Coronaproteste: Kritik als Generalverdacht

Nr. 52 –

Eine Studie der Universität Basel hat die Coronaproteste unter die Lupe genommen – und liefert einen ersten Einblick in politische Vorlieben und Denkmuster einer widersprüchlichen Bewegung.

Sie nennen sich «Querdenker» oder «Corona-Rebellen», kritisieren «Mainstreammedien» oder etablierte Autoritäten und lehnen die Maske als «Symbol der Unterdrückung» ab: In den letzten Monaten ist im deutschsprachigen Raum eine kleine, aber laute Bewegung entstanden, über deren Charakter viel spekuliert wurde. Was sind das für Menschen, die sich auf den sozialen Medien vernetzen und gegen die staatlichen Massnahmen der Pandemiebekämpfung auf die Strasse gehen? Wie ticken sie politisch, welche Überzeugungen teilen sie?

Eine Art Psychogramm liefert nun eine Studie der Universität Basel, die vergangene Woche erschienen ist. Eine Gruppe rund um die SoziologInnen Oliver Nachtwey, Nadine Frei und Robert Schäfer hat sich über mehrere Wochen auf Kundgebungen in Deutschland und der Schweiz umgesehen und über 1150 Personen befragt, die in Telegram-Gruppen vernetzt sind. Die Befunde, die das Team auf rund sechzig Seiten zusammengefasst hat, sind weder repräsentativ noch abschliessend; ein erstes Bild liefern sie durchaus.

«Keine typischen Rechten»

Zwar handle es sich bei den «Corona-Kritikern» insgesamt um eine ziemlich heterogene Gruppe, schreiben die ForscherInnen. Die meisten seien aber über vierzig Jahre alt und gehörten der Mittelschicht an, das Geschlechterverhältnis auf den Demos und in den Chats sei tendenziell ausgeglichen. Sie verfügten über eine relativ gute Bildung, überraschend hoch sei zudem der Anteil Selbstständigerwerbender.

Auch erste Erkenntnisse zur politischen Verortung der Protestierenden lassen sich aus der Studie ziehen: Demnach habe rund ein Viertel bei der letzten nationalen Wahl in Deutschland die Grünen gewählt, 18 Prozent die Linkspartei, 15 die AfD, kaum eine Rolle hätten die Regierungsparteien gespielt. Bei der nächsten Wahl würde fast ein Drittel die AfD wählen. In der Schweiz sei die Bewegung relativ stark in der SVP verankert: 29 Prozent wählen sie bereits heute, was dem Niveau ihrer nationalen Stärke entspricht, künftig würden ihr sogar 46 Prozent die Stimme geben, während Rot-Grün weit abgeschlagen ist.

«Die Hälfte gibt an, noch nie auf einer Demo gewesen zu sein, viele sind also neu politisiert», sagt Oliver Nachtwey. Insgesamt sei die Bewegung aber «klar nach rechts offen». Das gebe organisierten Rechtsextremen die Möglichkeit, anzudocken. Die Protestierenden seien indes «keine typischen Rechten», würden kaum rassistisch oder sozialchauvinistisch argumentieren, so der Soziologe. Feststellen lasse sich allerdings eine gewisse «Neigung zum Antisemitismus», die sich auch durch die Bezüge zu Verschwörungserzählungen zeige.

Die Haltung der CoronakritikerInnen fasst Nachtwey so zusammen: «Viele sind eher antiautoritär und staatskritisch eingestellt, hängen alternativen Formen der Medizin an und stehen der industriellen Moderne kritisch gegenüber.» Wichtig sei aber vor allem die Erkenntnis, dass viele der Befragten sich vom politischen System entfremdet hätten, es als inadäquat zur Formulierung ihrer Interessen erachteten. «Auch wenn ich die Einschätzungen dieser Leute nicht teile: Im Grunde üben sie eine Art Sozial- und Herrschaftskritik», so der Soziologe.

Eine passive Linke

Aufgefallen ist den StudienautorInnen die Maske als zentrales Symbol. Einen Grund dafür sieht Nadine Frei nicht zuletzt darin, dass Massnahmen wie Restaurantschliessungen nicht so einfach zu boykottieren seien, auf die Maske verzichten könne man hingegen problemlos, sie eigne sich zudem gut zur Verfestigung der eigenen Identität und der entsprechenden Abgrenzung von anderen.

Robert Schäfer weist darauf hin, dass die Kritik der Interviewten oft weniger auf etwas Konkretes ziele – stattdessen bemängelten sie, dass Kritik nicht möglich sei. «Kritik erscheint als Selbstzweck», sagt er. Die Coronakrise gebe den Leuten die Möglichkeit, einen «Generalverdacht» zu äussern, einmal zu sagen, dass man eigentlich gegen alles sei – von der Wissenschaft und der Schulmedizin über die Reichen bis zur Regierung.

Eine grosse Rolle spiele dabei, dass man zum Kreis der «Erwachten» gehöre. «Es geht um die Selbstdarstellung als Kritiker – und das romantische Motiv mutiger Widerstandskämpfer», so Schäfer. Um besser eine Gemeinschaft bilden zu können, seien Emotionalität und affektive Momente bei den Kundgebungen wichtig, ergänzt Frei, die den Protest als eine Art «Happening» beschreibt. Trotz Friedensrhetorik werde dabei aber radikal zwischen «uns» und «den anderen» unterschieden.

Die Etablierung der Bewegung führt Nachtwey auch auf eine Passivität der Linken zurück. «Es gibt keine linke Artikulation für Kritik an den Massnahmen, kaum jemand steht für eine grundsätzlich andere Politik ein», beobachtet er. In dem so entstandenen Vakuum würden sich die CoronakritikerInnen breitmachen. Nachtwey sieht die Proteste denn auch als Ausdruck einer «fundamentalen Legitimationskrise der modernen Gesellschaft». Statt sich diskursiv zu entziehen und die Protestierenden «zu pathologisieren», sollte sich die Gesellschaft selbst befragen, wie solche Bewegungen entstehen könnten.

Die Studie der Uni Basel finden Sie unter https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Corona-Protestbewegu….