemessen schützen. Ein Gesetzesentwurf ging im Oktober 2004 in die Vernehmlassung, die Antworten gingen zum Teil diametral auseinander. Der Bundesrat hat eine Vorlage zuhanden des Parlaments ausgearbeitet. Als erstes parlamentarisches Gremium befasste sich am 23. August die Rechtskommission des Ständerats mit der Revision.

www.urheberrecht.ch

Andreas Tschöpe ist konsumenten-politischer Fachsekretär der Stiftung für Konsumentenschutz