Staatsschulden: Schweizer Banken sollen 5,7 Milliarden Franken erlassen

Nr. 23 –

Armen Ländern fehlt das Geld, um sich gegen das Coronavirus zu schützen; gleichzeitig versinken sie in Schulden. Nun fordern NGOs von Schweizer Banken, dass auch sie ihren Beitrag zur Bekämpfung der Katastrophe leisten.

Schulden bezahlen oder in medizinische Infrastruktur investieren? Operation in einem Zelt in Malawi, Januar 2019. Foto: Ute Grabowsky, Getty

Jedes Jahr bezahlen die ärmsten Länder der Welt – etwa Burundi, Malawi oder Laos – den hiesigen Banken in Genf oder Zürich Millionen von Franken an Zinsen. Denn diese haben ihnen viel Geld geliehen. Die 86 ärmsten Staaten schulden den Schweizer Banken insgesamt 5,7 Milliarden Franken, wie bisher unveröffentlichte Zahlen zeigen, die die NGO Alliance Sud von der Nationalbank erhalten hat.

Jetzt droht diesen Ländern, wo viele Menschen ohnehin stets am Abgrund stehen, wegen der Coronakrise eine weitere Katastrophe: Ihre Wirtschaft bricht ein, die Rohstoffexporte schrumpfen, der Tourismus lahmt, die Überweisungen von Landsleuten im Ausland bleiben aus. Während weitere Bevölkerungsteile in die Armut fallen, fehlt den Ländern das Geld für die nötigen Spitalbetten, Beatmungsgeräte, Schutzanzüge und Medikamente, um Leben zu retten. Darüber hinaus drohen sie in den Schulden zu versinken. Die Strafzinsen, die die Banken für Kredite verlangen, klettern immer weiter in die Höhe.

Ghana gibt 39 Prozent seiner Staatseinnahmen als Zins an seine Gläubiger weiter. Das ist dreimal so viel, wie das Land für sein Gesundheitssystem zur Verfügung hat. Ein Beispiel unter vielen.

Schuldenschnitt wäre folgerichtig

Kristalina Georgiewa, Direktorin des Internationalen Währungsfonds, und Weltbankchef David Malpass haben deshalb die Staaten dazu aufgefordert, öffentliche Kredite, die sie an arme Länder vergeben haben, zu sistieren. Die G20-Staaten sind dem Aufruf gefolgt und haben private Gläubiger ebenso wie Banken aufgerufen, ihren Beitrag zu leisten. Entwicklungspolitische NGOs wie Oxfam sowie eine Initiative von 300 ParlamentarierInnen aus aller Welt gehen einen Schritt weiter und fordern dringend einen weitgehenden Schuldenerlass. Einen solchen hat auch Uno-Generalsekretär António Guterres in den letzten Wochen wiederholt gefordert.

Wird ein Staat insolvent, ist ein Schuldenschnitt nur konsequent: Schliesslich stecken die Geldgeber nur deshalb so hohe Zinsen ein, weil das Ausfallrisiko entsprechend hoch ist. Kann ein Land seine Schuld nicht mehr tragen, ist es folgerichtig, dass die Geldgeber dafür geradestehen.

Am Erscheinungstag dieser WOZ fordern nun auch Schweizer NGOs wie Alliance Sud und Public Eye die hiesigen Banken auf, ihren Beitrag zur Bekämpfung der sich abzeichnenden Katastrophe zu leisten: Konkret sollen sie die 5,7 Milliarden Franken abschreiben, die sie an die 86 ärmsten Länder vergeben haben.*

Die NGOs verlangen vom Bundesrat, zunächst einen runden Tisch einzuberufen, um über die Modalitäten des Schuldenerlasses zu verhandeln. An diesem sollten neben Behörden, Banken und der Zivilgesellschaft auch VertreterInnen der betroffenen Länder beteiligt sein. Zudem verlangen die NGOs Transparenz darüber, wie sich die Schulden von 5,7 Milliarden Franken auf die einzelnen Länder verteilen. Vor kurzem hat auch SP-Nationalrat Fabian Molina den Bundesrat per Interpellation gefragt, ob er bereit sei, sich für einen Schuldenerlass einzusetzen. Die Antwort auf den Vorstoss steht noch aus.

Alle Augen auf Ueli Maurer

Auf Anfrage lässt Ueli Maurers Finanzdepartement offen, ob es sich für einen Schuldenerlass sowie einen runden Tisch einsetzen will. Das Finanzdepartement teilt lediglich mit, es unterstütze die G20-Initiative für eine vorübergehende Sistierung von Schulden. Da die Initiative auch an private Gläubiger appelliere, sei diese auch Gegenstand der Kontakte, die man mit den Banken unterhalte. Die Bankiervereinigung wiederum schreibt, dass die Branche sich noch keine Meinung zur Frage gebildet habe. Sollten die Behörden auf den Verband zukommen, werde man sich jedoch mit ihnen an den Diskussionen beteiligen. Jetzt ist also Finanzminister Ueli Maurer am Zug.

* Korrigendum vom 5. Juni 2020: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion steht fälschlicherweise, dass die von NGOs kommunizierte Summe von 5,7 Milliarden, die Schweizer Banken an die ärmsten Länder geliehen haben, nur Kredite beinhalten würde, die von der Schweiz aus vergeben wurden. Korrekt ist, dass in dieser Summe auch Kredite ausländischer Tochtergesellschaften enthalten sind.