Polizeigewalt in Frankreich: Unantastbare Beamte

Nr. 32 –

Ungewissheit, fünf quälende Wochen lang. Immer lauter hallte die Frage «Wo ist Steve?» durch Frankreich: an Wände gesprüht oder in Tausenden Posts in sozialen Medien. Seit letzter Woche weiss man: Steve Maia Caniço ist in der Loire ertrunken.

Der 24-Jährige war am Abend des 21. Juli an die Ufer des Flusses in Nantes gekommen, um die «Fête de la Musique» zu feiern. Hier wird auch sein Handy das letzte Mal geortet. Gegen 4.30 Uhr will die Polizei das Fest beenden, was sich anhand von ZeugInnenaussagen und Videos rekonstruieren lässt. Mit Tränengas und Schlagstöcken, Hunden und Gummigeschossen werden die Feiernden auseinandergetrieben. Die Art der Intervention sei völlig unverhältnismässig gewesen, sagen Beteiligte später aus. Menschen werden zu Boden gerissen, andere rennen panisch davon. Vierzehn von ihnen stürzen in den Fluss. Für fast alle endet die Nacht glücklich am Ufer. Nur Maia Caniço, dessen Freunde ihn als lebenslustigen Kindererzieher mit Liebe zum Theater und zu elektronischer Musik beschreiben, bleibt verschwunden.

Noch bevor der Fall geklärt ist, hat die Polizeiinspektionsbehörde versichert, dass sich kein Zusammenhang zwischen dem Polizeieinsatz und dem Tod des jungen Mannes herstellen lasse. Doch der Fall Steve ist nur der traurige Höhepunkt einer andauernden Tragödie. Bereits während der Gelbwestenproteste erlitten Dutzende DemonstrantInnen schwere Verstümmelungen – etwa abgerissene Gliedmassen oder zerschossene Augen. Gegen diese Eskalation der Gewalt und in Gedenken an Maia Caniço gingen am Wochenende Tausende landesweit auf die Strassen. Und wieder gab es Verletzte.

In Emmanuel Macrons Frankreich hat bislang keiner der über 200 angezeigten Vorfälle juristische Folgen für Polizeibeamte nach sich gezogen. Klar ist: Die Regierung kann sich nicht länger der Auseinandersetzung über die von ihr angewandte, mittlerweile völlig unverhältnismässige Polizeigewalt verweigern.