Geheimdienstaufsicht: «Völlig unzureichend kontrolliert»

Nr. 10 –

Thorsten Wetzling vom Berliner Thinktank Stiftung Neue Verantwortung hält den aufsichtsleeren Raum, in dem der Club de Berne operiert, für gefährlich. Er regt eine engere Kooperation und eine Modernisierung der europäischen Aufsichtsbehörden an.

Thorsten Wetzling, Politologe Foto: Sebastian Heise

WOZ: Herr Wetzling, uns liegt ein bisher unbekanntes Dokument des Club de Berne (CdB) vor, das einen Informationsaustausch zwischen europäischen Geheimdiensten und US-Diensten belegt. Die EU und auch die Schweizer Behörden stellten den Club de Berne immer als rein europäischen Zusammenschluss dar. Was soll dieses Täuschungsmanöver?
Thorsten Wetzling: Bisher war man zumindest von der Regierungsseite her bemüht, den CdB als Forum der Direktoren europäischer Inlandsnachrichtendienste darzustellen – quasi als ein Klassentreffen, um in regelmässigen Abständen die grossen strategischen Fragen und Richtlinien zu besprechen. Diese Darstellung ist nicht mehr haltbar. Es kommt ja auch noch der geleakte Bericht aus Österreich dazu. Die Verweise darin auf ein Computernetzwerk namens «Poseidon», die Cloud «Neptune» und eine «Phoenix» genannte Datenbank zeigen, dass der Club de Berne in den letzten Jahren zu einer Organisation mit eigener Verwaltung herangewachsen ist.

Der französische Sicherheitsforscher Didier Bigo beschreibt Geheimdienstzusammenschlüsse wie den CdB als «transnationale Gilden ausserhalb jeglicher Kontrolle».
Ich teile die Einschätzung, dass die internationale Kooperation von Nachrichtendiensten völlig unzureichend kontrolliert wird. Das niederländische Aufsichtsgremium CTIVD hat 2018 die Steuerung und Kontrolle der Dschihadistendatenbank der Counter Terrorist Group, einer Untergruppe des CdB, angeschaut. Dort speisen circa dreissig Nachrichtendienste Daten ein. Im Bericht wird auf das Risiko von unsauberen und defekten Daten eingegangen, die dem Verbund zur Verfügung gestellt werden. Wer haftet für diese? Es gibt weder eine gesetzliche Legitimierung für die Aktivitäten des CdB, noch haben die Kontrollgremien aus den CdB-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Datennutzung zu kontrollieren.

Birgt der aufsichtsleere Raum, in dem der CdB operiert, nicht noch viel weiter reichende Probleme? Wenn ohne Konsequenzen Gesetze überschritten werden können, wird damit doch letztlich die Demokratie ausgehebelt.
Ja, aufsichtsleere Räume bergen diese Gefahr. Es ist deshalb an der Zeit – zumindest im europäischen Rahmen –, für eine Harmonisierung der Rechtsschutzstandards und eine Erweiterung der Kontrollbefugnisse zu streiten. In den letzten Jahren hat es in einigen Ländern eine Reihe von Reformen von Nachrichtendienstgesetzen gegeben, die auch wichtige Errungenschaften der demokratischen Kontrolle enthielten. Leider bringen aber auch die besten Regelungen im nationalstaatlichen Kontext nichts, wenn man sie mittels der internationalen Kooperation umgehen oder aushebeln kann.

Was sagen Sie zum Argument, es brauche für den Kampf gegen den Terror multinationale Zusammenschlüsse?
Ich finde es gut, dass es Nachrichtendienste gibt, sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherheitsvorsorge unserer Demokratien. Und es braucht natürlich auch internationale Kooperation. Das heisst aber nicht, dass alles möglich sein sollte. Es gilt gut abzuwägen, mit welchem Partner man welche Form der Kooperation pflegt. Je grösser der Verbund und je grösser der Handlungsspielraum für die Akteure, desto zwingender sind Rechtsgrundlagen und Kontrolle. Sicherheit und Kontrolle stehen nicht im Gegensatz zueinander.

Ihre Stiftung Neue Verantwortung versucht, die europäischen Geheimdienstaufsichtsbehörden zu vernetzen. Gibt es schon Erfolge?
Erfolge sind schwer zu messen. Ich denke aber, dass wir mit dem European Intelligence Oversight Forum, wo auch die Schweizer Aufsichtsbehörde AB-ND mitmacht, einen ersten Fortschritt erreicht haben. Es fördert den Austausch zwischen den Aufsichtsgremien und Akteuren und Akteurinnen aus der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Jedes Jahr bereiten wir einen Workshop zu einem Thema vor, kürzlich betraf das etwa die datengesteuerte Kontrolltechnik. Dieses kollaborative Arbeiten an konkreten Problemstellungen führt in der Regel zu Publikationen, die Handlungsoptionen aufzeigen.

Publikationen, Workshops und Austauschförderung reichen doch nicht. Ist letztlich nicht vor allem die Politik gefordert?
Was es in Zukunft braucht, und zwar sowohl auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene, ist ein Ausbau der einzelnen Kontrollkompetenzen und ein besseres Zusammenwirken zwischen Datenschutz, juristischer Kontrolle und parlamentarischer Kontrolle. Ein Instrument sind auch Sanktionsmöglichkeiten. Man könnte etwa die Vergabe von Haushaltsmitteln vom Mitwirken an der Aufklärung vermeintlicher Missstände abhängig machen.

Artikel zum Thema: «Club de Berne: Der geheime Club der geheimen Dienste»