Pop: Fresh aus dem Sarg

Nr. 51 –

Es gibt viele Tiefpunkte auf diesem Album. Einen besonders schönen formuliert Haiyti in «herzinfarkt», einem Song über eine Clubnacht am Rand des Drogentods: «Immer wenn ich in den Scherben tanz’, werd’ ich wieder unter Sternen wach.» Die Rapperin ist Meisterin darin, Glitzer und Hochgefühl so nahe am Abgrund zu balancieren, dass man nie sicher ist, ob dieses Spiel noch lustig ist. Auf «influencer», nach «SUI SUI» ihr zweites Album dieses Jahr, klingt dieser Tanz fast wie Todessehnsucht.

Alles dreht sich bei Haiyti um Geschwindigkeit: die schwarzen Autos, die durch die Nacht rasen, die unzähligen Substanzen, die wie Kraftstoffe durch ihren Körper fliessen, bis ihr im schlaflosen Delirium der Satan erscheint. Aber auch Haiytis Sprache, die, so beiläufig hingeschrieben sie oft wirkt, immer wieder unerwartet einschlägt. «Nennt mich Haiyti Legend, damit ich endlich sterben kann», rappt sie mitten im Song «zu real», und man hat das Gefühl, dass es hier auch um ein ganz klassisches Problem geht: die Rolle des Popstars als Gefängnis. Nicht nur einmal wird auf diesem Album eine berüchtigte deutsche Realityshow zitiert: «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!» Doch es gibt hier keinen Sehnsuchtsort, der Seelenheil verspricht, denn die nächste Nacht kommt bald: «Steige aus dem Sarg, mir gehts fresher denn je.»

Haiyti klang auch schon unbeschwerter. In «100 000 Fans» feierte sie 2018 in überdrehten Zeilen die anonyme Bewunderung für sie im Netz – in «100 000 feinde» vom neuen Album nun schlägt die Dynamik um, die unbekannte Masse ist plötzlich bedrohlich. Haiytis unbestreitbares Gefühl für effektvolle Popmomente und die scharf programmierten Beats geben den düsteren Gefühlen auf «influencer» immer wieder einen präzisen Ausdruck. In «tak tak» wird die Stimme so grell verzogen, dass sie kaum mehr verständlich ist – sind eigentlich auch Autotune und Co. wie eine Droge, die man überdosieren kann?

Haiyti: influencer. Hayati Musik/Warner. 2020