Gastronomie: Die Ruhe vor dem Winter

Nr. 38 –

Beschäftigungsrückgang und aufgebrauchte Kredite: Während der Sommer langsam zu Ende geht, werden die Sorgenfalten der GastronomInnen tiefer.

Die Coronabestimmungen erfordern mehr Personal, gleichzeitig gibt es weniger Umsatz: Cocktailbar Taube in der Berner Altstadt.

Es ist bereits dunkel, aber die Luft ist noch warm. An der oberen Rathausgasse in der Berner Altstadt, wo sich Restaurants und Bars aneinanderreihen, sind um halb neun Uhr abends fast alle Tische besetzt. Damit die Abstandsregeln eingehalten werden können, hat die Stadt den Betrieben erlaubt, ihre Aussenflächen auszuweiten. Tische und Stühle sind so weit unter den Lauben und auf den Pflastersteinen verteilt, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Lokalen verschwimmen. Volle Tische, fröhliche Stimmung, keine Masken: Nichts deutet an diesem Samstagabend darauf hin, dass es Probleme geben könnte. Doch der Schein trügt.

Ein Verlust von 21 000 Stellen

«Clubsterben», «Barsterben», «Gastgewerbe in der Krise». Nicht nur Medienberichte über erfolgte und befürchtete Schliessungen, auch die Beschäftigungszahlen in der Schweizer Gastronomie geben Anlass zur Sorge. Wie eine Erhebung des Bundesamts für Statistik für das zweite Quartal 2020 zeigt, trifft die Pandemie die Gastronomie hart: Im Vergleich zum Vorjahr ist der Beschäftigungsgrad um ganze zwölf Prozent gesunken, was einem Verlust von etwa 21 000 Vollzeitstellen entspricht. «Wenn man bedenkt, dass die meisten Betriebe Kurzarbeit beantragt haben, sind diese Zahlen noch erschreckender», sagt Mauro Moretto. Der Branchenverantwortliche der Gewerkschaft Unia fordert daher eine Ausweitung der Kurzarbeit. Insbesondere für die Angestellten mit besonders prekären Arbeitsbedingungen fehlen laut Moretto nach wie vor Lösungen: «Viele haben sowieso bereits einen tiefen Lohn. Erhalten sie davon lediglich achtzig Prozent, bedeutet das für viele eine zusätzliche Prekarisierung.» Die Unia setzt sich deswegen dafür ein, dass TieflöhnerInnen die volle Summe ihres regulären Einkommens erhalten. Diese Forderung hatte bisher im Parlament aber keine Chance.

Ein weiteres Anliegen, das auch ArbeitgeberInnenverbände wie Gastrosuisse unterstützen, ist die Ausweitung der Kurzarbeit auf Mitarbeitende mit unregelmässigen Einsätzen. Nach dem National- hat am Mittwoch auch der Ständerat einem entsprechenden Antrag zugestimmt.

Auch die Geschäftsmieten beschäftigen das Parlament nach wie vor. Obwohl beide Räte im Juni noch dafür votierten, dass Betriebe, die während des Lockdowns schliessen mussten, ihren VermieterInnen nur vierzig Prozent des Zinses schuldig sind, ist nicht sicher, ob die entsprechende Gesetzesvorlage in der Wintersession durchkommt. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, die sich in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben für die Vorlage eingesetzt hat, fürchtet, es werde schwer, die Mehrheiten zu halten: «Viele haben doch nun das Gefühl, das Thema sei schon gegessen.»

Während sich der Bund ansonsten mit branchenspezifischen Unterstützungsmassnahmen zurückhält, wird in den Kantonen nach raschen Lösungen gesucht. In Basel-Stadt etwa fordern die Grossratsfraktionen geschlossen ein Unterstützungspaket von zehn bis fünfzehn Millionen Franken für das Gast- und Hotelgewerbe. Ein anderer Vorschlag, der nicht nur in Basel, sondern auch in den Kantonen Bern, Zürich und Luzern diskutiert wird, ist die Rückkehr der klimasünderischen Heizpilze. Ob das reicht, um die Gastronomie zu retten?

Mieten als entscheidender Faktor

Max Reichen von der Berner Bar- und Clubkommission glaubt, im Moment herrsche noch die Ruhe vor dem Sturm. «Der Sommer ist bald vorbei, und draussen wird dann nicht mehr viel laufen.» Viele Betriebe hätten Notkredite aufgenommen, diese aber mittlerweile grösstenteils aufgebraucht. Und doch trifft es nicht alle gleich hart: «Bisher mussten wohl vor allem Lokale schliessen, bei denen es schon vor der Coronakrise nicht gut lief.» So war es beim Restaurant Rathaus, das zu den wenigen Berner Beizen gehört, die Corona bisher zum Opfer fielen.

Dass nicht nur der Standort, sondern ganz viele Faktoren bei der Frage mitspielen, ob ein Gastrobetrieb überlebt, zeigen weitere Beispiele aus der Rathausgasse. Etwa die linke Kneipe 3 Eidgenossen, die dank der treuen Stammgäste momentan gleich gut läuft wie vor Corona. Oder die Cocktailbar Taube ein paar Häuser weiter, wo wiederum andere Voraussetzungen herrschen. «Wir machen eindeutig weniger Umsatz als vorher», sagt Mitinhaber Benjamin Bertogg. Um das Branchenschutzkonzept umzusetzen, musste die «Taube» auf Bedienung am Tisch umstellen. Dafür benötigt sie nun mehr Angestellte, kann aber gleichzeitig weniger Gäste bedienen. Da der Aussenbetrieb in der Altstadt nur bis halb ein Uhr erlaubt ist, haben die Betreiber der «Taube» die Öffnungszeiten verkürzt. «Sonst bräuchten wir zusätzliches Sicherheitspersonal und hätten noch mehr Kosten.» Bisher wurden in der «Taube» noch keine Kündigungen ausgesprochen. Für die SpringerInnen, die vor Corona regelmässig aushelfen konnten, gibt es aber im Moment keine Einsätze.

Bertogg sieht den grössten Handlungsbedarf in der Mietpolitik. «Solange wir gleich viel Miete zahlen müssen, aber weniger Umsatz machen, werden wir keine schwarzen Zahlen schreiben.»