Menschenrechtsarbeit: Humanitär geschminkt nach aussen, blind nach innen

Nr. 50 –

Andere Länder gemahnt die Schweizer Regierung gern an die Menschenrechte. Im Inland hingegen knausert sie bei der Schaffung einer unabhängigen Menschenrechtsinstitution.

Der letzte Bericht der Uno vor zwei Jahren zur Menschenrechtslage in der Schweiz hat gezeigt: Es gibt viel zu tun in diesem Land. So etwa haben die Vereinten Nationen die Schweiz aufgefordert, mehr gegen Rassismus und gegen Gewalt an Frauen zu unternehmen. Ebenso betont wurden die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen sowie Menschenrechtsverletzungen multinationaler Konzerne. Noch etwas beunruhigt die Uno: die Inexistenz einer unabhängigen Menschenrechtsinstitution.

Quellen aus der Bundesverwaltung zufolge will der Bundesrat am 13. Dezember nun endlich über die Gesetzesvorlage für eine solche Nationale Menschenrechtsinstitution (NMRI) entscheiden. Laut Matthias Hui, dem Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz bei humanrights.ch, erfüllt das geplante Gesetz «in drei von vier zentralen Punkten» die internationalen Standards gemäss den Pariser Prinzipien: gesetzliche Verankerung, umfassendes Mandat, garantierte Unabhängigkeit gegenüber der Regierung sowie staatlichen und staatsnahen Institutionen.

Nur eine Million

Klingt zunächst gut. Wäre da nicht viertens: die Finanzierung. Sollten die Informationen stimmen, die diversen Menschenrechtsorganisationen vorliegen, wird der Bundesrat in seiner Botschaft gerade einmal eine Million Franken pro Jahr vorschlagen. Ein solch tiefer Betrag allerdings würde den A-Status infrage stellen, den solche Institutionen von der Global Alliance of National Human Rights Institutions erhalten, wenn sie die Uno-Prinzipien erfüllen – und somit die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Menschenrechtsstaat aufs Spiel setzen. Weltweit sind heute 77 nationale Menschenrechtsinstitutionen, allein 27 in Europa, mit dem A-Label versehen. In der Schweiz hingegen würde die vom Bundesrat vorgesehene finanzielle Ausstattung gar einen Rückschritt gegenüber dem bisherigen Pilotprojekt, dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR), bedeuten. Denn es fielen Ressourcen weg, die beim SKMR durch die Anbindung an Universitäten gewährleistet sind. So werden etwa die Arbeit der elf Direktionsmitglieder und ProfessorInnen, wissenschaftliche Beiträge, die Infrastruktur von Tagungsräumen und die Personalverwaltung des SKMR bislang durch Kantonsgelder für die jeweiligen Universitäten finanziert. In der Endabrechnung stünden der NMRI also weniger Mittel zur Verfügung. Und das, obwohl ihr Aufgabenbereich per Definition weit umfassender wäre. Nur schon für die Öffentlichkeitsarbeit und die Umsetzung in den Kantonen und Gemeinden bräuchte es viel mehr Geld – zumal die NMRI neu in drei Landessprachen und auf internationaler Ebene zum Teil in englischer Sprache arbeiten müsste: Auch die Zugänglichkeit für Betroffene ist gemäss den Uno-Prinzipien ein grundlegendes Kriterium für eine NMRI, die vom bisherigen Zentrum nicht erfüllt werden kann.

Warum das EDA?

Auf internationaler Bühne setzt sich die Schweiz wortreich für die Menschenrechte ein. Doch sobald es um Menschenrechte im eigenen Land geht, zeigt sie sich knausrig. Zum Vergleich: Liechtenstein setzt für seine NMRI 350 000 Franken ein – mehr als ein Drittel des vorgesehenen Betrags der Schweiz, die über 200-mal so viele EinwohnerInnen hat. Und die niederländische NMRI erhält vom Staat knapp sieben Millionen Euro – rund das Siebenfache dessen, was dem Bundesrat vorschwebt.

Allein die Tatsache, dass für eine nationale MRI das Aussendepartement (EDA) zuständig sein soll, zeigt: Hier besteht ein blinder Fleck gegenüber Menschenrechten im eigenen Land. Ginge es nach Matthias Hui, müssten sich mehrere Departemente daran beteiligen: «Die NMRI ist kein Projekt der Aussenpolitik.» Weshalb es nichts als logisch wäre, sie «nicht hauptsächlich aus dem EDA-Budget und schon gar nicht auf Kosten der Menschenrechtsarbeit im Ausland» zu finanzieren. Gefordert wären demnach das Departement des Innern sowie das Justiz- und Polizeidepartement. Zusätzlich kompliziert wird das Ganze dadurch, dass für viele menschenrechtliche Fragen (wie Gesundheit, Polizei oder Strafvollzug) die Kantone zuständig sind.

Eigentlich hätte die unabhängige MRI ihre Tätigkeit schon im Januar 2021 aufnehmen sollen. Doch weil Aussenminister Ignazio Cassis den Prozess erneut verschleppt hat, zeichnet sich ab, dass die Pilotphase mit dem SKMR um zwei weitere Jahre bis Ende 2022 verlängert wird – weiterhin also ohne die Unabhängigkeit und die gesetzlich definierten Kompetenzen, die eine wirkungsvolle Überwachung der hiesigen Menschenrechtslage sowie allfällige Interventionen erst wirklich erlaubten.

Cassis und die «Kathedralen»

So kommt es zu einem weiteren Akt in diesem Trauerspiel, das bereits im Juli 2001 begonnen hat. Schon damals forderten rund hundert NGOs, Gewerkschaften, kirchliche Institutionen und Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft die Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution. Allein bis zum Beschluss des Bundesrats, vorerst eine Minimalvariante in Form eines universitären Zentrums einzurichten, vergingen acht weitere Jahre. Der im Sommer 2009 gefasste Plan des Bundesrats sah eigentlich vor, das Zentrum nach spätestens fünf Jahren in eine NMRI umzuwandeln. Stattdessen wurde der Pilotbetrieb 2015 um weitere fünf Jahre verlängert. Seit der Amtsübernahme von Cassis im November 2017 stockt der Prozess erneut. Von der NZZ darauf angesprochen, sagte Cassis im September 2018: «Wir müssen Lösungen finden, die richtig sind für unser Land, und nicht Lösungen, die einfach nur das Ziel haben, der Uno zu gefallen. Wir können nicht überall Kathedralen bauen.»

Worte, die zynischer nicht sein könnten. Zu einem Zeitpunkt notabene, da es auch darüber hinaus schlecht um die Menschenrechtsarbeit in diesem Land steht: Humanrights.ch kämpft seit Jahren mit der faktischen Nichtfinanzierung seiner Arbeit. Ähnlich prekär sieht es bei Organisationen aus, die sich um die kritische Begleitung der Schweizer Position bezüglich der Uno-Frauenrechtskonvention kümmern. Auch ihnen wurden vom Bund unlängst Gelder gekürzt. Sodass sich auch die Frage stellt: Wer finanziert in der Schweiz die Menschenrechtsarbeit, wenn sich der Staat drückt?

Ginge es nach dem Freisinn, würden in diesem Land die bestehenden rechtsstaatlichen Voraussetzungen genügen. Die SVP findet die staatliche Förderung einer Menschenrechtsinstitution gar «vollkommen überflüssig». Sollte die Vorlage des Bundesrats schon in der kommenden Frühlingssession in das neue Parlament kommen, wird sich zeigen, ob die Ratsrechte Cassis’ Alibilösung, was die Finanzen betrifft, annehmen wird. Und ob der erstarkte Block links der Mitte eine solch mickrige Vorlage schlucken wird. So oder so: Bis es in der Schweiz eine gesetzlich verankerte unabhängige Institution gibt, die sich wirkungsvoll für die Einhaltung der Menschenrechte im eigenen Land einsetzt, werden nochmals Jahre vergehen.