Von oben herab: Aus kontrollierter Wertarbeit

Nr. 3 –

Stefan Gärtner über entgrenztes Helene-Fischer-Lob

Dass die Schweizerischen Bundesbahnen neuerdings einen sog. Pannenzug haben, ist für einen Deutschen eher keine Nachricht, und die Tatsache, dass ein Pannenzug überhaupt eine Nachricht ist («Die SBB können ihren neuen Doppelstockzug nur bedingt einsetzen. Die milliardenteure Anschaffung hat Mängel») und nicht der reine Alltag, sollte für verärgerte helvetische Bahnreisende Grund genug sein, sich lieber über die Idee zu freuen, dass in ihren Zügen «ein Techniker von Bombardier» mitfährt, damit, zitiert der «Tages-Anzeiger» die braven SBB, «‹im Akutfall möglichst schnell reagiert werden kann›. Zudem steht den Lokführern eine Hotline mit Fachleuten zur Verfügung.» Weiter nördlich würde diese Hotline sofort zusammenbrechen, und die Züge wären noch voller, weil fürs technische Personal ein ganzer Waggon reserviert werden müsste.

Aber apropos deutsche Wertarbeit: Helene Fischer hat sich von Florian Silbereisen getrennt, und trotzdem hatten sie jetzt gemeinsam irgendeine Unsinnsshow zu absolvieren. Da ich praktisch überhaupt nicht mehr fernsehe, wäre mir diese Hammernachricht erspart geblieben, wenn ich aus der morgendlichen Qualitätszeitung nicht erfahren hätte, Silbereisen habe auf der Bühne mitgeteilt, er wolle die Helene auf dem Oberarm behalten: «Ich würde niemals auf den Gedanken kommen, dieses Tattoo nur im Geringsten zu entfernen», dieweil es an «zehn Wahnsinnsjahre» erinnere. Das Tattoo sieht freilich furchtbar aus und der Fischerin nicht einmal ähnlich, und gleichwohl war diese aber, hiess es, «gerührt».

Hier könnten wir wiederum abbrechen, und zwar mit der Feststellung, dass für derlei nicht im Geringsten verzichtbares Gekote unser aller Gebührengeld doch wirklich bestens angelegt ist, hätte der deutsche Journalist Daniel Haas in der früher angeblich mal recht ehrwürdigen «Neuen Zürcher Zeitung» die Trennung nicht zum Anlass genommen, uns intellektuellen Nervensägen eins mitzugeben, die wir «Helene» («Bild») nämlich bloss übelnähmen, dass sie keinen Indie-Pop mache, dessen Texte so klängen «wie eine Mischung aus Proseminarsprech und Behördenslang», also nach, igitt, Gesinnung. Während «die Ironie-abstinenten Fischer-Songs nie doktrinär oder tendenziös wirken, noch nicht einmal zwischen den Zeilen. Die Texte der grossen Hits (…) haben nichts Ideologisches, man kann aus Zeilen à la ‹Atemlos, einfach raus. Deine Augen ziehen mich aus› oder ‹Nur mit dir möcht ich die Welt von oben sehen› kein normatives Projekt ableiten», und das ist natürlich gelogen, denn kaum irgendwo sitzt Ideologie so bombenfest wie im Kitsch, dem definitionsgemäss immer selben, und so dumm ist der Haas wieder nicht, dass ers nicht merkt: «Darum geht es letztlich: um Kontrolle. Fischer kontrolliert ihren Körper, ihren Look, ihren Namen. Der wird konsequent bewirtschaftet.» Was freilich nur dann kein normativ-ideologisches Projekt ist, wenn man der «NZZ» zuarbeitet und es befürwortet, dass es für unsere Lohnabhängigen «nur den stampfenden Beat und den johlenden Sound und den Spass an der Performance» gibt, also bloss Gremlizas «fröhlichen Faschismus», es sei denn, wir werteten die unterm Marschbeat formierte Gesellschaft als Utopie, und die ist, soweit stimmts, mit der Über-Ich-Maschine Fischer nicht zu machen: «Immer nur Glitzer, Show, Fun, aber keine Utopie. Das ist ernüchternd. Gut so.»

Denn Entgrenzung wäre schlimmstenfalls Revolution, weshalb wir der frommen Helene Siegeszug lieber nüchtern als Triumph der kapitalistischen Oberfläche betrachten, zu welchem dem zutiefst humanen Songdichter Bernd Begemann einst die Zeile eingefallen ist: «Sie haben alles verkauft, es ist nichts mehr da.»

Ausser Stahlbademeistern wie dem Haas natürlich, aber das ist wenig genug.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.