Ungarn: Nur ein Rädchen in Viktor Orbans Propagandamaschine

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Arpad Szöczi vermeldet auf dem ungarischen Staatssender regierungstreue Nachrichten. Bei der Deutschen Welle berichtet er meist das Gegenteil. Die Geschichte von einem, der mitmacht.

Glaubt man Arpad Szöczi und seinen KollegInnen vom ungarischen Staatsfernsehen, dann sind Berlin, Wien und Paris grosse No-go-Zonen für weisse EuropäerInnen. Überhaupt sind die Islamisierung des Abendlands und die Übernahme der Macht durch Geflüchtete in Westeuropa längst abgeschlossen. Und all dies geschieht natürlich nach einem Plan des jüdisch-ungarischen Philanthropen George Soros, der von seinem US-amerikanischen Exil aus die Europäische Union fest im Griff hat. Auch wenn die Erzählung manchmal subtiler ist, so ist die Botschaft doch klar: Die ungarische Regierung ist gut, der Rest der Welt im Zweifel böse.

Abend für Abend tragen ModeratorInnen im ungarischen Staatssender M1 die entsprechenden Meldungen und Pressemitteilungen der Regierung vor: auf Ungarisch, aber auch auf Deutsch, Russisch, Chinesisch und Englisch. Arpad Szöczi präsentiert hier abwechselnd mit KollegInnen die englischsprachige Nachrichtensendung «M1-News: Hungary Reports». Er sitzt dabei lächelnd an einem blau-weiss leuchtenden Tisch, hinter ihm ist das wuchtige Parlamentsgebäude an der Donau eingeblendet.

Szöczi ist ein kleines Rädchen in einem grossen Apparat, der Orbans sogenannte illiberale Demokratie in einem guten Licht darstellen soll. Die meiste Zeit allerdings wohnt Szöczi in Berlin und arbeitet dort für die Deutsche Welle. Die DW vermeldet meist das Gegenteil von M1. Wie passt das zusammen?

Einsatz für einen Kollegen

Arpad Szöczis Hündin Mindy bellt beim Skype-Gespräch ins Mikrofon. Szöczi entschuldigt sich, sie sei immer etwas irritiert, wenn er nicht Ungarisch spreche. Nach wenigen Augenblicken hat sich das Tier aber beruhigt, und Szöczi kann endlich in Ruhe seine Sicht der Dinge erklären. «Die Ungarn fühlen sich auf dieser Welt sehr einsam», sagt Szöczi mit seiner sonoren, beruhigend wirkenden Stimme. Das habe auch damit zu tun, dass ihre VorfahrInnen aus der heutigen Mongolei im 9. Jahrhundert nach Mitteleuropa eingewandert seien – mit einer fremden Sprache und einer anderen Kultur. «Fakt ist, dass wir Ungarn sehr oft alleingelassen wurden.» Nach dem Ersten Weltkrieg hätten die Siegermächte das damalige ungarische Staatsgebiet zerschlagen. Der Vertrag von Trianon teilte 1920 ehemals ungarische Gebiete den Nachbarstaaten zu. Das sorge bis heute dafür, dass viele UngarInnen anderen Nationen skeptisch gegenüberstünden.

Das M1-Programm ist explizit ein Nachrichtenangebot für alle ungarischsprachigen Menschen, die im Karpatenbecken leben. Am Anfang jeder Sendung begrüsst Szöczi demonstrativ alle UngarInnen in der Region. Letztlich ist es die Sehnsucht nach «Grossungarn» von Ministerpräsident Viktor Orban, die dieses Programm leitet.

Die Familie Szöczi stammt aus den ungarischsprachigen Gebieten im heutigen Rumänien. Szöczis Vater, der als ungarischer Soldat mit den Nazis kollaboriert und später gegen den Kommunismus gekämpft hatte, floh Anfang 1952 nach Kanada. Sohn Arpad wurde in Toronto geboren, wo er aufwuchs und später für das kanadische Fernsehen arbeitete. Er half im nordamerikanischen Exil, Gelder gegen die kommunistischen Diktaturen in Osteuropa zu sammeln. Nach dem Fall der Mauer zog er nach Berlin.

Seit einem Vierteljahrhundert ist Szöczi dort nun Reporter und Produzent in der Sport- und in der Nachrichtenredaktion der Deutschen Welle. Erst seit 2015 arbeitet er zusätzlich als Moderator für M1. Bei der Deutschen Welle werden Erfolgsgeschichten zur Integration von Geflüchteten in Deutschland erzählt, im Programm kommen auch kritische Analysen zur Menschenrechtslage in Mittel- und Osteuropa vor. Wie kann ein Journalist gleichzeitig für zwei so verschiedene Sender arbeiten?

«Ich bin ein unpolitischer Mensch», sagt Szöczi. Er sehe seine Aufgabe darin, Botschaften zu übermitteln. «Ich bin dabei wortwörtlich der Bote.» In seinen Moderationen bei M1 verweise er stets darauf, dass er die Standpunkte der Regierung oder die Meinung des Ministerpräsidenten vortrage. Szöczi sagt, dass seine persönliche Meinung an seinem Arbeitsplatz keine Rolle spiele. Zu dieser Einstellung passt eine andere Episode aus seinem Leben aber nicht so ganz, die KollegInnen erzählen und die auch Mails belegen: So beobachtete Szöczi in seiner Berliner Redaktion vor nicht allzu langer Zeit, wie ein Kollege regelmässig rassistische, antisemitische und sexistische Äusserungen machte. Ein Schwarzer Mitarbeiter wurde von diesem mehrfach mit dem N-Wort abgewertet. Szöczi bekam das mit und schrieb einen Protestbrief, in dem er sich vehement gegen die menschenfeindlichen Äusserungen aussprach. Der rassistische Kollege musste gehen.

Publikum soll urteilen

Auf der M1-Redaktion wiederum werden JournalistInnen angehalten, LGBTQ-feindliche und rassistische Berichte zu verfassen sowie den Klimawandel anzuzweifeln. Sie sollen besonders positiv über die Orban-Regierung berichten und George Soros angreifen. Dazu werden sie von ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt, wie Mitschnitte zeigen, die kürzlich Akos Keller-Alant veröffentlicht hat, Korrespondent für Radio Free Europe in Budapest.

Arpad Szöczi kommentiert diese Recherche mit dem Hinweis, dass er für den englischsprachigen Dienst und nicht für das ungarische Programm von M1 arbeite. Allerdings wird für den Dienst oft Material von den ungarischen Hauptnachrichten übernommen. Die ZuschauerInnen müssten am Ende selbst beurteilen, was man ihnen präsentiere. In den meisten Fällen sei das Publikum ja nicht dumm, sagt Szöczi. Er beteilige sich noch nicht mal an Wahlen, um seine neutrale Haltung zu bewahren. «Das geht vielleicht ein wenig zu weit, ich fühle mich aber besser dabei.»

Mitte November 2020 moderierte Szöczi eine zweitägige Onlinekonferenz für die «Stiftung der Freunde Ungarns». Sie gilt als wertkonservativ und Orban-freundlich. Diskutiert wird hier regelmässig mit VertreterInnen der ungarischen Regierung. Auch gern gesehen: deutsche und österreichische Wirtschaftsbosse, die Ungarn als Wirtschaftsstandort in den Himmel loben. Der Höhepunkt der Konferenz: Szöczi gibt Fragen von internationalen JournalistInnen an eingeladene MinisterInnen der Regierungspartei Fidesz weiter.

Zoltan Kovacs, Sprecher von Ministerpräsident Orban, wählt auf der Konferenz drastische Worte: «Europa begeht mit seiner Migrationspolitik Selbstmord.» Justizministerin Judit Varga, der nachgesagt wird, sie träume davon, Nachfolgerin von Orban zu werden, lässt auch keinen Zweifel an ihrer politischen Einstellung: «Rechtsstaatlichkeit ist ein ideologisches Konzept.»

Arpad Szöczi lächelt. Er fragt zwar kritisch nach dem Recht auf Asyl, der Unabhängigkeit der Justiz, Antisemitismus und LGBTQ-Rechten und Korruption im Land. Die geladenen «Freunde Ungarns» lassen sich davon aber nicht aus der Fassung bringen. Im Gegenteil. Sie nutzen die Fragen geschickt, um ihre Botschaften zu platzieren: Die ungarische Regierung ist gut, der Rest der Welt ohne Zweifel böse.