Candrian Catering: Das Prekariat vom Bahnhof

Nr. 41 –

MitarbeiterInnen von Imbissständen der Catering-Kette Candrian im Hauptbahnhof Zürich kritisieren die Arbeitsbedingungen. Viele von ihnen haben einen prekären Aufenthaltsstatus – und sind daher besonders abhängig von diesem Arbeitgeber.

Stundenlohn unter zwanzig Franken: Imbissstände der Candrian-Gruppe im Zürcher HB.

Hochbetrieb im Zürcher Hauptbahnhof. Werktags frequentieren den HB über 400 000 Personen. Hektisch eilen Leute an den Warteschlangen vorbei, die sich vor dem Imbissstand Buffet Express und dem dazugehörigen Wurststand bilden. Sandwiches, Süssgebäck und Getränke wandern über die Theke. Ein lukratives Geschäft – für die Candrian Catering AG.

Es ist nur einer von vielen Imbissständen und Gastrobetrieben der Firma. Candrian Catering zählt in der Schweiz zu den grössten Unternehmen der Branche. Es unterhält 45 Betriebe und beschäftigt laut eigener Website über tausend «motivierte Mitarbeitende». Manche von ihnen fühlen sich allerdings wegen der Arbeitsbedingungen unter Druck. Der WOZ liegen Dokumente vor – Arbeitspläne, Stundentabellen, Screenshots eines Betriebschats, ein Beschwerdeschreiben, ein Kündigungsschreiben und ein Arbeitsvertrag. Ausserdem hat sie Gespräche mit neun ehemaligen und gegenwärtigen Angestellten der Firma geführt.

Ohne garantierte Mindestarbeitszeit

Aziz Mansour* ist einer von ihnen. Zwei Jahre war er im «Buffet Express» angestellt. Wie fast alle seine KollegInnen arbeitete er im Stundenlohn, ohne garantierte Mindestarbeitszeit. Er war darauf angewiesen, dass der Leiter des Imbissstands ihm genügend Stunden zuteilte. Eine zweite Stelle anzunehmen, habe ihm dieser ausdrücklich untersagt. «Ich musste auf Abruf bereit sein», sagt er. Durchgesetzt wurde die ständige Verfügbarkeit mit dem Arbeitsplan. Er sagt: «Konnte ich eine Schicht nicht übernehmen, wurden mir im Gegenzug mehrere Schichten gestrichen.» Das aber habe er sich nicht leisten können. Sogar als er ärztlich krankgeschrieben war, sei er von seinem Chef zur Arbeit gedrängt worden. Der WOZ liegt eine Stundentabelle vor, nach der Mansour mindestens einmal zur Arbeit erschien, obwohl er zu diesem Zeitpunkt krankgeschrieben war.

Den Vorwurf, dass der Chef des «Buffet Express» kurzfristig Stunden streiche, wenn nicht spontan eine Schicht übernommen wird, bestätigt eine Mitarbeiterin des Imbissstands. Auch sie spricht vom Druck, auf Abruf bereitzustehen: «Ist man krank, verliert man gleich vier bis fünf Schichten.» Denselben Vorwurf erheben auch zwei weitere ehemalige Angestellte. Einer von ihnen arbeitete mehr als elf Jahre im Stundenlohn für das Unternehmen. Nachdem er im Dezember 2017 verletzungsbedingt ausgefallen war, entliess ihn die Firma Mitte 2018 nach sechs Monaten Arbeitsunfähigkeit, also direkt nach der gesetzlich vorgeschriebenen Frist. Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter, der Mansours Sicht ebenfalls bestätigt, arbeitete nur kurz im «Buffet Express». Er sagt heute, so etwas Schlimmes habe er noch nie erlebt.

Das «Buffet Express» ist einer von über zwanzig Gastrobetrieben, die Candrian Catering im Zürcher HB betreibt, darunter die Burger-King-Filialen, das Restaurant Imagine oder die Brasserie Federal. Das Unternehmen ist seit jeher eng mit den SBB verbandelt. Ausgangspunkt seiner Erfolgsgeschichte ist das Zürcher Bahnhofsbuffet, das 1923 ein Vorfahre der Familie Candrian pachtete. Noch heute betreibt das Familienunternehmen die unterirdische Grossküche im Zürcher HB. Über hundert MitarbeiterInnen produzieren dort fast rund um die Uhr Esswaren und beliefern die oberirdischen Candrian-Betriebe. Die Grossküche verschafft der Firma einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Anfang 2018 gab die Stadt Zürich bekannt, dass sie sich für die Candrian Catering AG als neue Betreiberin des populären Biergartens auf dem Bauschänzli entschieden hatte. Ausschlaggebend war unter anderem die Nähe zur Grossküche im HB. Ein Coup für das Unternehmen. Wie viel Geld es gegenwärtig umsetzt, ist nicht bekannt. Seine Aktien befinden sich mehrheitlich in Familienbesitz und werden nicht an der Börse gehandelt. Die letzten auffindbaren Angaben dazu stammen aus dem Jahr 2012. Damals setzte die Firma gemäss «Tages-Anzeiger» 118 Millionen Franken um.

Nach Kritik entlassen

Von diesem Geldsegen spürte Aziz Mansour wenig. Sein Stundenlohn betrug 19.65 Franken. Hinzu kamen ein Anteil am 13. Monatslohn sowie die Ferien- und Feiertagsentschädigung, 1.50 Franken pro Stunde wurden ihm wiederum für die betriebsinterne Verpflegung abgezogen. Den Job zu kündigen, kam für Mansour lange nicht infrage: Er war in der Schweiz nur «vorläufig aufgenommen»; der Antrag auf den Aufenthaltsstatus B setzt ein zweijähriges Arbeitsverhältnis voraus. Erst nach Ablauf dieser Frist wehrte er sich. Er habe das Gespräch mit dem Leiter des Schnellverpflegungsbereichs von Candrian Catering sowie mit dem Personalverantwortlichen der Firma gesucht und seine Vorwürfe dargelegt. Geändert habe sich nichts. Stattdessen wurde Mansour entlassen. Die Gründe dafür wurden gemäss Kündigungsschreiben «im persönlichen Gespräch erläutert».

«Alle haben Angst, sich zu wehren», sagt die bereits erwähnte Mitarbeiterin. Sie habe schon mehrmals versucht, die anderen Angestellten dazu zu motivieren, sich gegen die Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen. Aber das sei chancenlos gewesen. Wer sich kritisch äussere, verliere Arbeitsstunden, und das könne sich niemand leisten. Geschweige denn eine Entlassung: Die meisten MitarbeiterInnen würden kaum Deutsch sprechen und hätten daher schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

In einer ruhigen Minute sagt ein Mitarbeiter eines Candrian-Imbisses auf die Frage, ob er mit seinem Arbeitgeber zufrieden sei: «Was willst du machen?» Ein Mitarbeiter des ebenfalls im HB befindlichen Candrian-Restaurants Atrio sagt in einer Rauchpause, es sei alles «scheisse», aber er finde keine andere Arbeit.

Das «Buffet Express» sei kein Einzelfall, sagt Fabio Weiler, Koleiter des Zürcher «Kafi Klick». Die Anlaufstelle für Armutsbetroffene werde oft von Candrian-MitarbeiterInnen aufgesucht: «Viele sind verzweifelt, weil ihnen zu wenig Arbeitsstunden zugeteilt werden oder weil sie die Arbeitsbedingungen kaum mehr ertragen.» Eine ehemalige Mitarbeiterin der Burger-King-Filiale beim Sihlquai sagt, ihr Filialleiter sei so rabiat gewesen, dass eine ihrer Kolleginnen nie mehr zur Arbeit erschienen sei, nachdem dieser ausfällig geworden sei.

Zahlreiche rechtliche Konflikte

Candrian Catering ist auch bei der Gewerkschaft Unia, die als Sozialpartnerin im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) des Gastgewerbes auftritt, bekannt. Lorenz Keller, Kogeschäftsleiter der Region Zürich-Schaffhausen, sagt, in den letzten zwei Jahren habe seine Sektion acht MitarbeiterInnen der Firma bei rechtlichen Konflikten unterstützt. Einige davon seien noch in Gang. Gegenstand seien fehlerhafte Lohnnachweise, nicht ausbezahlte Arbeitsstunden und inkorrekte Arbeitszeugnisse.

Dass MitarbeiterInnen Arbeitsstunden gestrichen würden, wenn sie nicht spontan einspringen könnten oder Kritik an ihrem Vorgesetzten übten, davon hatte die Unia bislang keine Kenntnis. «Das Vorgehen würde mich aber nicht überraschen», sagt Keller. «Der Stundenlohn ist ein einfaches Mittel, um Angestellte unter Druck zu setzen und gefügig zu machen.» Zwar widerspreche das dem GAV, nach dem schriftliche Arbeitspläne zwei Wochen im Voraus erstellt werden müssen. Aber rechtlich sei ein solches Vorgehen kaum zu belangen: «Denn in dringenden Fällen dürfen die Pläne in Absprache mit den Mitarbeitern kurzfristig geändert werden.» Und im Nachhinein sei es fast immer möglich, eine Änderung als dringend zu rechtfertigen, sagt Keller. Dennoch: Sollten die aktuellen Vorwürfe zutreffen, hätte Candrian Catering widerrechtlich gehandelt. Der WOZ liegen Screenshots vom Betriebschat des «Buffet Express» vor, die äusserst kurzfristige Änderungen des Arbeitsplans belegen.

Die Candrian Catering AG bestreitet die gegen sie erhobenen Vorwürfe. Sie beruft sich auf eine Stellungnahme, die sie im April gegenüber dem Onlinemagazin «das Lamm» abgegeben hatte. Weder die Kontrollstelle des GAV, die einmal jährlich Stichproben durchführt, noch das Arbeitsinspektorat der Stadt Zürich hätten bis jetzt Rechts- oder Gesetzesverletzungen festgestellt. «Wir verfügen über eine grosse Personalabteilung mit entsprechend ausgebildeten Mitarbeitenden. Unsere Personalabteilung hält sich an die geltenden Gesetze und die von den Gerichten im Arbeitsrecht entwickelte Praxis.»

Die SBB wiederum schieben jegliche Mitverantwortung weit von sich: Die Anstellungsverhältnisse von Candrian Catering würden in dessen alleiniger Zuständigkeit liegen und man gehe davon aus, dass alle Bahnhofmieter die geltenden Gesetze einhalten würden.

* Name geändert.