Freischaffende: Vorhang zu? Kasse auf!

Nr. 29 –

Ironie der Pandemie: Während die Bühnenvorhänge bis auf Weiteres gefallen sind und Kunststücke nur noch in stillen Kammern exerziert werden, verlegt das kulturell unterversorgte Publikum seine Applaudiertätigkeit auf Balkone, um von dort dem Personal in den Spitälern zu huldigen. Und das ja völlig zu Recht.

Wirklich konkret aber wird gesellschaftliche Anerkennung erst durch angemessene Löhne und soziale Absicherung. Das gilt auch für Kulturschaffende, die von der Coronapandemie besonders hart getroffen sind.

Die kulturelle Vielfalt, die vielerorts als entscheidender Standortfaktor gilt, ist mehr als ein billiges Erbstück, das man ab und zu ein wenig abstauben muss. Da würde man denken, dass diejenigen, die diese gloriose Vielfalt erst wirklich lebendig halten, auch anständig honoriert und in schlechten Zeiten hinreichend unterstützt würden. Doch hier wie dort, im Spital wie im Theater: Diejenigen, die die Gesellschaft im eigentlichen Sinn des Wortes unterhalten, sind in der realwirtschaftlichen Hierarchie dann doch recht weit unten einsortiert.

Und dann also, während das Spitalpersonal vor lauter Arbeit kaum mehr zur Ruhe kam, brechen den KünstlerInnen und anverwandten Berufsleuten sämtliche Auftritte und damit verbundene Aufträge weg. Kein Applaus – und für viele nicht mal mehr Spaziermünz. Nach einer gewissen Zeit reicht vielen selbst für die Wohnungsmiete das Geld nicht mehr. Festangestellte erhalten zwar weiter ihren Monatslohn oder (bei Kurzarbeit) einen grösseren Teil davon; und für Selbstständigerwerbende wurde notfallmässig ein Coronaerwerbsersatz eingerichtet. Für sogenannt Freischaffende aber, die als Unselbstständige von Kurzanstellung zu Kurzanstellung und von Auftrag zu Auftrag rennen, gibt es im Fall eines längeren Erwerbsausfalls bis heute nur eine Ausflucht: Sozialhilfe.

In diese Lücke fallen längst nicht nur Kulturschaffende. Allerdings sind sie so etwas wie die Avantgarde der Freischaffenden, schliesslich hat sich dieser zunächst durchaus attraktiv erscheinende Status ab den achtziger Jahren nicht zuletzt in der freien Szene herausgebildet.

Nun aber offenbart sich, wie realitätsfremd das Sozialversicherungssystem ist: So hat zum Beispiel eine Schauspielerin, die im Lauf der letzten 24 Monate von mehreren Theatern angestellt war und daneben den einen oder anderen Sprechauftrag erfüllte, noch immer nicht sicher Anspruch auf Arbeitslosengeld – dann nämlich, wenn sie in diesen 24 Monaten insgesamt nicht mindestens 12 Monate eine beitragspflichtige Tätigkeit ausgeübt hat und daher kein regelmässiges Einkommen vorweisen kann. Wer fleissig arbeitet, aber unregelmässig verdient, wird von der Arbeitslosenkasse ausgeschlossen.

Die Kulturverbände fordern nun vom Bundesrat, auch Freischaffende in den Massnahmen zur Unterstützung von kulturellen Kleinbetrieben und Selbstständigen zu berücksichtigen, die er dem Parlament im Covid-19-Gesetzesentwurf bald vorlegen wird. Dass das bis jetzt nie ernsthaft zur Debatte stand, zeigt, wie wenig die Arbeit all jener geschätzt wird – und dazu gehören auch all die gestalterisch und technisch tätigen Berufsleute hinter den Kulissen –, die die kulturelle Vielfalt am Leben halten. Oder wirkt da noch immer die zynische Vorstellung, nach der hehre Kunst nur aus irdischem Leid erwachse?

Wann, wenn nicht jetzt, wo dieser Missstand so klar zutage tritt, besteht die Gelegenheit, ein nachhaltiges Finanzierungsmodell zu erarbeiten? Dazu bräuchte es allerdings einen doppelten Abschied: erstens von der zunehmend marktwirtschaftlich geprägten und produktfixierten Kulturpolitik. Und zweitens vom unzeitgemässen Sozialversicherungssystem.

So gesehen könnte die Coronakrise auch eine Chance sein: Eine Gesellschaft, die weiss, dass kulturelle Substanz nicht erst im Rampenlicht entsteht, sondern oft über viele Wochen in stillen Kammern, Werkstätten und Proberäumen gedeiht, lässt ihre KünstlerInnen nicht ohne Netz ins Elend fallen.