Fotografie: Euphorisch zugespitzte Arbeit

Nr. 16 –

Spektakuläre Bildwelten im (post)industriellen Zeitalter: Alastair Philip Wiper fotografiert weltweit Maschinen und Menschen bei der Arbeit – das ist imposant, aber auch etwas beliebig.

Die ungewollte Schönheit eines Containerschiffs: Werft in Südkorea. Foto: © Alastair Philip Wiper

Etwas Eigentümliches passiert, während man durch die Bildwelten des dänischen Fotografen Alastair Philip Wiper streunt. Maschinenglück, Maschinenästhetik, Maschinensinn falten sich auf: Grellbunte Datenkabel sortieren sich zu Strängen, Lichtsignale geistern durch den Serverraum, Maschinenmodelle aus Holz stehen herum, gewaltige Elemente des Teilchenbeschleunigers in den Anlagen der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf. Die spektakulär pragmatische Formenwelt von schalltoten Experimentalräumen der Technischen Universität von Dänemark öffnet sich. Die Hauptantenne eines Fünfzig-Megahertz-Radars in Chile wirkt, als könnte man daran Hopfen wachsen lassen. Oft ist die Funktion der Geräte höchstens zu erahnen.

Wie man sich diesem schön gestalteten und gedruckten Fotoband «Unintended Beauty» von Wiper auch nähert: Die hervorragend ausgeleuchteten, nüchtern komponierten Bilder scheinen sich uns kurz zuzuwenden, etwas herzuzeigen, um uns dann wieder allein zu lassen. Staunt hier jemand über die technische Verfasstheit der Welt? Schauen wir hier gemeinsam von der Warte der nach Einzigartigkeit und Individualität lechzenden Gesellschaft auf ihre industriell-moderne Basis?

Zeugen von Hedonismus

Wiper fotografiert auch Turnschuh-Testapparaturen und sechzig Tonnen schwere Türmodule; ein Future Consumer Lab. Und hier verrutscht etwas. Der Ansatz des technisch versierten, reiselustigen Fotografen dehnt sich auf einmal sehr weit, wird irgendwie beliebig. Deutlich wird das etwa, wenn wir plötzlich frisch gestopfte Würste auf ihrem Rollwagen sehen – gleich werden sie geräuchert und geschnitten, noch tropfen sie ab.

Neben der wunderlichen Architektur des Windtunnels tauchen also Produkte auf. Neben Prozessen, Forschungsapparaturen und Herstellungsmaschinerie recken sich adrig und voluminös Dildos ins Bild. Ein Roboter sortiert das gefrorene Schweinefett für die Würste, Schweinehälften hängen von Laufbändern, die Lagerhäuser des Wodkaherstellers sind brechend voll. Nur stehen diese Aufnahmen irgendwie quer zu den Forschungsapparaturen und Elektrizitätswerken.

Wipers Bildsprache rückt knochentrockene Grundlagenforschung neben den Bau einer Boeing und neben einen kuriosen Moment bei der Produktion von Sexrobotern: Frauenpuppen mit grossen Brüsten hängen herum und warten, bis ihnen ein elektronisches Hirn und das vom Konsumenten ausgewählte Gesicht montiert wird. Wer Zeichen sucht, findet hier eine kleine Prioritätenliste. Kurz ergibt sich ein Spiel zwischen den abgebildeten Objekten: den Zeugen von Hedonismus und Exzess, den Gestalt gewordenen Fragen an die Verfasstheit der Welt und den Anlagen, die all das mit Elektrizität versorgen. Dann bricht das Spiel gleich wieder ab.

Die Überschrift, die all das zusammenhalten soll, lautet «Unintended Beauty», unbeabsichtigte Schönheit. Mit der Zuspitzung auf Schönheit sortiert ein euphorischer Begriff Techniken des Kapitalismus. Und wenn man dann fotografisch von Frankreich über Chile nach Schweden reist, durch die USA, Deutschland und die Niederlande, haben wir bald Eindrücke aus allerlei Industrienationen beieinander, ein zwingender Zusammenhang ergibt sich daraus nicht. Aber man kann regionale Hierarchien herausarbeiten: Bei Adidas in Indonesien setzen Tausende Frauen in Kitteln Schuhe zusammen, unterstützt von einfachen Maschinen und Geräten. Die Dildos werden am Fliessband in den USA von Arbeiterinnen optisch überprüft. An wenigen Stellen rückt also die Arbeit von Menschen selbst ins Bild.

Verwirrende Kabel

Für das Verhältnis von Maschine zu Arbeit gäbe es ja durchaus einige analytische Ansätze. Nur eben nicht bei Wiper. Dass das Arbeitsmittel die Arbeiter «erschlägt», sie ersetzt oder zum Objekt herabsinken lässt; dass die Arbeit «Wunderwerke für die Reichen, aber (…) Entblössung für den Arbeiter» produziert, dachte zumindest Karl Marx bereits 1844. Dass die Maschinen uns Tätigkeiten abnehmen, das Leben erleichtern können, Erkenntnisse produzieren, wissen wir heute auch.

Gleichzeitig aber rümpeln wir unsere Welt mit aufwendig hergestellten Gegenständen voll. Das kann auch ein Supersportwagen wie der Koenigsegg Agera RS sein, dessen rohe Karosserie Wiper abbildet. Aber was hat der Sportwagen mit dem Teilchenbeschleuniger, was mit dem Bohrkopf für die Kopenhagener U-Bahn zu tun? Und wie verhält es sich mit der Schönheit von Klimawandel und Sportwagen?

Oder ist Letzterer ein Beispiel für all die Produkte der Arbeit, die uns dann vielleicht als «fremde Wesen» gegenüberstehen, wie Marx es formulierte? All die Produkte von Arbeit haben nicht nur oft verwirrend wirkende Kabelverbindungen, sie ziehen auch ein je eigenes Spinnennetz aus Konsequenzen nach sich. Diese Dinge zu betrachten, ist fein; ihnen mit einem schärferen politischen Konzept entgegenzutreten, hätte den Bildwelten von Alastair Philip Wiper gutgetan.

Alastair Philip Wiper: Unintended Beauty. Mit Texten von Marcelo Gleiser, Ian Chillag. Hatje Cantz Verlag. Berlin 2020. 208 Seiten. 50 Franken