Werbung: Die Hochfrequenztöne der Swisscom

Nr. 23 –

Diese Woche hätte die Swisscom eine neue Werbemöglichkeit mithilfe von Hochfrequenztönen lancieren wollen. Ein kleiner werbekritischer Verein machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Jetzt steigen auch die SBB und «20 Minuten» aus.

Das schwarze Soundbeacon-Kästchen über dem Werbeplakat (nächstes Bild untenstehend geöffnet) sendet Hochfrequenztöne, die es erlauben, PassantInnen spezifische Zusatzwerbung aufs Handy zu spielen.

«No hidden agenda» steht über dem Spülbecken. Das Pirates Hub ist ein Workspace von Swisscom in Zürich. Es wirkt wie eine Mikroversion des Google-Hauptquartiers: Lehnsessel, Töggelikasten, Billardtisch, bunte Spielzeugtierchen. Auch was hier gesprochen wird, erinnert an Google, genauer gesagt an dessen früheres Motto «Don’t be evil». «Jeder, der was Böses beiträgt, schadet», sagt Alessandro Rausa, Leiter des Projekts «Beem» bei der Swisscom.

Damit enden die Parallelen zu Google: Internetunternehmen schaffen Produkte, die auf so rege Nachfrage stossen, dass Datenschutz erst Thema wird, wenn sie Hunderttausende nutzen. Beem dagegen sorgte schon vor der Produktlancierung für Empörung. Online beschwerten sich Hunderte über Überwachung, Werbespam und unhörbare Töne im öffentlichen Raum, die Haustiere als belästigend empfinden. Die Empörung ist so stark, dass sich entscheidende Geschäftspartner distanzieren.

Seltsame schwarze Kästchen

Beem macht «Plakate und Spots interaktiv», wie es die Swisscom ausdrückt. Wirklich neu ist, dass sie dabei auch auf hochfrequente Töne setzt, die für Menschen nicht hörbar sein sollen. Diese Tonsignale knapp unter Ultraschallfrequenz können zur Überwachung missbraucht werden, wie eine Studie der Technischen Universität Braunschweig aufgezeigt hat: Denn Lautsprecher von Laptops können diese Töne senden. Wenn das Smartphonemikro diese von einer bestimmten Website empfängt, sind alle Massnahmen zum anonymen Surfen nutzlos. Der Ultraschall beweist den Seitenbesuch.

Alessandro Rausa schliesst aus, dass Beem je bei Onlinewerbung zum Einsatz kommt. Stattdessen setze Beem auf Plakate, Fernseh- und Kinowerbung. Der Vorgang ist immer derselbe: Das Handy hört einen Ton und weiss, dass man vor einem bestimmten Plakat steht oder eine spezifische Fernsehwerbung anschaut. Allerdings, betont Rausa vehement, sende Beem nicht von Anfang an automatisch Signale an die Mobiltelefone. Im Pirates Hub führt er auf seinem eigenen Handy eine Testversion vor: Rausa aktiviert Bluetooth – das gängigste elektromagnetische Signal zur Datenübertragung über kurze Distanz –, öffnet die Swisscom-App Bluewin, berührt das Beem-Logo. Nun fragt die App, ob man ihr den Zugriff aufs Mikrofon erteile. Nachdem Rausa das getan hat, verfärbt sich das Beem-Logo – der Hinweis, dass das Handy einen hochfrequenten Ton hört. Nach erneuter Berührung des Beem-Logos landet Rausa bei einem Sonderangebot oder einem Wettbewerb. Je nachdem, welchen bestimmten Hochfrequenzton sein Smartphone empfangen hat, wird ein anderer Link ausgelöst.

Die Öffentlichkeit weiss erst seit letzter Woche von diesen Plänen der Swisscom. Dagegen wunderten sich viele über die seltsamen schwarzen Kästchen, die an 25 Bahnhöfen in der Städten Zürich, Bern und Basel oben an Plakaten angebracht wurden. In diesen Kästchen befinden sich ein Computerchip mit Bluetoothsender, ein Minilautsprecher und ein externer Akku zur Stromversorgung. In die Medien gebracht hat die Kästchen Christian Hänggi vom werbekritischen Verein IG Plakat Raum Gesellschaft, der auch ihren Zweck richtig erahnt hatte.

Unklar blieb, wer hinter den schwarzen Kästchen steckt. Die SBB und die Allgemeine Plakatgesellschaft (APG) wollten sich anfänglich nicht dazu äussern, was die Spekulationen nur weiter anheizte. Anfang letzter Woche ging die Swisscom dann an die Öffentlichkeit. Das Unternehmen verschickte eine Medienmitteilung, in der es den Start von Beem auf den 1. Juni ankündigte. «Mich hat das schockiert», sagt Hänggi, «dieses Ausmass habe ich nicht erwartet.» Denn mit der Medienmitteilung wurde klar, dass da die ganz Grossen der Medienbranche mitmischen: Die Apps von «20 Minuten», Bluewin und «Watson» sollten für Beem-Signale empfänglich werden. Beem kündigte aber auch an, im Kino und vor dem Fernseher Hochfrequenzsignale zu senden. «Unter Ausschluss der Öffentlichkeit haben sich grosse Player zusammengetan, im öffentlichen Raum eine Technologie installiert und getestet, die für Überwachung verwendet werden kann», bilanziert Hänggi. Tamedia ist mit «20 Minuten» beteiligt, CH Media unterhält enge Beziehungen zu «Watson», der Fernsehsender 3+ ist auch mit an Bord – und Ringier, dem zur Hälfte der Werbevermarkter Admeira gehört. Admeira vermarktet die Werbung aller SRG-Sender. Ob die unhörbaren Beem-Töne je im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt werden, ist allerdings offen. Man befinde sich in einer Testphase, teilt Admeira mit.

Beem beteuert, dass man keine «Bewegungsprofile» erstelle. Das sei auch gar nicht möglich, denn die Smartphonemikros sind nur aktiv, wenn eine Partner-App im Vordergrund offen ist. Der Hinweis, dass man das Datenschutzgesetz einhalte, zerstreute die Verunsicherung allerdings nicht. Denn die eigenen Datenschutzbestimmungen, die sich «im Laufe der Zeit möglicherweise» verändern, geben Beem das Recht, etwa bei «einer Fusion» persönliche Daten der NutzerInnen zu verkaufen. Warum? Und wieso haben diese Daten überhaupt einen Verkaufswert, wenn Beem sie angeblich nicht systematisch erhebt? Laut Rausa macht man mit diesem Passus bloss explizit, wozu Unternehmen ohnehin verpflichtet sind. Der Sprecher des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten teilt derweil mit, man habe Beem bis anhin nicht geprüft.

Werbung empfinden viele als belästigend, selbst wenn sie keine Daten sammelt. Das betont auch die Stiftung für Konsumentenschutz, die mit «relativ viel Widerstand» bei den KonsumentInnen rechnet. Der Widerstand ist tatsächlich sehr schnell spürbar geworden: Manche schwarze Kästchen wurden zerstört, aus anderen wurde der Akku gestohlen. Auf Twitter riefen NutzerInnen dazu auf, die Apps von «20 Minuten», «Watson» und Bluewin zu löschen. In einer Onlineumfrage unter den LeserInnen von «20 Minuten» begrüssten nur drei Prozent der über 3000 TeilnehmerInnen die neue Werbe-App.

Auch «20 Minuten» steigt aus

Und prompt krebsten die Partnerunternehmen zurück: Zwei Tage nach der Swisscom-Bekanntmachung teilte ein SBB-Sprecher der WOZ mit, dass eine geplante Werbekampagne ohne Beem stattfinde. «Watson» machte seinen vorläufigen Ausstieg selbst öffentlich. Sogar «20 Minuten», das bei Tamedia zur Unternehmenssparte «Werbung und Pendlermedien» gehört, ist eingeknickt: «Erst wenn die Swisscom alle Bedenken, die betreffend Sicherheit der UserInnendaten in den letzten Tagen entstanden sind, hundertprozentig ausräumen kann, wird ‹20 Minuten› die Gespräche über den Einsatz dieser Technologie wieder aufnehmen», sagt Unternehmenssprecher Patrick Matthey auf Anfrage.

Statt dass sich Beem also schon heute auf die Handys von «20 Minuten»-, Bluewin- und «Watson»-LeserInnen schleicht, gibt man sich nun einsichtig: Man trete an den Datenschutzbeauftragten und die Stiftung für Konsumentenschutz heran, sagt Rausa. Der Widerstand zeigt also Wirkung. Sogar neue Funktionen will die Swisscom einbauen. Mit einem Klick soll man Beem auf Partner-Apps wieder loswerden können. Tut man das, fragt die App nach, ob auch sämtliche personenbezogenen Daten gelöscht werden sollen. Vielleicht werde man einige Wochen nach dem Start gar die Hochfrequenztöne an den Bahnhöfen deaktivieren. «Wenn Bluetooth besser genutzt wird, ergeben die Hochfrequenztöne keinen Sinn. Letzteres braucht auch mehr Energie», so Rausa. Dennoch will Beem «eher innert Tagen als Monaten» starten. Mit welchen Partnern, ist nun unklar.

Wie funktionierts? Grafik: WOZ

Ohne die umstrittenen Töne wäre Beem wohl harmloser als manches, was bereits eingeführt wurde: So nehmen bereits heute an Bahnhöfen Hunderte Bluetoothsignale mit Smartphones Kontakt auf; etwa die App «Mein Bahnhof», die von den SBB einst ebenfalls als Werbekanal geplant worden war. Die APG ihrerseits erfasst mit ihrer Technologie Aymo den Standort von «Watson»- und «20 Minuten»-LeserInnen über GPS laut eigenen Angaben bereits «metergenau».

Wie man sich schützt

Bluetooth und GPS nur einschalten, wenn man die Dienste wirklich braucht. Heikler ist das eingebaute Mikrofon: Nicht bei allen Smartphonemodellen zeigt es an, wenn eine App heimlich mithört. Um das zu verhindern, muss man in den Systemeinstellungen jeder App einzeln den Mikrofonzugriff entziehen. Zum Schutz speziell vor hochfrequenten Tönen hat die Fachhochschule St. Pölten die App Soni Control entwickelt. Diese erkennt einen Ultraschalllauschangriff und lässt diesen mit einem Klick blockieren. Soni Control gibt es bisher nur für Handys mit dem Android-Betriebssystem.

Nachtrag vom 22. August 2019 : Fehlende Kenntnisse im Bundesrat

Der Bundesrat hat keine Ahnung, wie häufig und von wem SmartphonenutzerInnen Werbung erhalten, die aufgrund von GPS- oder Bluetooth-Daten personalisiert wurde. Das geht aus den Antworten zur Anfrage von SP-Nationalrätin Samira Marti hervor, die diese infolge einer WOZ-Recherche eingereicht hatte. Weiter würden die Behörden nicht wissen, ob unsere Smartphones heimlich Hochfrequenztöne verschickten. Denn nur elektromagnetische Wellen unterliegen dem Fernmeldegesetz. Marti fragte weiter, was passiere, wenn Standortdaten mit anderen Datensätzen verbunden würden, etwa der Zugehörigkeit zu Organisationen. Statt eine Antwort auf ihre Frage erhielt sie den Hinweis, dass diese Verbindung von Daten nicht zulässig sei. Ausser: «Wenn ein Gesetz dies vorsieht oder überwiegende private oder öffentliche Interessen vorliegen.» Regulierung fehlt in diesem Bereich, auch aus technischen Gründen, komplett – aber sobald die Behörden einen Grund hätten, um die Daten zu erlangen, dürften sie diese einfordern.

«Als Konsumentin lassen mich die Antworten ratlos zurück», kommentiert Marti. «Wenn so wenig Kenntnisse vorhanden sind, brauchen die Einwohner der Schweiz umso mehr Rechte zur digitalen Selbstverteidigung.» Marti setzt sich für ein restriktiveres Datenschutzgesetz ein. Sie ist Mitglied der Staatspolitischen Kommission, die die Totalrevision des Datenschutzgesetzes vorberaten hat, bevor diese in der Herbstsession ins Nationalratsplenum kommt.

Derweil setzt die Swisscom zum zweiten Mal zum Launch ihrer Beem-Technologie an, die der Auslöser der WOZ-Recherche war. Im Oktober soll das Werbeangebot lanciert werden – allerdings vorerst ohne die umstrittenen Hochfrequenztöne. Das Bundesamt für Umwelt prüft gegenwärtig (auch aufgrund von Martis Anfrage), ob die Töne für Menschen und Haustiere unbedenklich sind. Ob die schwarzen Kästchen an die SBB-Bahnhöfe zurückkehren, ist noch offen: «In den Bahnhöfen der SBB wird die Technologie für Beem aktuell nicht installiert», teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Was bleibt von Beem, wenn Hochfrequenztöne und Kästchen fehlen? Mit Beem sollen Handys vorerst Kino- und Fernsehwerbungen am Klang erkennen. Wer in Ruhe einen Film anschauen will, wird allerdings wohl kaum Freude haben, wenn die Werbung künftig alle im Saal zur Handynutzung aufruft.

Benjamin von Wyl