Kosa-Initiative: Unser schönes Machtkartell

Nr. 37 –

Die Umverteilung der Nationalbankgewinne gefährdet die Stabilität des Schweizer Frankens, sagen die AbstimmungsgegnerInnen, und damit die gesamte Schweiz. Ist die Unabhängigkeit der Nationalbank wirklich in Gefahr?

Nächstes Jahr feiert die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihren hundertsten Geburtstag. Sie hat zwei Weltkriege, mehrere globale Wirtschaftskrisen und harte internationale Kritik an ihrer Rolle während des Zweiten Weltkriegs und der Apartheid überstanden. Doch nun herrscht Grossalarm: Sollte die Volksinitiative «Nationalbankgewinne für die AHV» am 24. September an der Urne angenommen werden, würde dies die Stabilität des Schweizer Frankens gefährden, da die SNB unter politischen Druck geraten könnte, sagen die InitiativgegnerInnen. Damit sei die Unabhängigkeit der SNB gefährdet. Und man müsse wegen der Einnahmeausfälle der öffentlichen Hand Schulen schliessen und Buslinien streichen, droht die FDP zwei Wochen vor der Abstimmung. Die Schweizer Bevölkerung hat sich bis vor kurzem erstaunlich wenig von dieser massiven Abschreckungskampagne beeindrucken lassen: Auch gemäss neuesten Umfragen erscheint ein Ja an der Urne immer noch möglich. Doch welche Interessen verfolgen die AbstimmungsgegnerInnen, die Millionen von Franken in ihre Gegenkampagne stecken? Und was macht eigentlich eine Notenbank? Wer leitet ihre Geschicke und bestimmt über die Verwendung der Gewinne? Ein paar Antworten zur Klärung:

Die Schweizerische Nationalbank wurde 1907 durch ein spezielles Bundesgesetz in Form einer Aktiengesellschaft gegründet. Der Bund übertrug ihr das Monopol zur Ausgabe von schweizerischen Banknoten. Als Entgelt für das Abtreten des Notenmonopols erhielten die Kantone die Aktienmehrheit an der SNB - und zwei Drittel der ausbezahlten Gewinne. Zu den Aufgaben der Notenbank gehört, mit einer stabilen Währung einen gut funktionierenden Zahlungs- und Geschäftsverkehr nicht nur der Banken, sondern der gesamten Wirtschaft zu ermöglichen. Damit die SNB die anderen Banken nicht konkurrenziert, bekam sie per Gesetz genau vorgeschrieben, welche Transaktionen sie zur Steuerung der Geldmenge machen darf. Dabei handelt es sich um die Gewährung kurzfristiger Kredite an Geschäftsbanken, um Devisen- und Goldtransaktionen und um den An- und Verkauf von Wertschriften. Die Nationalbank kontrolliert die Geldmenge, indem sie die Zinsen erhöht oder senkt: Steigen die Zinsen, nimmt die Nachfrage nach Geld tendenziell ab, sinken sie, nimmt diese Nachfrage zu.

Natürlich hat sich die Bedeutung der einzelnen Instrumente der SNB in den letzten hundert Jahren stark geändert. So sind etwa Goldtransaktionen im Vergleich zu den Kriegszeiten heute nahezu bedeutungslos geworden.

Die Nationalbank besitzt im internationalen Vergleich sehr hohe Währungsreserven: Letztes Jahr betrugen sie knapp 76 Milliarden Franken. Das entspricht rund fünfzehn Prozent des Schweizer Bruttosozialprodukts. Begründet werden diese hohen Reserven unter anderem mit der Grösse des Schweizer Finanzplatzes und auch damit, dass die Notenbank im Fall einer Währungskrise sehr schnell reagieren muss. Allerdings passierte dies 1978 zum letzten Mal: Damals intervenierte die SNB durch den Kauf von zwölf Milliarden Dollar im Austausch gegen Schweizer Franken, um den Dollar zu stützen. Allerdings sind solche Interventionen auch deshalb so selten, weil sie - falls überhaupt - nur kurzfristig helfen. Umso mehr gilt dies für ein kleines Land in einer globalisierten Welt.

Im Jahr 1997 entschied die SNB, die nicht mehr benötigte Hälfte ihrer Goldreserven - 1300 Tonnen - zu verkaufen. Der Erlös betrug mehr als zwanzig Milliarden Franken und wurde per 2004 zu zwei Dritteln an die Kantone und zu einem Drittel an den Bund ausbezahlt. Dazu kam eine reguläre Gewinnausschüttung von fast drei Milliarden Franken. Der hohe Goldpreis hat der SNB auch letztes Jahr wieder zu einem satten Gewinn von fast dreizehn Milliarden Franken verholfen. Gemäss der aktuellen Vereinbarung zwischen der Notenbank und dem Finanzdepartement muss die SNB bis zum Jahr 2012 jährlich rund 2,5 Milliarden nach bereits erwähntem Verteilschlüssel an den Bund und die Kantone ausschütten. Die Kantone benutzen dieses Geld hauptsächlich zur Schuldentilgung und für Steuersenkungen.

«Die Schweizerische Nationalbank führt als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik, die dem Gesamtinteresse des Landes dient», steht in der Bundesverfassung. Und: «Die Schweizerische Nationalbank bildet aus ihren Erträgen ausreichende Währungsreserven.» Nicht alle sind mit der Interpretation und Umsetzung des Gesetzes durch die SNB einverstanden. Einer der KritikerInnen ist der Basler Geld- und Währungsexperte René Erbe. Der emeritierte Ökonomieprofessor war in den Sechzigerjahren Leiter der Division Monétaire bei der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und lehrte anschliessend an den Universitäten Basel und Neuenburg. Erbe kritisiert besonders die Politik des hohen Schweizer Frankens während der Neunzigerjahre. Die Beibehaltung hoher Zinsen durch die SNB hatte damals die Schaffung neuer Stellen verhindert und die Rezession verlängert. «Die Geldpolitik der Nationalbank ist zwar in den letzten Jahren wesentlich flexibler geworden, aber sie hält immer noch über den Zinssatz an der Preisstabilität als wesentlichstes Ziel der Geldpolitik fest.» Damit sei auch klar, wer sich hierzulande wirtschaftlich und politisch durchsetze: der Finanzplatz und die Betriebe, die vorwiegend im Ausland produzieren und auch dort ihre Erträge erwirtschaften. Sie haben - im Gegensatz zur Exportindustrie - ein grosses Interesse an einem starken Franken.

«Genau darum geht es auch im aktuellen Konflikt innerhalb des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse. Da stehen sich der Werkplatz Schweiz und der Finanzplatz und die Pharmaindustrie gegenüber. Nur wurde dieser Kampf bereits woanders entscheiden, und zwar in der SNB über ihre Geldpolitik.» Für Erbe ist klar: «Diese Wirtschaftskreise haben auch jahrzehntelang den Einzug von SozialdemokratInnen ins Generaldirektorium der SNB verhindert, obwohl es äusserst fähige Kandidaten gab.» Tatsächlich wird die dreiköpfige Unternehmensspitze seit je zwischen der FDP und der CVP aufgeteilt. Erbe kritisiert auch die Art und Weise, wie der Bankrat, das Aufsichtsgremium der Generaldirektion, besetzt wird. «Der Bankrat könnte zwar theoretisch die Funktionen eines herkömmlichen Verwaltungsrates ausüben, doch dafür fehlt ihm in seiner heutigen Zusammensetzung das notwendige Durchsetzungsvermögen.» Von den elf Bankratsmitgliedern sind drei KantonsvertreterInnen, darunter die Tessiner Finanzdirektorin Marina Masoni, die wegen Unstimmigkeiten in der Steuerbehörde und einer privaten Steueraffäre Schlagzeilen machte. Economiesuisse und der Schweizerische Gewerkschaftsbund sind ebenfalls vertreten, sowie ein Bankier, ein Anwalt und zwei Universitätsprofessoren. Der Bankrat bestimmt über die Verteilung der Gewinne. «Auch deshalb sollten in diesem Gremium Experten sitzen, keine Politiker», sagt Erbe. Er hält die Mutter aller Banken für ein bürgerliches Machtkartell, das bei wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheiden mitredet. «Die SNB nimmt selbstverständlich auch an allen wichtigen wirtschaftspolitischen Vernehmlassungen teil.»

Eine ähnliche Sicht hat die Ökonomin Mascha Madörin: «Es wird unterschätzt, welche Macht diese Institution hat und wie wenig Rechenschaft sie gegenüber der Öffentlichkeit bisher ablegen musste.» Die ehemalige Mitarbeiterin der Aktion Finanzplatz Schweiz hat sich in ihren Recherchen über die Verwicklungen der Schweizer Wirtschaft mit dem südafrikanischen Apartheidregime auch mit der Rolle der SNB befasst. «Man muss sich nichts vormachen. Die Nationalbank ist eine wichtige Schaltstelle für Absprachen zwischen Wirtschaft und Politik. Ohne das Wissen der SNB gehen in der Schweiz keine grösseren grenzüberschreitenden Transaktionen über die Bühne.»

Sollte die Initiative angenommen werden, fliesst künftig der Betrag des Gewinnes in die AHV, der eine Milliarde Franken übersteigt. Diese ist für die Kantone reserviert. Der Bund geht bei einem Ja an der Urne leer aus. Doch wie bereits erwähnt, erhielten sowohl Bund als auch Kantone 2004 insgesamt 24 Milliarden Franken von der SNB geschenkt.

Dass eine Gewinnumverteilung zugunsten der AHV die Unabhängigkeit der SNB und damit gleich die ganze Schweiz gefährde, ist Quatsch. Schliesslich ändert sich dadurch weder etwas an der Zusammensetzung des Generaldirektoriums noch des Bankrates, wo weiterhin die KantonsvertreterInnen das grösste Interessensgrüppli darstellen. Und es ändert sich dadurch auch nicht die politische Couleur des Finanzministers, der sich regelmässig mit der SNB-Spitze austauscht. Nein, der Grund für das nahezu hysterische Verhalten der InitiativgegnerInnen und das Auftreten prominenter Grossverdiener wie Marcel Ospel liegt ganz woanders: Gegenwärtig sind die Bürgerlichen und der Bundesrat dabei, eine weitere Steuersenkungsvorlage, genannt Unternehmenssteuerreform II, auf den Weg zu bringen. Obwohl internationale Vergleiche laut dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) zeigen, dass die Steuerbelastung der Unternehmen hierzulande günstig ausfällt. Hingegen müsse man die AktionärInnen mehr entlasten. Die Unternehmenssteuerreform II könnte bei den Kantonen laut EFD zu Mindereinnahmen zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Franken führen. «Von der Unternehmenssteuerreform profitieren erstens alle Investoren, die Risikokapital halten, also alle Aktionärinnen und Aktionäre. Zweitens profitieren namentlich die Gewinn erzielenden Unternehmen», schreibt das EFD dreist. Die Mindereinnahmen der öffentlichen Hand bei einer Unternehmenssteuerreform entsprechen grob über den Daumen gepeilt etwa den Mindereinnahmen der öffentlichen Hand nach Annahme der Kosa-Initiative. Nur profitieren hier die breite Masse und insbesondere die weniger gut verdienenden Leute, die auf die AHV angewiesen sind. Soll nun also von unten nach oben oder von oben nach unten umverteilt werden? Darüber können die StimmbürgerInnen am 24. September an der Urne entscheiden. Der Nationalrat knöpft sich die Unternehmenssteuerreform in der Herbstsession vor. ◊