Auf allen Kanälen: Viertelgares Konzept

Nr. 46 –

Eine Anti-woke-Universität im rechtskonservativen Texas gründen, um den Liberalismus zu retten? Eine irre Idee, die viel zu viel Publizität bekommt.

Die grossen US-amerikanischen Universitäten seien von Zensur und Cancel Culture zerfressen, freie Rede und offene Debatte kaum noch möglich, behauptete Anfang November Pano Kanelos, ehemaliger Präsident des elitären St. John’s College. Deshalb sehe er sich quasi gezwungen, eine eigene Institution aufzubauen. Zu den Mitinitiator:innen dieser «University of Austin» gehören der Psychologieprofessor Steven Pinker, die Autorin Ayaan Hirsi Ali und die Kolumnistin Bari Weiss – also ein Bestsellerautor, der seine Message gern übermässig vereinfacht, eine politische Aktivistin, die auch schon den Islam als «nihilistischen Todeskult» bezeichnet hat, und eine konservative Kolumnistin, die sich bei der «New York Times» selber gecancelt hat.

Perfides Kalkül

Die University of Austin ist bislang weder als Universität zugelassen, noch gibt es einen Campus, noch kann man sich als Student:in für einen akademischen Abschluss einschreiben. Was die «Universität» intellektuell bieten will, ist auch nicht wirklich klar. Statt eines Lehrplans findet man auf der Website nur Floskeln: Es geht um die «Suche nach der Wahrheit»; angekündigt sind «verbotene Kurse», in denen die «provokativsten Fragen» unserer Zeit diskutiert werden sollen. Man verschreibt sich lautstark dem Liberalismus, scheint aber kaum zu wissen, was das bedeuten soll – ausser natürlich, gegen Wokeness, Cancel Culture oder Identitätspolitik zu sein.

Auf Twitter sorgte dieses viertelgare Konzept der University of Austin für eine Welle der Aufmerksamkeit; manche (auch der Autor dieser Zeilen) echauffierten oder mokierten sich darüber, schrieben Artikel und nahmen Podcasts auf. Auch die «NZZ am Sonntag» berichtete gross. Sie alle taten damit erst einmal den Gründer:innen einen grossen Gefallen, indem sie dem Projekt eine funktionelle Relevanz verpassten: Solange sich genug Menschen über dich aufregen – das ist das so einfache wie langweilige wie erfolgreiche Prinzip –, ist zumindest sichergestellt, dass genug weitere Menschen von dir hören; und je mehr Menschen von dir hören, desto grösser ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich einige ernsthaft für dich interessieren.

Wenn Bari Weiss also verkündet: «Wir sind es leid, uns darüber zu beschweren, wie kaputt das Hochschulwesen ist. Also haben wir beschlossen, etwas dagegen zu tun», stimmt das so natürlich nicht. Denn sie und ihre Kolleg:innen sind es mit Sicherheit nicht leid, sich zu beschweren. Die Beschwerde und Klage, das als Rebellentum verkleidete Selbstmitleid, die Inszenierung als Opfer linker Illiberalität – all das ist die Hauptenergiequelle solcher Projekte.

Ob die Gründer:innen der University of Austin am Ende genug Spenden erhalten, um ihre Idee in die Tat umzusetzen, ist noch offen. Möglich scheint es, schaut man sich an, wie gut die Plattformen, Publikationen und Initiativen der rechtsliberalen Anti-woke-Fraktion laufen. Die Verdammung einer linken Cancel Culture hat sich als ein lohnendes Geschäft entpuppt.

Totengräber der Demokratie

Eigentlich würde es ja nicht an Gründen mangeln, sich in Texas mit einem liberalen Projekt anzusiedeln. Erst kürzlich erliess Greg Abbott, der reaktionäre Gouverneur des Staats, ein Gesetz, das Abtreibungen nahezu grundsätzlich verbietet und auf perfide Weise dazu ermutigt, dem Verbot auch zivilgesellschaftlich zur Durchsetzung zu verhelfen, indem man Betroffene und deren Helfer:innen denunziert. Auch das Wahlrecht ist in Texas in den vergangenen Jahren immer restriktiver geworden, und die Auseinandersetzung mit Rassismus in den Schulen des Südstaats ist mittlerweile stark eingegrenzt.

Doch um all diese demokratisch bedenklichen und zutiefst illiberalen Entwicklungen geht es den Gründer:innen der University of Austin nicht – im Gegenteil. Die Gefahr kommt von links, darauf hat man sich offenbar geeinigt, und der Eindruck erhärtet sich, dass es Kanelos, Bari und Co. mit ihrem Schrumpfliberalismus weniger um die Rettung der Demokratie geht als um die Etablierung neuer Safe Spaces für Bessergestellte. Die vielleicht grösste Herausforderung liegt darin, sich von all diesem Geschwurbel nicht bestimmen zu lassen. So, wie die Anti-woke-Kämpfer:innen die Welt um sich ignorieren, sollte man es mit ihnen machen.