Auf allen Kanälen: Das Outing des Scheichs

Nr. 32 –

Homosexualität ist in weiten Teilen der arabischen Welt illegal. Das hält Khalid Abdel-Hadi nicht davon ab, ein LGBT-Magazin herauszugeben.

www.mykalimag.com

«Eigentlich», erzählt Khalid Abdel-Hadi (29), während er durch sein Büro führt, «wollte ich einmal Tennisspieler werden.» Aber dann, mit siebzehn Jahren, tat er etwas viel Gewagteres. Etwas, das im arabischen Königreich Jordanien, wo er aufgewachsen ist, noch nie ein Mann vor ihm getan hatte. Abdel-Hadi outete sich als schwul und gründete «My.Kali». Das Onlinemagazin richtet sich an die LGBT-Community in der Mena-Region, also an Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender im Nahen Osten und in Nordafrika.

Seit der Gründung im Jahr 2007 hat «My.Kali» immer wieder Inhalte veröffentlicht, die konservative Kleriker als «Sünde» bezeichnen. Fotos von Transmännern, die ihre Brüste entfernt haben. Ein Coming-out-Interview mit einem schwulen Scheich. Erfahrungsberichte von schwulen Jugendlichen in Palästina. Essays, die Frauen dazu ermutigen, eigenständiger und selbstbestimmter zu sein. Oder auch Analysen, warum Homosexualität laut Koran nicht «haram» (also verboten), sondern «halal» (erlaubt) sei. Damit hat «My.Kali» gleich mehrere Tabus gebrochen. Abgeordnete der jordanischen Muslimbrüder attackierten das Magazin, Boulevardmedien schrieben von einer «Revolution der Perversen». Die staatliche Medienkommission liess die Website blockieren. Und der schwule Scheich? «Er verlor seinen Job, wurde von seiner Familie verstossen und musste nach Kanada fliehen», fasst Khalid Abdel-Hadi zusammen.

Die Nachbarn hören mit

Das Büro, in dem der studierte Grafikdesigner sein Magazin produziert, liegt in einer ruhigen Seitenstrasse von Amman, der Hauptstadt Jordaniens. Wo genau, das will Abdel-Hadi nicht in der Zeitung lesen. Es ist ein Designeratelier, wie man es sich auch in Barcelona oder Berlin vorstellen könnte: Auf der Toilette hängen Poster von Miley Cyrus, im Büro stapeln sich alte «Vogue»-Ausgaben. Vom Flachdach aus blickt man auf ein Meer von würfelförmigen, lehmfarbenen Häusern, dahinter gläserne Bürotürme und von Palmen flankierte Strassen. Die Eingangstür ist alarmgesichert. Neben dem Schloss ein Post-it-Zettel, auf dem steht: «Bitte leise sprechen, die Nachbarn hören mit!» Abdel-Hadi ist niemand, der Todesangst hat, wenn er auf die Strasse geht. Würde er in Bagdad, Kairo oder Teheran leben, wäre das anders.

Homosexualität ist in weiten Teilen der arabischen Welt verboten. In Saudi-Arabien und im Jemen steht darauf die Todesstrafe, in Syrien, Algerien und Ägypten werden Schwule und Lesben ins Gefängnis gesteckt. Im Irak machen islamistische Gruppen wie der Islamische Staat Jagd auf Homosexuelle und verbreiten Bilder, auf denen man sieht, wie sie von Gebäuden gestürzt werden. In den Palästinensergebieten gilt Homosexualität als «Sünde» und «schädlich für das Volk», im Iran drohen Schwulen und Lesben Peitschenhiebe, Folter und Hinrichtungen. Gemäss «OutRight International», einer LGBT-Organisation, die unter anderem die Vereinten Nationen berät, zählen die Anti-LGBT-Gesetze in der Mena-Region zu den härtesten der Welt.

Mut für eine Generation

Auch in Jordanien ist Homosexualität gesellschaftlich geächtet. Ins Gefängnis kommt man dafür allerdings seit 1951 nicht mehr. Die Hauptstadt Amman gilt neben Beirut als einer der liberaleren Orte in der arabischen Welt, hier werden sogar eine Handvoll Szenebars toleriert. Tinder ist weit verbreitet, und wer sich durch die Datingapp scrollt, sieht auffallend viele Männer und Frauen, die ihr Gesicht zeigen und ihren richtigen Namen angeben.

«Es gibt in Jordanien kein Gesetz, das Homosexualität verbietet», sagt Abdel-Hadi, «aber so richtig legal ist es auch nicht.» Schwul sein ist ein Stigma, eine Schande für die Familie. Abdel-Hadi hat das im Teenageralter selbst erlebt. Das Magazin, so erzählt er, sei auch deswegen nach ihm, also Khalid, benannt, weil es seine Geschichte widerspiegelt. In der Schule wurde er jahrelang gemobbt, weil er femininer war als die anderen Jungs. Als er mit sechzehn seiner Mutter sagte, dass er schwul sei, glaubte sie ihm nicht. Er selbst hatte das Wort «schwul» stets nur in einem negativen Kontext gehört. Erst durch ausländische Serien habe er ein positives Bild vermittelt bekommen.

Genau das führt Khalid Abdel-Hadi jetzt mit «My.Kali» weiter. Und hilft einer ganzen Generation von arabischen Jugendlichen, zu sich selbst zu stehen.

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