Coronakrisenhilfe: «Gegen Ende Jahr dürften die Konkurse kommen»

Nr. 48 –

Die Pandemie wirbelt die Politik durcheinander: Linke setzen sich für kleine Gewerbebetriebe ein und treiben die bürgerlichen Parteien vor sich her, die ihre Klientel im Stich lassen.

Hinter Plexiglas fürs Kleingewerbe: Die Zürcher SP-Nationalrätinnen Jacqueline Badran und Mattea Meyer. Foto: Allessandro della Valle, Keystone

FDP und SVP feiern in Sonntagspredigten kleine und mittlere Unternehmen gerne als «Rückgrat der Schweizer Wirtschaft». In der Krise liessen sie dann aber von der Pandemie stark betroffene Branchen monatelang hängen. Veranstalterinnen, Schausteller, Barbetreiberinnen, kleine Reisebüros oder Tribünenbauer haben anders als Banken, Pharma- oder Immobilienkonzerne keine gut bezahlten LobbyistInnen im Bundeshaus. Ihre Tätigkeiten waren und sind von bundesbehördlich verordneten Betriebsschliessungen zwar nicht direkt betroffen. Doch die Umsätze sind weg – die Fixkosten bleiben.

Reisen ist zwar nicht verboten, aber kaum jemand reist mehr. Tribünen aufbauen ist gestattet, aber es finden keine Grossevents mehr statt – zum Beispiel Schwingfeste. Oder Chilbis. Ein Schausteller ist deswegen aus der FDP ausgetreten und lobt die grüne Nationalrätin Regula Rytz. Wie überhaupt linke Politikerinnen und Gewerkschafter in dieser Pandemie das politische Gesicht einer entschlossenen Krisenhilfe für das kleinere und mittelgrosse Gewerbe sind. Davon zeugt auch die in dieser Woche erfolgte öffentliche Forderung der SP nach einer Aufstockung der wirtschaftlichen Hilfsmassnahmen.

Etwa Mattea Meyer und Jacqueline Badran. Die Zürcher SP-Nationalrätinnen veranstalten Videokonferenzen mit VertreterInnen von Reise-, Gastro- und Veranstaltungsbranchen, um staatliche Hilfe zu organisieren und Druck auf die Bürgerlichen auszuüben. Vor der Septembersession, in der das Covid-19-Gesetz beraten wurde, fand eine solche Konferenz statt, Anfang November eine weitere mit VertreterInnen der Reisebranche im Hinblick auf die Dezembersession. Dort wird es auch um die Ausgestaltung des Härtefallprogramms und den Entscheid über den Teilerlass von Geschäftsmieten gehen (vgl. «Dezembersession» im Anschluss an diesen Text). Badran sagt: «In den letzten Monaten habe ich gegen 1500 Mails von verzweifelten Gewerbetreibenden erhalten. Ich habe mich kundig gemacht, wie diese Branchen funktionieren, mit den Leuten geredet und verstanden, dass die Politik hier sofort helfen muss.»

Gewerbefeindlicher Bürgerblock

Eine erste entscheidende Hilfe für das unverschuldet krisengeplagte Gewerbe war die Corona-Erwerbsausfallentschädigung (EO) für Selbstständigerwerbende und GeschäftsinhaberInnen, die der Bundesrat Ende März beschloss. Auch hier war es die Linke, die letztlich einen vorzeitigen Abbruch der EO per 1. Juni verhindern wollte: Noch während der Junisession verlangte Mattea Meyer per Motion eine Verlängerung, scheiterte aber hauchdünn, weil drei Grüne ausscherten (siehe WOZ Nr. 26/2020 ). Der Bundesrat verlängerte dann diese Zahlungen im Sommer aufgrund des grossen öffentlichen Drucks bis September. In der damals anberaumten ausserordentlichen Session war Meyer schliesslich mit einem Minderheitsantrag aus der nationalrätlichen Kommission für Soziales und Gesundheit erfolgreich: Gegen den Willen des Bundesrats stimmten 192 von 200 NationalrätInnen ihrem Antrag zu, den Erwerbsausfall für besonders von der Krise betroffene Selbstständige und GeschäftsinhaberInnen in der bisherigen Form weiterzubezahlen – bis 30. Juni 2021.

FDP-Fraktionschef Beat Walti hatte vor der Abstimmung noch gegen Meyers Antrag argumentiert. Derweil forderte die SVP-Fraktion, die sich im Frühjahr kategorisch dagegen ausgesprochen hatte, per Motion nun plötzlich, wofür die SP schon lange gekämpft hatte – dieselbe SVP-Fraktion notabene, die bereits Anfang Mai in einer Motion die Rückkehr zum Leben vor dem Lockdown verlangte. Zu jenem Zeitpunkt stellten die Fachleute der SVP fest, «dass die Gefährlichkeit der Pandemie anfänglich überschätzt wurde». Mattea Meyer: «Das Umschwenken der SVP ist ein durchsichtiges Manöver. Ich habe festgestellt, dass viele kleine Gewerbetreibende enorm enttäuscht sind, dass sie ausgerechnet in der schweren Krise vor allem von SVP und auch FDP im Stich gelassen wurden. Ich glaube, dieser Vertrauensbruch lässt sich kaum mehr reparieren.» Dabei sei rasche Hilfe auch ökonomisch sinnvoll: Wenn der Staat diesen Menschen nicht helfe, landeten viele von ihnen in der Arbeitslosigkeit und letztlich womöglich in der Sozialhilfe.

Eine Milliarde reicht nicht

Angefragte Branchenverbände hüten sich vor Urteilen über die Parteien, ihre Aussagen offenbaren aber, dass sie mit den bisherigen politischen Lösungen, die ihnen zur Überwindung der Krise dienen sollen, nicht zufrieden sind. So begrüsst Barbara Gisi, die Direktorin des Tourismusverbands, den Bundesratsbeschluss, die Gelder für Härtefälle auf eine Milliarde Franken aufzustocken, betont aber, dass «angesichts der strengen Schutzmassnahmen sowie regionaler Lockdowns wohl weitere Massnahmen nötig» seien. Patrik Hasler-Olbrych, Mediensprecher von Gastrosuisse, zeigt sich zwar erleichtert, dass der Bundesrat neu auch Gastrobetriebe als Härtefälle berücksichtigt, fügt aber hinzu: «Eine Milliarde reicht nicht.» Entscheidend sei nun, dass das Parlament den Änderungen des Covid-19-Gesetzes zustimme. «Vor allem aber müssen die Gesuche unbürokratisch und zügig behandelt werden. Nach wie vor drohen in unserer Branche 100 000 Arbeitsplätze zu verschwinden.» Allein im ersten Halbjahr sind im Gastgewerbe gemäss Bundesamt für Statistik bereits 33 000 Jobs verloren gegangen. Zudem stösst die Forderung der Gewerkschaften und der linken Parteien, die Kurzarbeitsentschädigung bei tiefen Löhnen von achtzig auf hundert Prozent zu erhöhen, in den meisten Kantonen auf Widerstand.

Auch Christoph Kamber, Präsident des Verbands der Eventbranche, Expo Event, fordert eine rasche Umsetzung der Nothilfe. Die Hürden in der Verordnung seien jedoch viel zu hoch: «Hilfe tut not, und zwar unbürokratisch, flächendeckend und grosszügig. Ansonsten haben wir Massenkonkurse.» Laut Kamber haben viele Eventunternehmen seit Krisenbeginn über 90 Prozent des Umsatzes verloren; über die ganze Branche seien es über 75 Prozent. Angesichts der schleppenden Umsetzung der Nothilfe befürchtet Kamber in den nächsten zwei bis drei Monaten einen starken Anstieg der Geschäftsaufgaben. Erste Zahlungen müssten daher noch in diesem Jahr fliessen: «Etliche Betriebe haben bereits gut qualifiziertes Personal entlassen müssen. Das schadet dem Branchen-Know-how enorm.»

Alexander Bücheli von der Schweizer Bar- und Clubkommission SBCK ist froh, dass der Bundesrat mit der Schliessung aller Clubs für Klarheit gesorgt hat: «Damit hat zumindest ein Teil der Clubs eine Versicherungsdeckung.» Bei den Bars dagegen, die weiter offen sein können, sei das nicht der Fall. Zwar gebe es den Erwerbsersatz und Kurzarbeitsentschädigungen, neu auch für befristet Angestellte: «Das ist ein positives Signal, kommt aber etwas spät.»

Immerhin sollen nun auch Bars als Härtefälle behandelt werden. Wobei die Kantone unterschiedlich damit umgehen: Positiv vorangegangen sei der Kanton Zürich, der auch À-fonds-perdu-Beiträge auszahlen will. «Doch da das Gesetz in die Kantonsräte muss und auch noch Referenden möglich sind, kann es sein, dass die Gelder erst im April eintreffen. Das wäre zu spät.» Dass bislang nur wenige Betriebe schliessen mussten, liegt laut Bücheli am überdurchschnittlichen Idealismus in der Branche: «Viele Betreiber zahlen sich kaum mehr Löhne aus. Doch jetzt, gegen Ende Jahr, kommen die Betreibungen – und dann wohl auch vermehrt Konkurse.» Dass es das Parlament noch immer nicht geschafft hat, sich auf einen Teilerlass von Geschäftsmieten zu einigen, sei verheerend.

Und der Gewerbeverband?

Jacqueline Badran sieht das ähnlich. Umso mehr staune sie darüber, welche bürokratischen und regulatorischen Hindernisse bürgerliche PolitikerInnen einbauen möchten, indem sie die Nothilfen von Umsatzeinbussen abhängig machten: «Dabei sind in der Regel die laufenden Fixkosten das grosse Problem. Wer sie wegen des Geschäftseinbruchs nicht mehr bezahlen kann, droht unterzugehen, ehe die Nothilfe ankommt.» Es gehe darum, die vielen an sich gut aufgestellten Betriebe und damit Zehntausende Arbeitsplätze und Existenzen über die Krise hinweg zu retten.

Was aber können da KMUs vom Gewerbeverband erwarten – jenem bürgerlichen Konsortium, das zumindest dem Namen nach ihre Interessen vertreten sollte? Gibt es da andere Ideen als jene der marktliberalen Denkfabrik Avenir Suisse, die Selbstständigen rät, ihre Pensionskassen zu plündern? Immerhin: CVP-Nationalrat Fabio Regazzi stimmte im Oktober im Parlament, einen Tag nach seiner Wahl zum neuen Verbandspräsidenten, für einen Teilerlass von Geschäftsmieten – gegen die Position seines eigenen Verbandes. Auf die Frage, ob in seinen Augen die in Aussicht gestellten Hilfskredite reichen würden, um die betroffenen Branchen zu retten, oder ob es nicht besser doch auch À-fonds-perdu-Beiträge vom Bund gäbe, meint er: «Vorläufig könnte es ausreichen. Wir haben auch diesen Frühling gesehen, dass am Ende des Tages weniger Hilfe in Anspruch genommen wurde als ursprünglich gedacht.»

Dezembersession

In der laufenden Session (30. November bis 18. Dezember) soll das Covid-19-Gesetz nachgeschärft werden. Geht es nach dem Bundesrat, soll die Hilfe für Härtefälle in zwei Tranchen fliessen: die ersten 400 Millionen Franken ab Dezember, je die Hälfte vom Bund und von den Kantonen. In einer zweiten Tranche sollen weitere 600 Millionen folgen (80 Prozent vom Bund, 20 Prozent von den Kantonen). Infrage kämen aber nur Betriebe mit einem Jahresumsatzrückgang von über 40 Prozent.

Ein weiterer Streitpunkt ist der Teilerlass von Geschäftsmieten. Diesen Entscheid hat das Parlament bereits um Monate verschleppt. Die Chancen dafür stehen schlecht.