Im Affekt: Sapere aude, werter Herr Joffe!

Nr. 13 –

Als woke gilt, wer sich gegen Rassismus, Sexismus und andere Formen der Erniedrigung, Ausgrenzung und Ausbeutung stellt. Falsch, findet Josef Joffe, Herausgeber der «Zeit»: Wer woke sei, attackiere «das Beste im Westen: Renaissance, Aufklärung, Liberalismus».

Interessant. Da führt einer explizit Kants «Maxime, jederzeit selbst zu denken», ins Feld, verwahrt sich aber dagegen, dass Antirassistinnen, Feministen und dergleichen woke Personen ebendies tun? Noch interessanter: Da bringt einer den Liberalismus auf die griffige Kurzformel «Das Individuum ist King», scheint aber partout nicht zu sehen, dass Schwarzen in den USA, dem laut Joffe «gelehrigsten Kind der Aufklärung», genau dieser Status als Individuum versagt wird, wenn sie vor den Lauf einer Polizeiflinte geraten?

Und erst die Renaissance! Renaissance, so Joffe, ist Mathematik. «Nicht Kirche und Krone bestimmen das Wahre, sondern Beobachtung, Berechnung und Beweisführung.» Aber wehe, wenn sich der Woke-Aktivismus dieser Instrumente bemächtigt, um mit deren Hilfe etwa über strukturellen Rassismus aufzuklären. Und so zum Beispiel zeigt, dass Weisse die Grenzen von Wahlbezirken immer wieder so verändern, dass Schwarze Mehrheiten verhindert werden. Oder mit Zahlen nachweist, dass Weisse und Schwarze zwar gleich häufig Drogen konsumieren, Schwarze aber ungleich häufiger dafür im Gefängnis landen. Dann, so Joffe (der solcherlei Beispiele natürlich meidet), wird George Orwells «Zwei plus zwei gleich fünf» zur «Richtschnur».

Solcherlei Abstrusitäten verbreitet der «Zeit»-Herausgeber selbstredend nicht im eigenen renommierten Blatt, sondern in den dafür mittlerweile einschlägig bekannten Schweizer Kulturkampfspalten. Dort, wo gleichentags auch der rechtsnationalistische deutsche Historiker Egon Flaig, der Holocaust wie Kolonialismus relativiert, behaupten durfte, die Araber hätten den Rassismus erfunden: in der NZZ. Absolut und universal gilt dort halt nur, was dem weis(s)en Ideal entspricht.

In der westlichen Welt verbreitet hat sich der Rassismus übrigens vor allem mit Immanuel Kants «Rassenhierarchie».