Im Affekt: Überall Fensterblatt in den Schaufenstern!

Nr. 12 –

Ein Spielzeugladen ist kein schlechter Ort, um den Kulturzerfall zu beobachten. Und wenn man selten dort ist, bewegt sich dieser in Sprüngen: zum Beispiel hin zu Self-Care-Barbies. Diese sind zwar genauso anorektisch dünn wie die Barbies von früher, aber sie leben den Kindern auch vor, wie man zu sich selber schaut: ein Sprudelbad nehmen, mit einem Hündchen kuscheln, meditieren.

Drückt man etwa einer «Breathe with Me»-Barbie aufs Halsband, gibt sie durch einen herzförmigen Lautsprecher in ihrem Bauch tatsächlich Instruktionen für verschiedene Meditationen von sich. Fragen über Fragen tun sich auf: Wollen Kinder überhaupt meditieren? Und das Halsband mit dem ringartigen Knopf, ist das eine BDSM-Anspielung für Erwachsene? Doch erschreckend wird es erst auf dem Schachtelinnenraum hinter der Barbie: Schon wieder eine verdammte Monstera!

Achtet man darauf, könnte man direkt paranoid werden. Vom Shoppingcenter in der Agglo bis zum Warenhaus an der Bahnhofstrasse, am liebsten in Kleiderläden, aber auch in kuratierten Altbauwohnungen oder überteuerten Cafés mit standardisierter Vintagedeko: Überall muss noch eine dieser tropischen Kletterpflanzen mit ihren riesigen, mehrfach geteilten Blättern stehen. Wegen ihrer charakteristischen Blattzwischenräume heisst die Monstera auf Deutsch übrigens «Fensterblatt». Aber wer die Sache etwas kritischer sieht, ergänzt natürlich sofort: Schaufensterblatt!

Klar, der Trend lässt sich leicht erklären. Die grosszügigen Formen der Blätter sind auf Instagram-Bildern selbst im Hintergrund noch gut erkennbar. Und eine echte Monstera ist aus der Distanz kaum von einer aus Plastik zu unterscheiden, was das Budget schont. Das liegt daran, dass die Monstera (wie übrigens auch der für Ladendekos heute ebenfalls sehr beliebte Gummibaum) eh schon ein bisschen aussieht wie aus Plastik. Aber der wichtigste Grund für den Trend ist vielleicht: Die Monstera kommt zwar aus dem Dschungel, doch ihr Design ist so aufgeräumt wie Werbeästhetik.

Gibt es bei Pflanzen eigentlich keine Stilkritik, wo der spätkapitalistische Markt sonst jede erdenkliche Ästhetik moralisiert?