#Unteilbar in Dresden: Karneval gegen Rechts

Nr. 35 –

Kurz vor den Landtagswahlen sind in Dresden am vergangenen Wochenende 40 000 Menschen auf die Strasse gegangen – weit mehr als bei Pegida zu ihren Hochzeiten.

CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer war nicht zu sehen: «#Unteilbar»-Demo am 24. August in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Foto: Gabriel Kuchta, Getty

Sie sollte der Wahlkampfabschluss der Zivilgesellschaft werden: die #Unteilbar-Demo am Samstag, eine Woche vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. Mit Rekordergebnissen von um die zwanzig Prozent rechnen die RechtspopulistInnen der AfD. Seit Monaten beschwört die Partei, die mit klar rechtsextremem Spitzenpersonal wie dem Brandenburger Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz angetreten ist, die baldige Machtübernahme. Danach sieht es zwar nicht aus: Niemand will mit ihr koalieren. Dennoch fragen sich viele besorgt, wie die Partei ihren wachsenden Einfluss geltend machen wird.

Dagegen formierte sich am Samstag mit 40 000 Menschen der grösste Protestzug, den es in Dresden seit dem Ende der DDR gegeben hat. Selbst zu Hochzeiten des Widerstands gegen den jährlichen Naziaufmarsch am 13. Februar gingen höchstens 25 000 Personen auf die Strasse – ebenso wie bei den Demonstrationen der Pegida. Zur ersten #Unteilbar-Demo gegen den Rechtsruck im Oktober 2018 in Berlin waren überraschend rund 240 000 Menschen gekommen.

Rund 300 Organisationen – etwa die Hälfte davon aus Sachsen – hatten diesmal den Aufruf unterzeichnet: von Gewerkschaften und Sozialverbänden bis zu Antifa-Gruppen. «Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden», hiess es darin. Auch die beiden grossen Kirchen hatten zur Teilnahme aufgerufen. «Für uns ist wichtig, dass viele Menschen aus Sachsen mit jenen zusammenkommen, die aus dem Rest des Landes anreisen», sagte wiederum Mitorganisatorin Sophie Winter von der Kampagne «Nationalismus ist keine Alternative».

Viele hatten versucht, die Kundgebung vorab zu diskreditieren: So behauptete die AfD, die Polizei rechne mit Krawallen durch angereiste Autonome. Zwar widersprach die Dresdner Polizei – und sagte, sie gehe von einem «friedlichen Versammlungsgeschehen» aus. Die «Bild» schrieb trotzdem, dass die Polizei Randale erwarte. Der Samstag auf den Strassen von Dresden blieb jedoch friedlich. Niemand war dumm genug, für Bilder zu sorgen, die die monatelange Arbeit des #Unteilbar-Bündnisses überschattet hätten.

«Kein brauner Fleck auf der Karte»

Es ist Mittag, als sich die ersten Menschen in der Dresdner Innenstadt versammeln. Die Sonne scheint, Polizei ist kaum zu sehen. Ein knappes Dutzend RednerInnen läuten auf der Bühne den Protesttag ein. Von der Demonstration gehe «ein wichtiges Zeichen über die Grenzen von Sachsen hinweg» aus, sagt etwa Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping. «Wir wollen zeigen, dass sich viele mit jenen solidarisieren, die ihre Heimat aufgrund von Krieg und Terror verlassen mussten.» Sachsen sei «kein brauner Fleck auf der Deutschlandkarte», so die SPD-Politikerin, die erst vor kurzem eine Morddrohung erhalten hatte.

Hannah Eberle von der Interventionistischen Linken erinnert daran, dass «Veränderungen von sozialen Bewegungen ausgehen». Man sei Teil jener, die sich «den Rechten täglich in den Weg stellen» – und wolle daran erinnern, «dass es nicht die Leute in den Schlauchbooten sind, sondern die Menschen in den Limousinen, die uns die Zukunft nehmen».

Die Demonstration startet um 14 Uhr auf dem Altmarkt im Herzen der Stadt. Als anderthalb Stunden später die Spitze des Zuges den Endpunkt auf der Cockerwiese erreicht, setzen sich die letzten Reihen gerade erst in Bewegung. Insgesamt 36 LKWs ziehen über die Strecke, geschmückt als Motivwagen, wie an einem linken Karneval. «Rassismus macht krank», heisst es auf dem Wagen einer Gesundheitsinitiative.

Kluge Prioritätensetzung

Einer ist in Dresden allerdings nicht dabei: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. «Ich finde es gut und wichtig, dass es Menschen gibt, die die Demokratie und den Rechtsstaat verteidigen möchten. Dafür haben sie meinen Respekt», sagte Kretschmer, dessen Partei wohl ein historisch schlechtes Ergebnis einfahren wird. «Aber ich kann als CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident nicht bei einer Veranstaltung dabei sein, bei der auch Kräfte wie die Antifa mit von der Partie sind.»

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sah das anders: Er kam, genauso wie die Autonome Antifa Wien. In Sachsen lebende Flüchtlinge waren ebenso beteiligt wie Kulturschaffende, Clubbetreiber und Umweltschützerinnen. Auch viele nichtorganisierte, allerdings sehr wohl besorgte BürgerInnen waren auf der Strasse – was kein Zeichen allseitiger politischer Beliebigkeit war, sondern eines kluger Prioritätensetzung. Es geht in Sachsen um etwas, was rechtfertigt, andere Konfliktlinien in den Hintergrund treten zu lassen.

Seit Monaten hatte das #Unteilbar-Bündnis in der sächsischen Provinz für diesen Tag mobilisiert – auch dort, wo die Bedingungen für nichtrechte Gruppen überaus schwierig sind. Nur etwa ein Zehntel der 40 000 Menschen reiste mit Bussen oder Sonderzügen von ausserhalb Sachsens an. So war #Unteilbar auch ein Ausdruck der breiten Mehrheit in der Region. Sie hat daran erinnert, dass das Motto «Für ein offenes Land mit freien Menschen» auch 1989 auf Bannern der DDR-BürgerrechtlerInnen stand – und dass sie die Vereinnahmung der einstigen Revolution für ein autoritär-nationalistisches Projekt nicht hinnimmt. Der Tag diente nicht dazu, die SächsInnen umzuerziehen. Sie haben vielmehr gezeigt, dass die meisten von ihnen demokratisch gesinnt sind. Und dass sie das offene Gemeinwesen, das daraus folgt, nicht wieder aufzugeben bereit sind.