Impfstoffpatente: «Es geht nicht um möglichst viel Profit»

Nr. 7 –

Pharmafirmen klammern sich an ihre Patente, obwohl diese vor allem auf mit öffentlichen Mitteln finanzierter Forschung beruhen. Thomas Cueni, Direktor des internationalen Pharmaverbandes IFPMA, nimmt Stellung.

Thomas Cueni, Direktor IFPMA

WOZ: Herr Cueni, Sie schrieben in der «New York Times», dass auch Sie sich wegen der ungleichen Verteilung der Coronaimpfstoffe sorgten. Was tun Sie gegen diese Ungleichheit?
Thomas Cueni: Uns war als Verband bereits im Frühjahr 2020 klar, dass diese Pandemie eine internationale Zusammenarbeit nötig machen würde, um auch Entwicklungsländern den Zugang zu Impfstoff zu gewähren. Zusammen mit der WHO, der Impfallianz Gavi, der Koalition für Epidemievorbeugung Cepi und Impfstoffherstellern aus Indien gehörten wir zu den Gründungspartnern von Covax, einer Organisation, die sich um eine faire Verteilung von Covid-19-Impfstoffen bemüht.

Mit wenig Erfolg: Kanada könnte mit seinen Dosen die Bevölkerung fünf Mal impfen, siebzig ärmere Länder dagegen werden bis Ende Jahr neunzig Prozent der Menschen nicht impfen können.
Mit Ungleichheiten musste man rechnen. Aber wer hätte vor einem Jahr zu hoffen gewagt, dass wir zehn Monate nach Ausrufung der Pandemie schon mehrere sichere und hochwirksame Impfstoffe zur Verfügung haben würden? Gewiss haben die USA, Kanada, Grossbritannien oder die EU Vorverträge unterzeichnet, die ihre Länder mit der Zeit massiv überversorgen, falls alle Impfprojekte erfolgreich sind. Aber es hat noch nie eine Pandemie gegeben, in der so schnell auch für Entwicklungsländer ein Impfstoff bereitstand. Das Ziel von Covax, bis Ende 2021 zwei Milliarden Dosen zu liefern, erscheint heute realistisch. Es wird bereits in den ersten beiden Quartalen signifikante Lieferungen geben. Ich verstehe aber, dass auch der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa sagt, er wolle schon jetzt mehr Dosen, und zusätzlich bilaterale Verträge für Afrika abschliesst.

Seine Regierung fordert mit gut hundert anderen sowie vielen NGOs die Aussetzung der Impfpatente, damit auch arme Länder Zugang zu genug Impfdosen erhalten. Das nehme den Firmen den Anreiz zum Investieren, entgegnen Sie. Doch die Impfstoffe wurden grösstenteils dank öffentlicher Gelder entwickelt.
Dass wir so rasch auf Covid-19 reagieren konnten – bei Tests, Therapeutika wie auch Impfstoffen –, hat in erster Linie mit der Stärke unseres Innovationssystems zu tun. Es gibt eine Vielzahl von Biotech- und Pharmafirmen, die über die Innovationskraft und das Know-how für das Hochfahren der Produktion verfügen. Keine staatliche Behörde hätte das gleich gut geschafft. Der industrielle Durchbruch mit der neuen mRNA-Technologie wurde erst erzielt, als Firmen wie Biontech oder Moderna mit Risikokapital und Kooperationen mit grossen Pharmafirmen wie Roche oder Astra Zeneca zu forschen begannen. Das Rekordtempo in der Entwicklung von Impfstoffen haben wir aber namentlich der Risikobereitschaft der USA zu verdanken, die mit Barda über eine Behörde verfügen, die riesige klinische Studien und das Hochfahren der Produktion mancher Impfstoffhersteller mitfinanzierte. In Europa war nur Grossbritannien in ähnlicher Weise aktiv. Aber Firmen wie Pfizer, Gilead, Roche oder Lilly haben auf eigenes Risiko Milliarden in die Forschung für Tests, Impfstoffe und Therapeutika gesteckt, ohne sicher zu sein, dass sich das Risiko auszahlen würde.

Der Durchbruch der mRNA-Technologie kam bereits in den neunziger Jahren von Universitäten, weitere Schlüssel kamen von der Uni Pennsylvania und den National Institutes of Health, einer US-Behörde (vgl. «Ein Stoff, der reich macht» ). Die Firmen haben mit den Patenten vor allem dieses Wissen privatisiert.
In der Tat begann es mit Forschern, die an die Technologie glaubten; der Durchbruch wurde jedoch letztes Jahr auch mit sehr viel unternehmerischem Risiko erzielt. Der Fortschritt in der Biotechnologie gründet oft auf einem Nebeneinander von akademischer und industrieller Forschung. Die USA haben von Anfang an gesagt, dass ein Impfstoff nur mit dem industriellen Know-how privater Firmen erreicht werden könne.

Biontech stieg erst 2008, Moderna 2010 ins Geschäft ein, als der Kern der mRNA-Technologie längst bestand. Anhand öffentlicher Zahlen lässt sich schätzen, dass Biontech und Moderna bis 2019 grob 1 respektive 2 Milliarden US-Dollar in Forschung investiert haben. Nun haben sie gemäss dem Datenanalysten Airfinity für die Impfstoffentwicklung 2,7 respektive 4,2 Milliarden erhalten.*
Noch 2019 hatte Biontech im Geschäftsbericht eine Reihe von Produktkandidaten, aber nicht ein zugelassenes Produkt – dasselbe bei Moderna. Nur dank der jahrelangen Forschung und nun der Mischfinanzierung von öffentlicher Hand und Privatinvestoren gelang in der Pandemie der Durchbruch der mRNA-Technologie. Die Firma Pfizer hat bewusst auf Geld von Barda verzichtet, weil sie unabhängig bleiben wollte.

Pfizer profitierte von den 1,9 Milliarden, die die Firma Biontech erhielt, mit der Pfizer den eigenen Impfstoff entwickelte.
Was am Ende zählt: Wir haben in Rekordzeit mehrere Impfstoffe entwickelt. Das ist eine riesige Erfolgsgeschichte. Zudem haben die Firmen von Anfang an gesagt, dass sie ihre Impfstoffe während der Pandemie entweder zum Selbstkostenpreis anbieten werden oder für Entwicklungsländer tiefere Preise verlangen wollen. In der aktuellen Pandemie geht es nicht darum, möglichst viel Profit zu machen. Wenn Sie die 400 Millionen Franken, die die Schweiz für den Kauf von Impfdosen budgetiert hat, mit den übrigen Pandemiekosten vergleichen, kann man nicht sagen, dass die Firmen absahnen.

Die erwarteten Gewinne sind so gross, dass einzelne Investoren von Biontech und Moderna allein durch den Aktienanstieg mehrere Milliarden US-Dollar kassiert haben. Das ist stossend.
Die Biotechbranche ist eine Welt für sich: Investoren haben über Jahre in Biontech oder Moderna investiert, ohne je einen Gewinn zu sehen. Nun sind die Firmen zum Glück endlich erfolgreich. Zudem spricht man wenig über das Risiko des Scheiterns: Impfstoffprojekte von CSL und Merck Sharp and Dohme sind gescheitert, Sanofi ist stark im Verzug, und die Hoffnung auf einen Durchbruch bei Therapeutika hat sich bis anhin nicht bestätigt.

Wie bei den Patenten sagen Sie über die hohen Profite, sie seien die Belohnung für Investitionen. Nochmals: Der Grossteil der Forschung wurde öffentlich finanziert.
Das stimmt so einfach nicht. Die Grundlagenforschung mag öffentlich finanziert gewesen sein, doch für die Anwendung braucht es industrielles Know-how und Risikobereitschaft. Eine Aufhebung der Patente, wie sie nun gefordert wird, würde zu keiner einzigen Impfdosis mehr führen. Um einen Impfstoff herzustellen, sind unglaublich viel Know-how und entsprechende industrielle Anlagen nötig.

Wenn Sie glauben, dass mit der Aufhebung der Patente den Firmen keine Konkurrenz erwachsen würde: Warum stellen Sie sich dann gegen die Forderung der NGOs?
Die rasche Reaktion der Pharma auf die Pandemie war nur möglich, weil die Pharmaindustrie für die Forschung belohnt wird. Das Patentsystem hat zu einer weltweit unglaublich innovativen und blühenden Biotech- und Pharmaforschung geführt. Erst diese Forschungsstärke hat die Firmen in die Lage versetzt, mit der WHO und Herstellern aus Entwicklungsländern zusammenzuarbeiten. Kurzfristig würde die Aushebelung des Patentschutzes keine einzige Impfstoffdosis zusätzlich bringen. Sie wäre aber ein verheerendes Signal für innovative Firmen im Hinblick auf die nächste Pandemie.

Thomas Cueni (68) ist Generaldirektor des globalen Pharmaverbands International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations (IFPMA) in Genf. Zuvor war der Lobbyist 28 Jahre lang Generalsekretär des Schweizer Pharmaverbands Interpharma.

* Korrigendum vom 25. Februar 2021: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion steht fälschlicherweise, dass Pfizer/Biontech 1,9 Milliarden und Moderna 3 Milliarden US-Dollar von der öffentlichen Hand erhalten hätten.