Rentenabbau: Die SVP geht mit dem Hammer voran

Nr. 37 –

Die SVP versteckt sich beim Rentenabbau nicht mehr hinter der FDP – und auf die soziale Ader der zerrissenen Mitte-Partei ist kein Verlass mehr. Derweil mobilisieren die Gewerkschaften am kommenden Wochenende die Strasse.

Seit die Reformvorlagen zu AHV (Rentenaltererhöhung für Frauen) und beruflicher Vorsorge (Senkung des Umwandlungssatzes) vorliegen, unterbieten die bürgerlichen Parteien mit ständig wechselnden Vorschlägen die ohnehin konservativen Kompensationsleistungen des Bundesrats. Die Rentenaltererhöhung hat das Parlament im Juni bereits verabschiedet. Am Dienstag bereinigte der Ständerat Differenzen der AHV-Vorlage und korrigierte seinen ursprünglichen Vorschlag mit sehr tiefen Kompensationen nach oben: Neun Übergangsjahrgänge sollen höhere Ausgleichszahlungen erhalten, je tiefer die Rente, desto höher fällt die Kompensation aus. Die monatlichen Kompensationen belaufen sich demnach auf 100, 170 und 240 Franken. Kosten in den nächsten zehn Jahren: 3,2 Milliarden Franken. Die kleine Kammer lehnte hingegen anders als der Nationalrat die Querfinanzierung der AHV mit Nationalbankgeldern ab. Ob die höheren Kompensationen die Vorlage retten? Die Linke und die Gewerkschaften haben bereits reagiert: Sie lehnen die Rentenaltererhöhung bei den Frauen ab.

Was das Rentenniveau insgesamt angeht, ist ohnehin die berufliche Vorsorge entscheidend. Hier sinken die Renten trotz sehr hoher Lohnbeiträge seit Jahren, weil das angesparte Kapital mittlerweile mit deutlich unter zwei Prozent verzinst wird – trotz einer Performance der Pensionskassenanlagen von mehr als vier Prozent im Schnitt der letzten zehn Jahre. Zudem haben die Kassen die Umwandlungssätze im überobligatorischen Bereich zum Teil drastisch gedrückt. Die Hälfte der RentnerInnen müssen schon heute mit insgesamt weniger als 3500 Franken im Monat auskommen, bei den Frauen liegt das mittlere Renteneinkommen bei gerade mal 2900 Franken. Not täte eine Erhöhung der Renten.

Feuerwerk von Abbauvorschlägen

Besonders FDP und SVP wollen das Rentenniveau dennoch weiter verschlechtern – und zwar erheblich. Mit einem Feuerwerk von Vorschlägen attackieren sie und ihre zugewandten Orte – etwa der Gewerbeverband oder die bürgerlichen Jungparteien – die Pensionskassenvorlage. Setzen sich diese Kräfte durch, werden die Renten aus der beruflichen Vorsorge besonders für GeringverdienerInnen bloss noch ein besseres Trinkgeld sein.

Der Bundesrat hat den Sozialpartnerkompromiss zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaften aus dem Jahr 2019 in die Vorlage übernommen. Er sieht unter anderem vor, dass der gesetzlich festgeschriebene Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent sinkt, dafür zunächst fünfzehn Übergangsjahrgänge lebenslang monatliche Kompensationszahlungen zwischen 100 und 200 Franken erhalten. Die Kompensationen finanzieren soll ein halbes Lohnprozent. Dieses solidarische Umlageelement ist für Bürgerliche des Teufels.

Der Kompromiss hat im Parlament keine Mehrheit, auch wegen der in sozialen Fragen desorientierten Mitte-Partei. Selbst der in solchen Angelegenheiten gewöhnlich auf Ausgleich bedachte Parteipräsident Gerhard Pfister gibt dem Sozialpartnerkompromiss im Parlament keine Chance. Mehrere Anfragen der WOZ dazu liess er unbeantwortet. Neu ist auch, dass die SVP mittlerweile an vorderster Front Rentensenkungen anstrebt – und damit einmal mehr gegen die eigene Wählerschaft politisiert. Zwei SVP-Parlamentarier sind federführend beim Rentenabbau. Der Baselbieter Nationalrat Thomas de Courten, als Verwaltungsrat der Gewerbekasse Asga ein Mann der Pensionskassen, überrumpelte nach der Sommerpause die Mitglieder der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N) mit einem radikalen Vorschlag: De Courten möchte nicht nur Kompensationen für sehr wenige Versicherte. Die Erwerbstätigen sollen diese Kompensationen via Lohnabzug auch selber finanzieren, ohne Beiträge der Arbeitgeber. Mit diesem Vorschlag würden die Renten um 12 Prozent sinken. Die Kommission lässt derzeit die Auswirkungen von der Bundesverwaltung berechnen und hat einen Entscheid vertagt.

Die Allianzen der Rentenfeinde

Das zweite Gesicht des Abbaus ist der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht. Er treibt an vorderster Front die Rentenaltererhöhung für die Frauen voran. Auch er ist als Stiftungsratspräsident der Anlagestiftung Pensimo AG ein bezahlter Lobbyist. Das sind nicht die einzigen Attacken vonseiten der Bürgerlichen. So verlangt etwa der Pensionskassenverband Asip die Senkung des Umwandlungssatzes auf 5,8 Prozent – angeblich ohne Rentenverschlechterungen. Die Kompensationen würden die Pensionskassen dann schon selber bezahlen. Woher haben sie das Geld? Offenbar haben sie in den Jahren der Rentensenkungen zu hohe Reserven angehäuft – statt sie an die Versicherten weiterzugeben. Dann gibt es eine Allianz aus Baumeistern, Banken und Detailhandel, die einen ähnlichen Vorschlag präsentiert. Der Verein Faire Vorsorge ist besonders radikal unterwegs: Wegfall von Hinterlassenenrenten, Koordinationsabzug, Mindestumwandlungssatz und Mindestzins. Dann gibt es da noch die Initiative «Vorsorge Ja – aber fair», ein «Konzept Deprez» und ein «gemeinsames Konzept der bürgerlichen Jungparteien». Banken und Versicherungen dürfen sich die Hände reiben.

«Die Versicherungen haben sich vorläufig bei der BVG-Reform auf der ganzen Linie durchgesetzt», sagt Gewerkschaftsbundpräsident und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard, «aber es scheint, dass die bürgerlichen Parteien nicht ganz wissen, wie es weitergeht.» Banken und Versicherungen hätten den «historischen» Sozialpartnerkompromiss von Anfang an bekämpft. «Sie wollen kein Umlageelement in der beruflichen Vorsorge, für die ist das eine rein ideologische Frage», sagt Maillard. Für ihn ist klar: Wenn die Bürgerlichen eine rasche Senkung des Umwandlungssatzes wollten, brauche es Kompensationen, also eine solidarische Komponente. Die Renten seien ohnehin zu tief.

In der Altersvorsorge sei es zu einem bürgerlichen Schulterschluss gekommen. Auch die Mitte habe sich da eingereiht. Dass nun die SVP sogar den Lead beim Abbau übernehme, sei neu. Dieser Schuss, sagt Maillard, gehe nach hinten los. Er erinnert sich an die Forderung des früheren FDP-Bundesrats Pascal Couchepin, der Rentenalter 67 forderte. «Bei den nächsten Wahlen verloren die Freisinnigen Wähler an die SVP. Das könnte jetzt auch der SVP selbst passieren.» Allerdings stehen Linke und Gewerkschaften in Bern ziemlich isoliert da. Daher rufen die Gewerkschaften nun zu einer Demonstration am Samstag in Bern auf und suchen den Schulterschluss mit der Bevölkerung. Die AHV, sagt Pierre-Yves Maillard, sei neben der Gründung der modernen Schweiz von 1848 der zweite wichtige Pfeiler der Schweizer Identität. Die Altersvorsorge wurde 1948, genau hundert Jahre später, gegründet. «Geben wir diese Errungenschaft preis, ist die Schweiz danach nicht mehr die Schweiz, wie wir sie kennen. Wir müssen daher entschlossen für sie kämpfen.»