Kost und Logis: Bitte nicht gleich anpöbeln

Nr. 14 –

Ruth Wysseier redet ein ernstes Wort mit ihren Facebook-FreundInnen

Ihr scheint euch ja einig, liebe (meist städtische) Twitter- und Facebook-FreundInnen: Ihr werdet zweimal Ja sagen zur Trinkwasser- und zur Pestizidinitiative. Nun ja, ich will auch sauberes Trinkwasser, halte aber von dieser Initiative nicht viel. Sie schränkt nur die inländische Produktion ein, vergisst aber den Import; es ist unklar, was mit «Pestiziden» gemeint ist (ob auch die im Bioweinbau unverzichtbaren nichtsynthetischen Spritzmittel dazugehören); sie führt im dümmsten Fall dazu, dass grosse Betriebe auf Direktzahlungen verzichten, um ohne ökologische Einschränkungen günstig produzieren zu können. Bio-, Demeter- und Kleinbauernverbände scheinen diese Kritik zu teilen, jedenfalls unterstützen sie die Trinkwasserinitiative nicht.

Der zweiten Initiative, die eine Schweiz ohne synthetische Pestizide fordert, kann ich zustimmen, auch wenn ich befürchte, dass es zu einem Preiszerfall kommen wird bei einem Überangebot an Bioprodukten. Immerhin behandelt sie Importe und hier Produziertes gleich, und sie ist im Weinbau umsetzbar. Am Bielersee wird schon bald die Hälfte der Reben biologisch bewirtschaftet.

Aber, liebe FreundInnen, wenn ihr im Sommer auf dem Rebenweg dem See entlang spaziert und Menschen am Spritzen seht: Bitte nicht gleich anpöbeln, es sind wohl Bioreben, die da behandelt werden (und zwar bis zu zehnmal pro Saison), mit Kupfer, Schwefel und Pflanzenstärkungsmitteln. Oder habt ihr gedacht, Bio gehe ganz ohne Pflanzenschutz?

Fast oder ganz ohne Spritzen geht nur mit neuen robusten Sorten, die gegen Mehltau resistent sind. Auf unserem Betrieb machen sie gut zwanzig Prozent aus, schweizweit erst etwa sechs. Die Weine schmecken gut, sind aber zu wenig bekannt, die Nachfrage steigt sehr langsam. Überhaupt fehlt mir der Tatbeweis, dass den KonsumentInnen eine ökologische Landwirtschaft am Herzen liegt: Warum sonst machen Biolebensmittel nur knapp elf Prozent der Einkäufe aus? Es ist ziemlich inkonsequent, zu verlangen, dass nur noch Bio produziert wird, aber die Waren nicht zu kaufen.

Dann hätte ich noch Tipps, wie ihr helfen könnt, das Wasser sauber zu halten: Schaut mal im Putzschrank nach, welche Reinigungsmittel fischtoxisch sind (beim «Kassensturz» gibts eine Liste), und bringt sie in die Annahmestelle für Sondermüll. Und denkt dran: Wenn ihr Hormone, Drogen oder Medikamente schluckt, landen sie im Abwasser. 65 Tonnen Industrie- und Haushaltchemikalien, 20 Tonnen Arzneimittel, 20 Tonnen künstliche Lebensmittelzusätze und eine Tonne Pflanzenschutzmittel fliessen in einem Jahr den Rhein hinunter. Und eine aktuelle Greenpeace-Studie schätzt, dass der Fluss pro Tag etwa 190 Millionen Plastikkügelchen transportiert.

Nun, genug jetzt mit diesem «Ich nicht, ihr auch»! Nach einem Jahr Pandemie sollten wir uns einig sein, dass es dringend eine wirtschaftliche, ökologische und soziale Wende braucht – und diese Mammutaufgabe packen wir am besten gemeinsam an.

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee.