Ukrainegate und die Wahlen: Sind die USA noch ein Rechtsstaat?

Nr. 48 –

Die öffentlichen Anhörungen im Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump zeigten tiefe politische Risse in den USA. Nicht bloss zwischen unversöhnlichen Parteien, sondern auch zwischen Weltanschauungen, die so unvereinbar sind wie Demokratie und Diktatur.

Wie kann ich meine eigene Haut retten? Gordon Sondland, US-Botschafter bei der EU, auf dem Weg zum Impeachment-Hearing am 20. November. Foto: Matt McClain, Getty

Zirkus. Schauprozess. Inquisition. Spektakel. Schwindel. Putsch. Kängurugericht. So und ähnlich charakterisierten die republikanischen Mitglieder des US-Geheimdienstausschusses die öffentlichen Anhörungen im Rahmen der Impeachment-Untersuchungen gegen Donald Trump von letzter Woche. Jim Jordan, ein Abgeordneter aus dem Bundesstaat Ohio, zog sogar das Jackett aus, um seine tiefe Verachtung für das laufende Verfahren und seine hemdsärmelige Loyalität gegenüber dem arg bedrängten Präsidenten vorzuführen.

Sein – nicht nur optischer – Gegenpart war Oberstleutnant Alexander Vindman, der in goldbetresster Paradeuniform mit Tapferkeitsmedaillen auf der Brust gegen seinen Oberbefehlshaber Donald Trump aussagte. Die Motivation des obersten Ukraineexperten im Nationalen Sicherheitsrat: «Wir sind in Amerika. Hier hat das Recht noch Geltung.»

Nicht ganz so bühnenreif, aber ebenso ernsthaft verteidigten die übrigen vom demokratischen Ausschussvorsitzenden Adam Schiff vorgeladenen BerufsdiplomatInnen und Mitarbeitenden des US-Aussenministeriums den Rechtsstaat. Als parteipolitisch neutrale BeamtInnen mit langjähriger Berufserfahrung wehrten sie sich gegen «irreguläre Kanäle» und versuchten, die Machenschaften der Dahintersteckenden gewissenhaft und faktenorientiert zu rekonstruieren. Die Befragten bewahrten auch dann einen kühlen Kopf, wenn sie von republikanischer Seite immer wieder mit Nebelpetarden aus Lügen, längst widerlegten Verschwörungstheorien und persönlichen Verleumdungen eingehüllt wurden. Schliesslich machten die KronzeugInnen ihre Aussage, anders als die PolitikerInnen, unter Eid.

Wie gewonnen, so zerronnen

Tagelang redete man so gewissermassen aneinander vorbei. Es brauchte einen aufgeblasenen egozentrischen Hotelier mit Machtgelüsten, um den aufgeblasenen egozentrischen Exhotelier im Weissen Haus stracks ins Zentrum des Bestechungsskandals zu rücken: Bereits im ersten Votum des von republikanischer Seite als Zeuge geladenen EU-Botschafters Gordon Sondland, eines Trump-Doubles mit gespenstisch heiterem Gemüt, ging hervor, dass sich die (Aussen-)Politik unter Präsident Trump ins Gegenteil verkehrt habe. Die «rogue actors», die unberechenbaren Einzelkämpfer, sind jetzt die massgeblichen politischen Akteure. Die offiziellen aussenpolitischen Institutionen mit ihren Beamten und Expertinnen sind irrelevant geworden.

Der von Trump eingesetzte irreguläre Ukrainediplomat bestritt nicht, dass Präsident Wolodimir Selenski von den USA erpresst wurde. Er sagte vielmehr: «Alle waren in die Sache eingeweiht. Es war kein Geheimnis.» Sondland scherte sich keinen Deut um den Rechtsstaat, um Gerechtigkeit oder Moral. Der mutmassliche Mittäter wollte ganz einfach seine eigene Haut retten und nannte breit grinsend die Hauptschuldigen mit Namen – vorab Präsident Donald Trump, Vizepräsident Mike Pence, Stabschef Mick Mulvaney, Aussenminister Mike Pompeo, Energieminister Rick Perry und Rudy Giuliani, den ehemaligen Bürgermeister von New York und heutigen Rechtsberater in Donald Trumps zahllosen zwielichtigen Geschäften.

Auf das noch während Sondlands Anhörung in Echtzeit getwitterte Missfallen des Präsidenten angesprochen, zuckte der von Donald Trump noch vor kurzem als «grosser Amerikaner» gelobte EU-Botschafter bloss die Schultern: «Easy come, easy go»  (Wie gewonnen, so zerronnen). Dann zischte er ab nach Brüssel, für ihn war das Spiel so oder so gelaufen.

In den USA jedoch haben die Anhörungen neuen Schwung in die Aufdeckung des Bestechungsskandals gebracht. Tag für Tag werden weitere belastende Aussagen und Dokumente bekannt. Trotzdem sind die Aussichten, dass der nachweislich korrupte Präsident tatsächlich seines Amtes enthoben wird, eher gering. Denn das Impeachment ist letztlich ein politischer Prozess und kein klassisches Rechtsverfahren. Die untersuchende «Staatsanwaltschaft», in diesem Fall das Repräsentantenhaus, ist mehrheitlich demokratisch und handlungswillig. Doch der US-Senat, der sozusagen als gigantisches «Geschworenengericht» den Schuldspruch fällen müsste, ist fest in den Händen der rechtskonservativen Regierungspartei. Und die RepublikanerInnen stellen sich bislang geschlossen hinter ihren Präsidenten, der ihr grosses weisses, christliches Amerika mit allen, auch unlauteren, Mitteln vor demografischen und sozialen Entwicklungen, gleichgeschlechtliche Ehe und Klimaschutz, ehrgeizigen Frauen und ImmigrantInnen aus dem Süden zu bewahren verspricht.

Es ist kein gutes Zeichen für die US-Demokratie, dass die eine der zwei grossen Parteien – beide mit einem WählerInnenanteil von knapp fünfzig Prozent – mittlerweile pauschal als Komplizin der korrupten Regierung eingeordnet und verstanden werden muss.

Ein globalisiertes Watergate

Donald Trump wäre der erste Regierungschef der USA, der vom Kongress abgesetzt wird. 1868 entging der machthungrige und rassistische Andrew Johnson diesem Schicksal äusserst knapp. 1998 wurde Präsident Bill Clinton des Meineids im Zusammenhang mit seiner Affäre mit der jungen Praktikantin Monica Lewinsky zwar angeklagt, aber von «seinem» demokratisch beherrschten Senat nicht verurteilt. 1974 trat der paranoide, demagogische und verlogene Richard Nixon als erster und bisher einziger US-Präsident von seinem Amt zurück, um einer voraussichtlichen Absetzung durch die Legislative zuvorzukommen. Er hatte im Sommer 1972 einen Einbruch ins Hauptquartier der Demokratischen Partei organisiert, um Material für eine Schmutzkampagne gegen seinen politischen Gegner, Präsidentschaftskandidat George McGovern, zu sammeln. Nach Nixons Wiederwahl kamen nach und nach die kriminellen Taten der Nixon-Regierung ans Licht, die wir heute unter dem Stichwort «Watergate-Skandal» zusammenfassen.

Die republikanische Seite bezeichnet das aktuelle Impeachment-Verfahren abschätzig als «Watergate-Fantasie». Die DemokratInnen bestehen darauf, dass Donald Trumps Intrigen nichts anderes sind als ein «globalisiertes Watergate». Die Meinungen sind unversöhnlich, ja unvereinbar und längst gemacht.

Auch ausserhalb von Washington haben die öffentlichen Anhörungen die Einstellung zu Präsident Trump erstaunlich wenig beeinflusst. Die rechte Trump-Basis, die ihren Medienkonsum auf Fox News und geheimbündlerische Internetforen beschränkt, bewegt sich unbeirrt in ihrer alternativen Wirklichkeit. Sie fühlt sich von den vielen übereinstimmenden Zeugenaussagen gegen ihr Idol allenfalls noch in ihrem Verfolgungswahn bestätigt.

Der Rest der Bevölkerung kann sich für das langwierige Amtsenthebungsverfahren (noch) nicht richtig erwärmen. Für die meisten US-AmerikanerInnen ist die Ukraine weit weg. Russland ebenfalls. Die engagierte Linke zögert, sich sozusagen auf die Seite des Nationalen Sicherheitsrats und der offiziellen, vielfach imperialistischen US-Aussenpolitik zu schlagen. Viele von ihnen würden Präsident Trump lieber wegen seines offenkundigen Rassismus und Sexismus, wegen seiner unmenschlichen Migrationspolitik, seiner arroganten Missachtung des Völkerrechts oder seiner mutwilligen Zerstörung von Erde, Luft und Wasser fristlos entlassen.

Doch die US-Verfassung kennt zu Recht keine solch politischen Gründe für die ausserordentliche Absetzung eines Präsidenten; für diesen Fall gibt es den ordentlichen Gang zur Urne. Landesverrat, Bestechung und Korruption von Regierungsoberhäuptern hingegen bewerteten die Gründungsväter des ausgehenden 18. Jahrhunderts als schwerwiegende und einklagbare Amtsvergehen, weil sie das Wesen der Demokratie selbst gefährden.

Gegen Trump und den Trumpismus

Ukrainegate ist kein Ausrutscher der aktuellen US-Regierung, sondern die neue Normalität: Donald Trump bewundert Diktatoren in aller Welt. Und er setzt, mit Unterstützung seiner Vasallen, alles daran, einer von ihnen zu werden. Auch wenn er dafür Medienleute bedrohen, Kinder einsperren und verurteilte Kriegsverbrecher begnadigen muss. Donald Trump als Präsident muss weg. Das passiert hoffentlich bei den nächsten Wahlen im November 2020. Doch auch die schleichende Korruption des Rechtsstaats muss gestoppt werden. Ein wichtiger Schritt dazu ist das aktuelle Impeachment-Verfahren. Beide Probleme, Donald Trump und den Trumpismus, gleichzeitig anzugehen, ist von den US-BürgerInnen viel, aber nicht zu viel verlangt.