Ibiza-Gate: «Freude, grosse Erleichterung und ein bitterer Beigeschmack»

Nr. 21 –

Rasend schnell ist die zuvor stabile Regierungskoalition in Österreich zerbrochen – wegen eines Videos. Die Rechtsextremismusforscherin Judith Goetz über den freien Fall der rechtsextremen FPÖ und die Konsequenzen des Skandals.

«Er wird in den Hintergrund rücken, das muss aber nicht sein politisches Ende sein»: Heinz-Christian Strache beim Parteitag der FPÖ Oberösterreich im April. Foto: Keystone

WOZ: Frau Goetz, am Freitagabend wurde ein Video publik, das FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und eine angebliche Oligarchennichte zeigt, wie sie über mögliche Staatsaufträge und die Übernahme der einflussreichen «Kronen Zeitung» verhandeln. Mittlerweile ist Strache zurückgetreten, Kanzler Sebastian Kurz von der rechten ÖVP hat Neuwahlen angekündigt. Was überwiegt bei Ihnen, Entsetzen oder Freude über die Turbulenzen der letzten Tage?
Judith Goetz: Ich setze mich als Rechtsextremismusforscherin intensiv mit der FPÖ auseinander, da kann mich schwer noch etwas schockieren. Der Hochmut und die Überheblichkeit, die Heinz-Christian Strache und sein Parteikollege Johann Gudenus im Video an den Tag legen, zeugen von ihrer Vorstellung, dass ihnen nie etwas passieren kann. Nun ist ihnen genau dieser Grössenwahn, diese scheinbare Unverwundbarkeit zum Verhängnis geworden. Für Menschen, die sozial schwächer sind, die von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, für Feministinnen und kritische Wissenschaftlerinnen ist es ein grosser Fortschritt, dass diese Regierung ein Ende gefunden hat. Denn ihre Politik richtete sich genau gegen diese Gruppen. Insofern überwiegt derzeit die Freude, aber es ist eine mit bitterem Beigeschmack. Es ist unklar, welche politischen Konsequenzen das für Österreich haben wird und ob es wirklich besser wird.

Nochmals kurz zu Strache und der FPÖ: Die «Kronen Zeitung» titelte am Wochenende, die Partei sei am Ende. Aber ist sie das wirklich? Die Partei ist notorisch skandalträchtig – und doch immer wieder auferstanden.
Heinz-Christian Strache hat sich zwar entschuldigt, aber auch umgehend als Opfer inszeniert. Der eigentliche Skandal sei doch, dass er unrechtmässig gefilmt und in eine Falle gelockt worden sei. Er brachte umgehend das antisemitisch geprägte Gerücht ins Spiel, dass der israelische Politikberater Tal Silberstein der Strippenzieher hinter dem Video sei. Beide Narrative, jenes des Opfers und jenes einer antisemitischen Verschwörung, werden von den FPÖ-Wählerinnen und -Wählern rezipiert. Strache wird sein Gesicht in diesen Kreisen wahren können. Ausserdem hat sich seine Partei überhaupt nicht explizit von ihm distanziert, was darauf hindeutet, dass er dort nach wie vor grossen Rückhalt geniesst. Er wird sicher kurzfristig in den Hintergrund rücken, das muss aber nicht sein politisches Ende sein. Österreich ist ja das Land der Konsequenzlosigkeit. Das Land, in dem ein hoher FPÖ-Politiker stellvertretender Obmann einer Burschenschaft war, die in einem Liederbuch die Vergasung der Juden verhöhnt, und trotzdem weiter politische Karriere machen kann.

Sie schreiben Strache also noch nicht ab. Was dürften die jüngsten Ereignisse für seine Partei bedeuten?
Die FPÖ steht nun auf jeden Fall vor einer politischen Krise. Aber es kann die Partei, die bei den letzten Wahlen 2017 über ein Viertel der Wahlstimmen erreichte, auch zusammenschweissen. Die FPÖ wird derzeit stark von aussen angegriffen, was dazu führen könnte, dass die Partei nach innen wieder geschlossener auftritt. Zuletzt hatte es auch interne Vorwürfe gegeben, dass man sich viel zu sehr vom grösseren Koalitionspartner ÖVP hat treiben lassen. Dass man als Teil des Regierungssystems die eigentlichen Ziele und Inhalte der Partei verwässere. Ein Ende der FPÖ sehe ich noch lange nicht.

Im Zuge der Videoaffäre musste nicht nur Vizekanzler Strache seinen Hut nehmen. Mittlerweile sind alle FPÖ-Minister aus der Regierung ausgetreten – auch Innenminister Herbert Kickl. Er hatte die jetzt zerbrochene Regierung weit mehr geprägt als Strache. Ist Kickl der wichtigste Mann der FPÖ?
Er ist auf jeden Fall die gefährlichste Figur der Partei. Kickl ist ja auch die Verbindung der alten FPÖ, die unter Jörg Haider in den neunziger Jahren gross geworden ist, zur neuen Strache-FPÖ. Er war bereits unter Haider als Redenschreiber aufgefallen mit zutiefst antisemitischen und rassistischen Slogans. Herbert Kickl war verantwortlich für einen Grossteil der rassistischen FPÖ-Wahlkämpfe der letzten Jahrzehnte. Die Bezeichnung als FPÖ-Mastermind trifft es ziemlich gut.

Hinzu kam nun, dass er als Innenminister in diesem Land eine grosse Gestaltungskraft hatte. Von ihm stammt der Vorschlag, den Mindestlohn für Geflüchtete auf 1,50 Euro zu senken. Er hat die Militarisierung der Polizei vorangetrieben, und er ordnete die höchst umstrittene Razzia beim österreichischen Verfassungsschutz an, mutmasslich, um herauszufinden, ob und gegen welche Rechtsextremen ermittelt wird. Von ihm stammt auch der Satz, das Recht müsse der Politik folgen und nicht umgekehrt – was letztlich auf das Aushebeln rechtsstaatlicher Grundlagen hinausläuft. Entsprechend setzte Kickl seine rassistische Politik mit grosser Brutalität durch. Sein Aus ist eine grosse Erleichterung.

Eine zentrale Rolle in der Ibiza-Affäre spielt auch ÖVP-Kanzler Kurz, der die FPÖ in die Regierung geholt und mit Schlüsselpositionen betraut hat. Nun inszeniert er sich einerseits als autoritäre Figur, die durchgreift und die Regierung auflöst, und andererseits – wie Strache – als Opfer.
Sebastian Kurz schafft es immer wieder, schwierige politische Situationen in seinem Interesse auszuschöpfen. Auch dieses Mal funktioniert seine Inszenierung sehr gut. Er stellt sich als durchsetzungsstarker und staatsmännischer Politiker dar – mit dem Signal: Wählt doch gleich mich anstatt die FPÖ, die die ganze Zeit für Skandale sorgt. Er betont ja auch immer wieder, dass die ÖVP und die FPÖ inhaltlich sehr gut zusammenpassen. Entsprechend hat er für die nun im September angesetzten Neuwahlen auch nicht vor der FPÖ gewarnt – sondern vor den Sozialdemokraten. Kurz betont stets, dass eine grosse Koalition mit der SPÖ das Land in eine Sackgasse führe und keine Option sei. Es ist eindeutig, dass er die Alleinherrschaft anstrebt. Diese Chancen sind nun gestiegen. Die FPÖ ist geschwächt, während die SPÖ mit der ungewohnten Rolle in der Opposition noch kein starkes Gegengewicht bildet. Und die Grünen sind bei den letzten Wahlen sogar aus dem Parlament geflogen.

Sind die politischen Positionen von ÖVP und FPÖ wirklich so deckungsgleich, wie Kurz immer wieder betont?
Die Richtung der Politik ist tatsächlich sehr ähnlich. Es ist eine Politik, die von starkem Konkurrenz- und Leistungsdruck geprägt ist, die egoistisches Verhalten belohnt und die Schwächeren diffamiert. Insbesondere im Bereich der Migration ist die Position deckungsgleich: Man ist gegen die Zuwanderung, für die Stärkung des Grenzregimes sowie für eine knallharte Abschiebungspraxis. Die ÖVP ist allerdings deutlich stärker neoliberal. Sie setzt eine Politik durch, von der allen voran Unternehmen und Vermögende profitieren, etwa mit entsprechenden Steuersenkungen oder der Festsetzung des Zwölf-Stunden-Arbeitstags. Die FPÖ hat versucht, diese Massnahmen, die sich gegen Geringverdiener und sozial Schwache richten, ein bisschen auszubremsen oder mit einer rassistischen Komponente aufzuladen – den Schwächsten geht es schlecht, aber den sogenannten Ausländerinnen und Ausländern muss es noch schlechter gehen.

Das klingt allerdings nicht so, als sei bei den Neuwahlen eine progressive Wende möglich.
Für Prognosen ist es noch zu früh, noch ist völlig unklar, welche weiteren Entwicklungen es noch geben wird. Es könnte sein, dass Sebastian Kurz nach dem Misstrauensantrag am Montag im Parlament seinen Posten räumen muss. In Wien war die Stimmung in progressiven, linken Kreisen in den letzten Tagen hervorragend, Tausende Leute sind auf die Strassen geströmt und haben das Ende der Regierungskoalition gefeiert. Das wird sich am Donnerstag nochmals wiederholen, an diesem Wochentag wird ja schon länger regelmässig gegen die Regierung demonstriert – mit bis zu 3000 Teilnehmenden. Vieles wird nun davon abhängen, ob es die Linke und die SPÖ schaffen werden, die Situation für sich und eine soziale Politik zu nutzen. Aber die Zeit dafür ist knapp.

Judith Goetz, Rechts­extremismusforscherin Foto: Nurith Wagner-Strauss

Die Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz (35) forscht und lehrt am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Geschlechterdemokratie, feministische Theorie und Rechtsextremismus.