Ein Traum der Welt: Vertrauen dank Kritik

Nr. 41 –

Annette Hug zum Friedensnobelpreis von Maria Ressa

Der Anruf aus Oslo erreichte die philippinische Journalistin Maria Ressa in einer Veranstaltung. Thema war der enger werdende Spielraum für freie Medien in Südostasien. Die Diskussion fand nicht live statt, in Manila ist wegen Corona immer noch alles nur online. Im Inselstaat zeigt sich eine Erkenntnis dieser Pandemie mit besonderer Schärfe: Vertrauen in staatliche Institutionen ist ein hohes Gut. Wenn eine satte Mehrheit der Bevölkerung öffentlichen Verlautbarungen und Zahlen grundsätzlich misstraut, helfen auch militärische Patrouillen auf den Strassen nichts. Die landesweite Impfkampagne kommt zwar voran, aber Lockerungen sind in Manila noch immer nicht in Sicht, die Situation in den Spitälern bleibt prekär.

Im November 2020 zeigte das Zürcher Human Rights Film Festival den Film «A Thousand Cuts» – ein Porträt der Onlineplattform Rappler, die Maria Ressa mitbegründet hat. Im Anschluss an die Vorführung war aus Manila Carlos Conde von Human Rights Watch Philippines zugeschaltet. Er strich heraus, dass die Unterdrückung freier Medien im Moment gerade besonders empfindlich zu spüren sei. Während Rappler zahlreiche kostspielige Gerichtsverfahren überstanden hatte, musste eine der grössten Fernsehsenderketten, ABS/CBN, nach einem politisch motivierten Angriff auf ihre Konzession vom Netz gehen. Mit einem fatalen Effekt während der Tropenstürme jenes Novembers 2020: Im Unterschied zu Rappler sendete ABS/CBN nämlich nicht auf Englisch, sondern in der Landessprache Filipino und in verschiedenen Regionalsprachen. Für die Katastrophenvorsorge war die Kette ein entscheidendes Medium – von simplen Wetterwarnungen bis zur Mitkoordination der chaotisch wirkenden, aber oft sehr effektiven lokalen Hilfsaktionen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Abwesenheit von ABS/CBN auch in der Pandemiebekämpfung zu spüren ist.

Dass Rappler trotz seiner kritischen Recherchen bisher überlebt hat, ist nicht zuletzt dem Geschäftsmodell zu verdanken. Wie der zweite Friedensnobelpreisträger, der russische Journalist Dmitri Muratow, sichert auch Maria Ressa bezahlte Stellen für Dutzende von Journalist:innen. Das ist möglich dank einer Art Abonnement. Rappler bewirtschaftet aber auch ausgiebig die Adressen der Leser:innen, macht Product Placement und lädt zu kommerziellen Umfragen ein.

Aus den Sympathien für das Lager des ehemaligen Präsidenten Benigno Aquino III. macht die Plattform keinen Hehl. Dass Maria Ressa den Nobelpreis in einem pinken Schal kommentierte, kam also nicht überraschend. Wenige Tage vor dem Anruf aus Oslo hatte Leni Robredo, die von Präsident Rodrigo Duterte kaltgestellte Vizepräsidentin, ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen im Mai 2022 registriert. Als Farbe ihres Wahlkampfs verkündete sie Pink. Worauf sich die links-liberal-christlich-sozialen Bereiche der sozialen Medien in ein Meer von Pink verwandelten. Leise regt sich die Hoffnung, dass es im nächsten Frühling zu einer Wende kommen könnte. Dass die nächsten Monate aber hart werden, wurde bereits am Tag nach dem Nobelpreis klar. Schon dominierte die Nachricht, dass Chito Gascon, Präsident der staatlichen Menschenrechtskommission, die auch polizeiliche Erschiessungskommandos untersucht, am 9. Oktober 57-jährig an Covid-19 gestorben ist.

Annette Hug ist Autorin in Zürich. Als zahlendes Mitglied von «Rappler Plus» erhält sie spezielle wöchentliche Einschätzungen und Einladungen zu Onlinediskussionen mit den Redaktor:innen der Plattform.