Durch den Monat mit Sibel Arslan (Teil 4): Gefällt Ihnen der Roche-Turm?

Nr. 8 –

Nationalrätin Sibel Arslan fühlt sich in ihrer Heimatstadt Basel wohl – auch wenn sie an der dominanten Pharmaindustrie einiges auszusetzen hat. Ausserdem erzählt sie, weshalb Politik nicht einfach Schreibtischarbeit ist.

Sibel Arslan: «Die Pharmaindustrie hat für unseren Kanton positive und negative Seiten.»

WOZ: Sie sehen von Ihrem Fenster aus den Rhein und das Roche-Gebäude. Gefällt Ihnen die Aussicht, Frau Arslan?
Sibel Arslan: Ja, sehr. Die vorbeiziehenden Schiffe machen mich immer etwas melancholisch.

Und der Roche-Turm?
Das fertiggestellte Hochhaus erinnert mich an die Realitäten in dieser Stadt. Während ich zusehe, wie der zweite Turm heranwächst, staune ich, wozu der Mensch fähig ist.

Zu Gutem oder Schlechtem?
Das meine ich ganz wertfrei. Einfach die Tatsache, dass man aus dem Nichts so etwas erschaffen kann, ist eindrücklich. Es vermittelt ein Bewusstsein von Macht und Präsenz.

Die Macht der Pharmabranche in Basel beurteilen Sie nicht kritisch?
Die Pharmaindustrie hat für unseren Kanton positive und negative Seiten. Positiv wegen der Internationalität, der Gesundheitsversorgung und wegen der Arbeitsplätze. Aber natürlich hinterfrage ich die Rolle der Pharmariesen in der Schweiz und in der Welt. Dass unsere Industrie zum Teil versucht, den Absatz von Generika über den Patentschutz hinaus zu verhindern, finde ich inakzeptabel. Das habe ich den Vertretern dieser Konzerne auch schon persönlich gesagt.

So oft passiert das in Basel aber nicht. Vielmehr wirkt es, als hätten sich alle, inklusive der Linken, mehr oder weniger auf Stillschweigen geeinigt, weil mit den Steuereinnahmen der Pharma- und Chemiebranche politische Konflikte einfach mit Geld gelöst werden können.
Dieser Vorwurf sollte nicht an die BastA! gerichtet werden. Sie hat sowohl die Baupläne von Roche als auch von Novartis, der staatlicher Boden zu Spottpreisen verkauft wurde, mehrfach kritisiert. Ich selbst habe mich in der Vergangenheit immer wieder dafür eingesetzt, grosse Firmen stärker in die Pflicht zu nehmen, und mich etwa für die Konzernverantwortungsinitiative engagiert. Ich nehme auch regelmässig am «March against Syngenta» teil. Ihre Pestizidpolitik ist hochgefährlich.

Apropos «March against Syngenta»: Während des Frauenstreiks im vergangenen Juni wurden Sie von der Polizei abgeführt, wie der «Blick» schrieb. Was war da geschehen?
Ich war nach dem Ende der offiziellen Frauenstreikveranstaltung auf dem Theaterplatz gemütlich am Kaffeetrinken, als ich plötzlich Anrufe und SMS von mehreren Frauen erhielt, die auf der Johanniterbrücke eingekesselt waren. Unter ihnen offenbar auch Personen ohne Papiere, die nicht gewusst hatten, worauf sie sich bei der unbewilligten Demo einliessen. Die Frauen baten mich um Vermittlung mit der Polizei. Da ich den zuständigen Regierungsrat nicht erreichen konnte, stieg ich auf mein Fahrrad und fuhr hin. Meine Präsenz war wichtig, denn der Umgang der Polizei mit den Aktivistinnen war nicht korrekt: Die Art und Weise, wie PolizistInnen in Vollmontur ausgerechnet am Frauenstreik auf die Protestierenden losgingen, war eine inakzeptable Machtdemonstration. Viele Frauen waren richtiggehend traumatisiert vom Einsatz. Noch schlimmer war der anschliessende Vertrauensbruch: Den Betroffenen wurde versichert, es würden – mit Ausnahme von einzelnen Personen – keine Anzeigen erstattet. Über fünfzig Frauen erhielten im Nachgang trotzdem Strafbefehle.

Der Auftritt war aktivistischer, als man das von NationalrätInnen gewohnt ist …
Für meinen Einsatz erhielt ich viele positive Reaktionen, sogar von Ueli Maurer. Und ich halte mein Handeln damals auch nicht für sonderlich aktivistisch. Politik ist schliesslich nicht einfach Schreibtischarbeit. Wenn mich jemand anruft, der Hilfe braucht – und das kommt oft vor –, versuche ich, wo angezeigt, etwas zu tun.

Sie sind nicht die erste BastA!-Politikerin, die mit ihrer Teilnahme an Protesten Schlagzeilen machte. Wieso sind Sie ausgerechnet bei dieser Kleinstpartei gelandet? Das marxistische Erbe, die für NichtbaslerInnen unklare Abgrenzung zu den Grünen – eher ein ungewöhnlicher Ort, um eine nationale Politkarriere zu starten.
Nach meiner Einbürgerung habe ich den Frauenanteil der Parteien verglichen und mir angeschaut, wie viele Personen mit Migrationshintergrund tatsächlich gewählt werden – also nicht nur auf der Liste, sondern tatsächlich gewählt. Die BastA! hob sich in dieser Hinsicht positiv von den anderen linken Parteien ab. Und wir sind – wie alle kantonalen grünen Parteien – Teil der Grünen Partei Schweiz. Die Zusammenarbeit funktioniert meiner Meinung nach sehr gut.

Wieso wurde eigentlich nichts aus Ihrer Regierungsratskandidatur im vergangenen Herbst? Als Elisabeth Ackermann sich nach dem ersten Wahlgang zurückzog, haben die Medien Ihren Namen ins Spiel gebracht, und Sie wirkten interessiert – allerdings nur für wenige Tage.
Ich finde dieses Amt spannend und glaube, man spürt, dass ich meine Stadt liebe. Ich kann immer richtig tief durchatmen, wenn ich wieder hier bin. Innerhalb der BastA! standen geeignete Kandidatinnen zur Verfügung. Und ich habe mich entschieden, weiterhin auf nationaler Ebene tätig zu sein.

Sibel Arslan hat lange Basketball gespielt und war Schiedsrichterin. Politik erinnert sie oft an die Spiele auf dem Feld.