Bundesanwaltschaft: Das Gebastel geht weiter

Nr. 32 –

Eigentlich müsste die Bundesanwaltschaft wirklich unabhängig sein, um die Schweiz vor korrumpierenden Einflüssen wie Geldwäscherei zu schützen. Statt dieses Problem zu lösen, verliert sich das Parlament in Reförmchen.

Illustration: Marcel Bamert

Die Bundesanwaltschaft ist seit Jahren ein Problemfall. Mit dem Fall Lauber fliegt dem Parlament gerade der ganze Laden um die Ohren. Zwar hat Michael Lauber seinen Rücktritt verkündet, aber bis Januar 2021 ist er noch im Amt. In der Zwischenzeit verabschiedet er sich in fünfmonatige Ferien. Ein Sonderstaatsanwalt hat die Aufhebung seiner Immunität beantragt. Was kommt da noch? Es ist ein Schrecken ohne Ende. Das Parlament trägt eine erhebliche Mitverantwortung dafür, weil seine unentschlossenen Reformen nicht greifen.

Dabei ginge es auch anders. In Italien sind StaatsanwältInnen den RichterInnen gleichgestellt. Politisch unabhängig, verwalten sie sich durch den Consiglio Superiore della Magistratura selbst. Das Gremium entscheidet unter anderem über Einstellungen, Versetzungen oder Disziplinarmassnahmen. Diese Einrichtung schützt die StrafverfolgerInnen vor Einflussnahme. In der Schweiz sind die obersten Strafermittler den Fliehkräften politischer Interessen ausgesetzt, müssen sich regelmässig einer Wahl stellen und werden von einem Milizgremium beaufsichtigt, das ebenfalls vom Parlament gewählt wird. Dieses Zwittersystem der Gewaltenteilung wirft Probleme auf, die sich in der Behörde seit Jahrzehnten ausgeprägt manifestieren.

Gesellschaftspolitische Debatte

Nach dem Lauber-Debakel wäre der Zeitpunkt für eine radikale Reform gekommen. Eine parlamentarische Subkommission erarbeitet derzeit Vorschläge, die im Herbst ins Parlament kommen.

Der ehemalige Tessiner Staatsanwalt und Altständerat Dick Marty (FDP) stört sich an diesem politischen Einfluss auf die Justiz. «Die Bundesanwaltschaft ist zu wenig gut geschützt, alle reden rein. Es wäre an der Zeit, dass die Schweizer Politik die Unabhängigkeit der dritten Gewalt endlich akzeptiert.» Als die Bundesanwaltschaft nach der Fichenaffäre neu aufgestellt und ausgebaut wurde, verband sich damit die Hoffnung, dass Delikte wie Geldwäscherei und organisierte Kriminalität auf Bundesebene effektiver bekämpft und Ermittlungen international besser koordiniert werden könnten. Marty und seine ParlamentskollegInnen vermuteten, dass die Reform die besten StaatsanwältInnen aus den Kantonen anziehen würde.

Illustration: Marcel Bamert

«Diese Hoffnung hat sich leider zerschlagen», sagt Marty heute. Die Einmischung der Politik habe fähige Leute abgeschreckt. Der Tessiner hält deshalb nicht viel von Reorganisationen. Entscheidend seien unabhängige und mutige StaatsanwältInnen, die heisse Eisen anpackten, beobachteten, was in der Öffentlichkeit vorgehe, von sich aus recherchierten und nicht darauf warteten, bis ein Polizeirapport auf dem Pult lande. «Meine grossen Fälle als Tessiner Staatsanwalt kamen auf diese Weise zustande.» Auffällig sei, wie rasch die Bundesanwaltschaft gerade Geldwäschereifälle einstelle. Dadurch entstehe der Eindruck, sie handle im Interesse der «besseren Gesellschaft».

Blochers Sternstunde

Vor etwa zwanzig Jahren begann der Ausbau der Bundesanwaltschaft. Zuvor war sie eine kleine Behörde. Sie war zuständig für Delikte, die den Bund betrafen – etwa für Straftaten gegen Magistratspersonen des Bundes oder Sprengstoffanschläge. Die Tätigkeit des Bundesanwalts beschränkte sich im Wesentlichen auf die Eröffnung einer Untersuchung und die Leitung des Vorverfahrens. Er delegierte aber in aller Regel die Fälle an die Kantone. «Zeitgleich mit der sogenannten Effizienzvorlage zur Reorganisation der Bundesanwaltschaft kamen neue Straftatbestände ins Spiel – Geldwäscherei, organisierte Kriminalität, Korruption und anderes», sagt Niklaus Oberholzer, Altbundesrichter und ehemaliger Präsident der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft. «Man wollte die Bundesanwaltschaft auf 500 Mitarbeiter ausbauen. Bundesrat Blocher stoppte den personellen Ausbau glücklicherweise beim Stand von 250 Leuten.» Man habe viele Fälle prognostiziert, was sich am Ende nicht bewahrheitet habe.

Mit der Reform der Bundesanwaltschaft wurde auch das Bundesstrafgericht in Bellinzona aufgebaut, die Ermittler in Bern erhielten neue Kompetenzen, die sich mit jenen der Kantone überschnitten. «Der Ausbau hat letztlich vier gescheiterte Bundesanwälte produziert», sagt Oberholzer. Nun sei eine breite gesellschaftspolitische Debatte über Sinn und Zweck von Strafverfolgung und Strafrecht nötig. «Geldwäscherei ist für mich einer dieser diffusen Begriffe.» Ein Teil des Schweizer Wirtschaftsmodells beruhe ja gerade darauf, problematische Gelder ins Land zu holen und daraus wirtschaftliche Vorteile zu ziehen. «Die Grenzen zwischen legal und illegal sind fliessend, die Strafermittler sollen dann aus diesem Graubereich die schwarzen Schafe herausfiltern, die dieses System ja anzieht.» Die Lösung seien nicht mehr Straftatbestände, sondern eine transparente Wirtschaftsstruktur.

Das Problem bei der Fifa

Ein durchaus vergleichbares Phänomen zeige sich bei der Fifa, sagt der Altbundesrichter. «Seit bald fünfzig Jahren läuft eine Diskussion darüber, dass sich der Fussballverband in der Form eines Vereins konstituiert hat. Diese Rechtsform ist für ideelle Institutionen wie etwa für einen Wohltätigkeitsverein oder einen Jassklub, nicht aber für Unternehmen mit Milliardenumsätzen gedacht.» Von der Fifa müsste die Politik verlangen, dass sie sich als Aktiengesellschaft konstituiere. Auch eine Umwandlung in eine AG löse nicht alle Probleme, würde aber zumindest grössere Transparenz und Kontrolle ermöglichen. Das Zürcher Kantonsparlament hat indes im April 2018 den steuerprivilegierten Status der Fifa nochmals bestätigt.

Oberholzer formuliert sein Grundanliegen so: «Wir sollten bei der gesellschaftlichen Ordnung ansetzen und Probleme politisch sauber lösen, statt Fehlentwicklungen mit dem Strafrecht korrigieren zu wollen. Dies könnte durchaus Auswirkungen auf eine allfällige Neuausrichtung der Bundesanwaltschaft haben.»

Mit solchen gesellschaftspolitischen Betrachtungen haben BundesparlamentarierInnen wenig am Hut. Im März trat der Nationalrat nicht einmal auf eine Vorlage des Bundesrats ein, der das Geldwäschereigesetz verschärfen wollte. SVP-Nationalrat Alfred Heer will in der Herbstsession mit einer parlamentarischen Initiative die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft wieder an den Bundesrat delegieren, der diese bis 2011 innehatte. Neu wäre dafür der Sicherheitsausschuss des Bundesrats zuständig. Diesem gehören die Vorsteherin des VBS, die Justizministerin und der Aussenminister an.

FDP-Ständerat Andrea Caroni hingegen zweifelt nicht an der Notwendigkeit einer starken Bundesanwaltschaft. «Wer soll denn komplexe internationale Fälle bearbeiten? Etwa kleine kantonale Staatsanwaltschaften?» In der Frage der Aufsicht und der Wahl des Bundesanwalts signalisiert Caroni jedoch Diskussionsbereitschaft: «Das gegenwärtige System mit Nachbesserungen ist ein gangbarer Weg. Ich bin aber auch offen dafür, dass wieder die Exekutive diese Verantwortung wahrnimmt.» Bedenkenswert findet er ausserdem, die Führung der Bundesanwaltschaft einem Dreiergremium zu überantworten: «Das nähme Druck von einzelnen Bundesanwälten und würde personelle Diskussionen entschärfen.»

BastA!-Nationalrätin Sibel Arslan hat gerade wegen der ausbleibenden Erfolge bei der Geldwäscherei mehrere Forderungen: Die neue Bundesanwältin dürfe nicht aus der Finanzbranche kommen. Sie sei rasch zu wählen, um mit dem System Lauber aufzuräumen und die offenen Geschäfte weiterzuführen; die Frauenfrage sei zentral; die Aufsicht, heute ein Milizgremium, müsse professionalisiert und ausgebaut werden, um die Behörde wirksam zu kontrollieren. «Laubers Fall deckt ein systemisches Problem auf. Dass er die Aufsicht nicht respektiert, liegt auch daran, dass sie als Milizgremium gegenüber der Behörde zu schwach aufgestellt ist.»

Sicher ist: In der Bundesanwaltschaft kehrt nicht so rasch Ruhe ein. Dafür wird das uneinige Parlament besorgt sein.