Guatemala vor den Wahlen: Die Mafia bleibt unter sich

Nr. 23 –

Die Präsidentschaftswahl Mitte Juni verkommt zur Farce: Die Favoritin, eine Kämpferin gegen Korruption und Straflosigkeit, wurde von der Teilnahme ausgeschlossen.

Der 16. Juni hätte ein Wendepunkt in der Geschichte Guatemalas werden können. Lange sprachen Umfragen für die Wahrscheinlichkeit, dass an diesem Tag eine Frau ins höchste Staatsamt gewählt werden würde. Sie wäre die erste Präsidentin des zentralamerikanischen Landes geworden und ausserdem eine, die in ihrem bisherigen beruflichen Leben glaubhaft gegen Korruption und Straffreiheit einer mafiösen Elite aus Geschäftsleuten, Politikern, Richterinnen und Militärs vorgegangen ist. Alles sprach dafür, dass sie es auch als Präsidentin tun würde. Doch dazu wird es nicht kommen. Die Wahl vom 16. Juni wird zur Farce werden. Egal wem man an diesem Tag seine Stimme gibt, er oder sie gehört zu ebendieser Mafia; abgesehen von wenigen unbedeutenden KandidatInnen, die jeweils kaum ein Prozent der Stimmen erreichen dürften. Thelma Aldana aber – so heisst die Frau, die lange als Favoritin galt – wurde im April vom obersten Wahlrat und Mitte Mai vom Verfassungsgericht von der Wahl ausgeschlossen.

Die Juristin Aldana war von 2014 bis 2018 Generalstaatsanwältin des Landes und arbeitete in dieser Zeit eng mit der internationalen Kommission gegen Korruption und Straffreiheit (Cicig) zusammen. Diese 2007 von den Vereinten Nationen entsandte Gruppe von Staatsanwälten und Kriminalistinnen hat unter anderem den Auftrag, gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft gegen mafiöse Banden vorzugehen, die den Staat ausplündern. Mehr als hundert Verfahren wurden bereits angestrengt, über 700 prominente Geschäftsleute, Politikerinnen und Militärs vor Gericht oder ins Gefängnis gebracht. Den spektakulärsten Erfolg feierten Aldana und Cicig 2015: Sie wiesen nach, dass der damalige Präsident Otto Pérez Molina, ein General im Ruhestand mit blutiger Bürgerkriegsgeschichte, seine Patriotische Partei nur gegründet hatte, um mit diesem Vehikel an die Macht zu kommen und dann den Staat in grossem Stil auszunehmen. Pérez Molina ging vom Präsidentenpalast direkt ins Gefängnis.

Der Clown ist eine Marionette

Was Aldana und die Cicig damals nicht ahnen konnten: Der Abgang des korrupten Präsidenten begünstigte bei der darauffolgenden Wahl einen Kandidaten, der vorher als Politiker völlig unbekannt war und auch als vulgärer Fernsehclown nur wenige Fans hatte: den Laienschauspieler Jimmy Morales. Der präsentierte sich mit dem Slogan «Kein Dieb und auch nicht korrupt» – und wurde gewählt. Damals wusste kaum jemand, dass Morales die Marionette von Generälen ist, die zum Teil wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen im Gefängnis sind. Inzwischen sitzen ein Bruder und ein Sohn von Morales wegen Korruption in Haft, gegen ihn selbst und seine Frau wird wegen illegaler Wahlkampffinanzierung ermittelt. Unter anderem soll er grosse Summen von Drogenkartellen eingesammelt haben. Doch seine strafrechtliche Immunität als Präsident schützt ihn vor einem Verfahren. Das Parlament hat es mehrfach abgelehnt, diese Immunität aufzuheben.

Am Sturz von Pérez Molina waren nicht nur Thelma Aldana und die Cicig beteiligt. Sie wurden unterstützt von Massendemonstrationen, die sich über Monate hinzogen und zum ersten Mal seit über fünfzig Jahren StudentInnen, Indígenas und die Mittelschicht gemeinsam auf die Strasse brachten. Aus dieser Bewegung ging die Partei Semilla (Samenkorn) hervor, die dann Aldana als Präsidentschaftskandidatin auf den Schild hob. Ihre Beliebtheitswerte brachten die Elite ins Schwitzen. Deshalb wurde die Kandidatin gestürzt, bevor sie Präsidentin werden konnte.

Der Coup war von langer Hand geplant. Bereits Anfang Januar – Cicig-Chef Iván Velásquez war gerade zu Konsultationen in den USA – verkündete der von Militärs umringte Präsident Morales bei einer kurzen Rede vor JournalistInnen, das Mandat der Cicig sei beendet. Er gab den MitarbeiterInnen der Kommission 24 Stunden, um das Land zu verlassen. Velásquez wurde die Wiedereinreise nach Guatemala untersagt. Vor den Cicig-Büros zogen Panzerwagen auf. Laut Staatsvertrag freilich endet das Cicig-Mandat erst im September und kann dann, wie es zuvor regelmässig der Fall war, um weitere zwei Jahre verlängert werden. Zwar hat das Verfassungsgericht die Anweisung des Präsidenten für ungültig erklärt. Der aber hält sich nicht an das Urteil. So arbeitet die Cicig weiterhin in Guatemala, Velásquez aber darf noch immer nicht einreisen und führt die Geschäfte aus der Ferne.

Freiheit für Kriegsverbrecher

Seit Februar versucht Morales, vom Parlament ein Amnestiegesetz für Kriegsverbrechen verabschieden zu lassen. Im Bürgerkrieg von 1960 bis 1996 beging die Armee mehr als 600 Massaker an der Zivilbevölkerung, mindestens 250 000 Menschen wurden getötet. Eine Amnestie würde den wichtigsten Hintermännern des Präsidenten die Freiheit bescheren. Die Opposition hat zwar keine Mehrheit im Parlament, konnte aber durch ihren Auszug die Zahl der Anwesenden so reduzieren, dass das Quorum für eine Abstimmung nicht erreicht wurde.

Eine windige Anzeige lieferte schliesslich den Anlass für den Ausschluss Aldanas von der Präsidentschaftswahl: Bei einer Fortbildung der Generalstaatsanwaltschaft unter ihrer Führung sei ein Referent verpflichtet worden, der dann nicht aufgetreten sei. Das sei Betrug. Ein willfähriger Richter stellte einen Haftbefehl gegen Aldana aus, sie lebt seither in El Salvador im Exil. Und der Wahlrat entschied: Menschen, gegen die ein Strafverfahren läuft, dürfen sich nicht ums Präsidentenamt bewerben. Das Verfassungsgericht bestätigte die Entscheidung. «Das ist kein typischer Militärputsch, sondern einer, der sich legalistisch tarnt», sagt der regierungskritische Kommentator Edgar Celada. «Er verfolgt ein einziges Ziel: den Kampf gegen Korruption und Straffreiheit zu beenden, den Aldana angeführt hat.»

Rechte durchgewinkt

Thelma Aldana ist nicht die Einzige, die sich beworben hat und nicht zur Wahl antreten darf. Auch Zury Ríos, die Tochter des ehemaligen Militärdiktators und Völkermörders Efraín Ríos Montt, wurde von der Wahl ausgeschlossen. Das war juristisch korrekt: Laut Verfassung dürfen enge Verwandte von PutschistInnen nicht antreten. Beim Rechtskandidaten Mario Estrada aber hatte der Wahlrat keine Bedenken. Allerdings kann er an der Wahl nicht teilnehmen, weil er Mitte April in den USA wegen Drogenhandel verhaftet wurde. Zudem soll er laut US-Behörden versucht haben, Aldana ermorden zu lassen. Auch der ebenfalls rechte Bewerber Roberto Arzú, gegen den in den USA ein Haftbefehl wegen Betrug vorliegt, wurde durchgewinkt. Genauso Estuardo Galdámez, der Kandidat einer weiteren Rechtspartei. Staatsanwaltschaft und Cicig hatten beim Parlament beantragt, seine Immunität aufzuheben, um ihn wegen Korruption vor Gericht stellen zu können. Die Abgeordneten schützen ihn aber genauso wie Sandra Torres. Gegen die Frau aus dem Umfeld von Präsident Morales wird seit ihrer Zeit als Gattin und Sozialministerin des Präsidenten Álvaro Colom (2008 bis 2012) wegen Korruption ermittelt. Sie gilt nun als Favoritin der Wahlfarce vom 16. Juni.

«Angeklagte, Geschäftsleute, Parlamentarier, Richter und die gesamte Regierung versuchen, das System der Straflosigkeit aufrechtzuerhalten», kommentiert Cicig-Chef Velásquez. «Dazu brauchen sie die Kontrolle über den Staat.» Die werden sie wohl für weitere vier Jahre bekommen.