Iran-Konflikt: Viel Krieg, wenig Frieden

Nr. 26 –

Die Eskalation am Golf begann 2018, als die USA das Atomabkommen brachen. Sie erliessen auch neue Sanktionen gegen den Iran, unterlegt mit aggressiver Rhetorik. In jüngster Zeit kam es dann zu aggressiven iranischen sowie dem Iran zugeschriebenen Reaktionen: zu Angriffen auf Öltanker etwa und zum Abschuss einer US-Drohne. Kommt nun der Vierte Golfkrieg? Vier mögliche Szenarien.

Der israelische Premier Benjamin Netanjahu, US-Präsident Donald Trump und der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman Ende Mai in Teheran. Foto: S. Zareian, Keystone

Der Iran zerfällt

Ausgangslage: Die US-Regierung hat das Atomabkommen aus Gründen gebrochen, die mit dem iranischen Atomprogramm selbst nichts zu tun haben – Präsident Donald Trump sprach von Terrorismus, ballistischen Raketen und ganz generell von Irans «bedrohlicher Politik» im Nahen Osten. «Regime change» ist das Ziel der amerikanisch-israelisch-saudischen Allianz gegen den Iran. Denn für Israel und die USA ist die Islamische Republik Iran die letzte verbliebene feindliche Grossmacht in der Region, und für die absolute Monarchie Saudi-Arabien bedeutet das Konzept einer religiösen Republik eine permanente ideologische Bedrohung und Delegitimierung. Um das Regime zu stürzen, haben die USA einen Wirtschaftskrieg begonnen.

Das wird passieren: Die iranische Wirtschaft bricht innert weniger Monate zusammen, vielen Menschen drohen Verarmung und Not. Proteste in den grossen Städten führen zu gewalttätigen Brotaufständen. In der Provinz intensivieren die seit langem bestehenden bewaffneten Organisationen ihren Kampf und greifen Politiker und Behörden wie auch militärische Checkpoints und Versorgungswege an. Neue bewaffnete Gruppen entstehen. Doch eine grosse, militante Basis verteidigt die Islamische Republik gegen ihre inneren und äusseren Feinde bis zum Ende: die freiwilligen Basidschi-Milizen, die Hunderttausende Mitglieder haben sollen, sowie die professionellen, hochgerüsteten Revolutionsgarden mit 150 000 Kämpfern.

Schliesslich fällt das Regime, und damit zerfällt auch der Iran. Denn nach dreissig Jahren Herrschaft der Mullahs gibt es kaum einen gemeinsamen Nenner im Land. Der persische Nationalismus wird mit dem Aufbegehren unterdrückter ethnischer Minderheiten konfrontiert: Ahwasi, BeludschInnen, Aseri, TurkmenInnen, KurdInnen. Deren bewaffnete Gruppen kämpfen um Macht und Territorium, regionale Herrschaftszonen entstehen. Im iranischen Kurdistan kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen kurdischen Milizen. Auch irakische und pakistanische Grenzgebiete werden von den Konflikten erfasst. Das Land liegt in Trümmern.

Wahrscheinlichkeit: klein. Bisher scheint das Regime durch den äusseren Druck innenpolitisch eher gestärkt – und es verfügt über erprobte und schlagkräftige Repressionsinstrumente.

Der kleine Krieg

Ausgangslage: Der Iran widersteht dem Wirtschaftskrieg, denn das Regime ist geübt darin, Sanktionen zu umgehen. Mit stillschweigender Unterstützung Russlands und Chinas findet es neue Schlupflöcher, um Öl zu exportieren und an harte Devisen zu kommen. Die USA-Golf-Allianz beschliesst deshalb, den Iran militärisch entscheidend zu schwächen. Auf einen «regime change» hingegen wird vorerst verzichtet – die Verwüstung des Landes und Hunderttausende zivile Opfer sollen vermieden werden.

Das wird passieren: Ein kurzer, zerstörerischer Krieg dient als Fortsetzung der Sanktionen mit anderen Mitteln. Er wird mit der ganzen Macht und Wucht des US-Militärapparates ausgeführt. Angegriffen werden flächendeckend die Atominfrastruktur, die Revolutionsgarden, die Luftabwehr der Armee sowie Brücken und militärische Versorgungswege. Die USA beschwören die «chirurgische Präzision» der Angriffe und betonen, diese seien rein defensiv. Russland und China protestieren lautstark, aber erfolglos. Die EU fordert ein Ende der Kämpfe und appelliert an alle Seiten, zivile Opfer zu vermeiden.

Mit Ausnahme einiger Raketen und Kommandooperationen gelingt es dem Iran nicht, zurückzuschlagen und den Krieg über die Landesgrenzen hinaus zu führen. Um nicht seinen eigenen Sturz zu riskieren (vgl. Szenario «Der Iran zerfällt»), verzichtet das Regime danach auf jede weitere militärische Aktion. Denn bald ist es nur noch damit beschäftigt, seine Macht zu sichern und die Kontrolle über das Land zu bewahren.

An der Seite der USA beteiligen sich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain am Krieg – und auf dem Papier auch andere willige und willfährige Staaten wie Ägypten oder Guatemala. Nicht dabei sind die Golfstaaten Oman, Katar und Kuwait. Die Allianz erreicht ihr Kriegsziel: Das Regime ist kaum mehr fähig, sich gegen aussen zu verteidigen. Im Inland jedoch verfügt es noch über genügend Repressionskräfte, um sich an der Macht zu halten.

Wahrscheinlichkeit: gross. Mit einem kurzen Krieg und einem geschwächten Iran können alle Weltmächte leben, denn so herrscht zumindest rudimentäre Stabilität am Golf.

Der grosse Krieg

Ausgangslage: Die grössten Kriegstreiber – der US-Sicherheitsberater John Bolton, der israelische Premier Benjamin Netanjahu, der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman – beharren auf dem Sturz des Regimes. Dafür sind ihnen alle Mittel recht.

Das wird passieren: Die USA-Golf-Allianz greift den Iran flächendeckend an. Das iranische Regime schlägt zurück, wo es kann. Die Revolutionsgarden verminen die Meeresstrasse von Hormus und greifen Öltanker, Pipelines und Verladehäfen an. Die Ölexporte der Golfstaaten auf dem Seeweg sind dadurch komplett blockiert. Auch der Irak wird zum Schlachtfeld. Mit dem Iran verbündete schiitische Milizen greifen westliche Ziele im Irak an: US-Militärbasen, diplomatisches Personal und ZivilistInnen. Sie entführen WestlerInnen und misshandeln ihre Geiseln. Iranische Mittelstreckenraketen gehen auf saudische Städte und Flughäfen nieder, auch Dubai und Abu Dhabi werden schwer getroffen. Russland und China protestieren lautstark, aber erfolglos. Die EU fordert ein Ende der Kämpfe und appelliert an alle Seiten, zivile Opfer zu vermeiden.

Syrien und die libanesische Hisbollah greifen nicht in den Krieg ein, als gesicherter Rückzugsraum sind Syrien und der Südlibanon für den Iran wertvoller. Ausserdem will das syrische Regime den De-facto-Sieg im Bürgerkrieg nicht aufs Spiel setzen, und sein Überleben wird durch Russland garantiert. Aus dem Gazastreifen schiessen die Hamas und der palästinensische Islamische Dschihad Raketen auf Israel ab, ohne grösseren Schaden anzurichten. Israel reagiert darauf mit punktuellen «Strafaktionen» in Syrien, Libanon und Gaza. Im Inneren des Iran beginnen bewaffnete Konflikte (vgl. Szenario «Der Iran zerfällt»). Ausserdem unterstützt Russland ausgewählte Milizen und versucht, sich dadurch Einflusszonen zu sichern. Die Türkei fördert turkmenische und aserische Milizen und führt Krieg gegen die iranisch-kurdischen bewaffneten Organisationen. Ein jahrelanger Krieg mit internationalen, regionalen und lokalen AkteurInnen hat begonnen – mit offenem Ausgang.

Wahrscheinlichkeit: mittel. Die Angreifer erwarten einen kurzen Krieg, doch dieser verläuft ganz anders als geplant, und plötzlich herrscht Krieg an allen Fronten.

Raum für Politik

Ausgangslage: Neben den USA und dem Iran haben Grossbritannien, China, Frankreich, Russland und Deutschland (genannt die 4 + 1) das Atomabkommen unterschrieben. Sie wollen das Abkommen retten und nutzen ihre politischen und diplomatischen Mittel, um die Kriegstreiber zu stoppen.

Das wird passieren: Am 28. Juni treffen sich die 4 + 1 mit dem Iran in Wien. Sie präsentieren einen Massnahmenplan, wie die US-Sanktionen rasch und wirksam ausgehebelt werden können. Der Iran verzichtet deshalb darauf, wie angedroht ab dem 7. Juli Uran auf einen höheren als im Atomabkommen erlaubten Grad hinaus anzureichern und so das Abkommen seinerseits zu brechen. Dadurch kann die Islamische Republik auch verhindern, dass die früheren Uno-Sanktionen wieder in Kraft treten, was bei iranischen Verstössen gegen das Abkommen automatisch geschehen würde. Weitere AkteurInnen wie die Schweiz, die EU, Neuseeland und die Türkei unterstützen die 4 + 1, diplomatischen Druck auf die USA, Israel und Saudi-Arabien auszuüben.

Die US-Sanktionen verfehlen nun ihre Wirkung, während das Atomabkommen auch ohne die USA seine Ziele erreicht: Das iranische Atomprogramm bleibt gestoppt, und die iranische Wirtschaft erholt sich wieder. US-Präsident Trump redet den Konflikt mit dem Iran in der Folge klein und wendet sich anderen Themen zu. Den meisten Menschen im Iran geht es spürbar besser. Sie sind nicht mehr nur damit beschäftigt, die wirtschaftliche Misere zu bewältigen, und sie erstreiten sich zusätzliche politische Gestaltungsmöglichkeiten.

Weil das entschiedene Handeln einer internationalen Koalition einen Krieg abwenden konnte, entstehen neuer Raum und neuer Wille, endlich auch für andere Konflikte in der Region politische Lösungen zu finden: im Jemen, in Syrien, in Israel/Palästina. Die Uno, die das Atomabkommen mit der Sicherheitsratsresolution 2231 ausdrücklich gebilligt hat, wird durch den Erfolg dieses Abkommens gestärkt.

Wahrscheinlichkeit: klein. Der politische Wille, wegen des Irans eine ernsthafte politische Konfrontation mit den USA zu riskieren, ist gering und trifft auf die Entschlossenheit der Kriegstreiber.