Kino-Film «Systemsprenger»: Alles wird Wut

Nr. 40 –

Wut ist kein gutes Gefühl. Aber sie fühlt sich manchmal gut an. Für die neunjährige Benni (Helena Zengel) im Film «Systemsprenger» ist Wut Problem und Lösung zugleich: Wenn sie sich unwohl und ungeliebt fühlt, weil man sie weiterreicht von Institution zu Institution, zu den immer gleichen Plätzen mit abwaschbarer Einrichtung, überfordertem Pflegepersonal und anderen Kindern mit anderen Problemen – dann steigt in Benni Wut auf. Eine unbändige, zerstörerische Wut, die ihr Macht in der Ohnmacht verleiht. Die sie aber zugleich zum schwer beherrschbaren, gefährlichen Störfall werden lässt, zum Systemsprenger eben.

Regisseurin Nora Fingscheidt lässt uns gleich zu Beginn einen von Bennis Anfällen miterleben. Wobei das Entscheidende ist, dass sie ihn aus Sicht des Mädchens schildert, als aufsteigendes, ja berechtigtes Gefühl. Der Film bezieht daraus seine Wucht: Man ist ganz nah dran am Erleben des Mädchens, man sieht aber auch die Zerstörung, die es anrichtet. Und die Hilflosigkeit all derer, die ihm Gutes wollen, aber seiner Wut nicht gewachsen sind.

Aus den Kommentaren der BetreuerInnen und den Besprechungen, zu denen Bennis labile Mutter (Lisa Hagmeister) stets zu spät kommt, setzt der Film allmählich die Umrisse von Bennis Geschichte zusammen: Frühkindliche Traumata werden angedeutet, die mit der Neigung der Mutter zu gewalttätigen Männern zu tun haben. Dass die Liste der Institutionalisierungen von Psychiatrie zu Jugendheim und zurück immer länger wird, tut sein Übriges hinzu.

Fingscheidt gibt sich Mühe, keiner Seite zu viel Schuld zuzuweisen. Man kann die Mutter verstehen, die mit neuem Partner und neuen Kindern lebt und an den übermächtigen Gefühlen ihrer Tochter scheitert. Man bewundert den neuen, engagierten Betreuer (Albrecht Schuch), der Benni bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer Waldhütte zu beruhigen versucht. Man liebt die Jugendamtmitarbeiterin Frau Bafané (Gabriela Maria Schmeide) dafür, dass sie unermüdlich nach Lösungen für Benni sucht. Und man hasst den Film ein bisschen dafür, dass er bei der Beschreibung eines Teufelskreises bleibt und keine Lösung zulässt.

Systemsprenger. Regie und Drehbuch: Nora Fingscheidt. Deutschland 2019