Abstimmung Stempelsteuer: Der grosse Dividendenregen

Nr. 2 –

Um mitten in der Coronakrise die Stempelsteuer abzuschaffen, behaupten die SVP und die bürgerlichen Parteien, es handle sich dabei um eine «KMU-Steuer». In Wahrheit wäre die Abschaffung eine Milliardensubvention für Multis, deren Dividenden seit Jahren steigen.

Eine Abschaffung der Stempelsteuer würde kleinen und mittleren Unternehmen kaum etwas bringen – fett profitieren würden allein die grossen Konzerne.

Vor Abstimmungen nehmen es einige mit der Wahrheit nicht immer so genau. So auch die Befürworter:innen einer Teilabschaffung der Stempelsteuer, die im Hinblick auf den bevorstehenden Urnengang kürzlich in Bern ihre Kampagne lancierten: SVP-Nationalrat Lars Guggisberg behauptete, bei der Steuer handle es sich um eine «KMU-Steuer», von der er die Kleinen befreien wolle.

Guggisberg und seine Mitstreiter:innen aus FDP, Mitte und GLP wissen, dass ein Steuergeschenk an Grosskonzerne nach zwei Jahren Coronakrise auf wenig Verständnis stossen dürfte. Das legt auch die jüngste SRG-Umfrage nahe, laut der eine Mehrheit ein Nein einlegen will. Viele Betriebe haben gelitten, die Einkommen der Ärmsten sind laut Statistiken gegenüber 2019 um ein Fünftel eingebrochen, zudem hat sich der Bund mit rund 30 Milliarden Franken verschuldet. Demgegenüber konnten die börsenkotierten Firmen ihre Dividenden selbst 2020 weiter steigern – und auch für 2021 wird ein neuer Rekord erwartet. Das Vermögen der 300 Reichsten ist laut «Bilanz» um 120 Milliarden gewachsen.

Wie will man da für weitere Steuersenkungen werben, die die Allgemeinheit jährlich eine Viertelmilliarde kosten würden? Und dies, während selbst der sonst eher unpolitische ETH-Ökonom Jan Egbert-Sturm eine Coronasteuer für Profiteure vorgeschlagen hat? Der Kampfbegriff der «KMU-Steuer», von der angeblich die kleinen Betriebe entlastet werden sollen, soll es richten.

Die wahren Nutzniesser

Eine absichtliche Irreführung der Stimmbevölkerung. Wer die Quelle der KMU-Behauptung sucht, landet bei einem Papier des Wirtschaftsverbands Economiesuisse – der Lobbyorganisation der Grosskonzerne. Ihre Rechnung: Firmen bezahlen die Emissionsabgabe (jener Teil der Stempelabgabe, der abgeschafft werden soll), wenn sie Aktien herausgeben, um so Eigenkapital aufzunehmen. 89 Prozent der Firmen, die letztes Jahr von der Steuer betroffen waren, nahmen maximal 10 Millionen Franken auf. Das, so der implizite Schluss, seien allesamt KMUs.

Allerdings sind es die restlichen 11 Prozent Grossunternehmen, die 156 der 192 Millionen Franken bezahlt haben, die der Bund einnahm. Weitere 37 Millionen kamen von Unternehmen, die (abzüglich eines Freibetrags von einer Million) zwischen 1 und 10 Millionen aufnahmen. Anders als Economiesuisse behauptet, dürften darunter auch Grossfirmen gewesen sein.

Laufend mehr Dividenden (grosse Ansicht der Grafik) Quelle: Refinitiv; Grafik: WOZ

Für wirklich kleine Betriebe ist die Abgabe (1 Prozent) extrem tief. Konkret: Betriebe, die bis zu 1 Million Franken aufnahmen, haben gerade einmal 6 der 192 Millionen bezahlt. Im Schnitt waren es pro Betrieb 4100 Franken, was über zehn Jahre gerechnet lediglich 410 Franken ausmacht. Die riesige Mehrheit der KMUs wird die Steuer aufgrund der vom Parlament 2005 eingeführten Freigrenze gar nie bezahlen: 90 Prozent der KMUs sind Kleinstfirmen, die diese Schwelle kaum je überschreiten werden. Wie mehrere KMU-Vertreter der WOZ bestätigen, ist die Stempelsteuer unter KMUler:innen kaum ein Thema.

Dass es die Grosskonzerne sind, die von einer Abschaffung profitierten, hat der Bundesrat 2005 bestätigt: Als der damalige FDP-Nationalrat und spätere Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer die Abschaffung vorschlug, begründete FDP-Finanzminister Rudolf Merz seine Ablehnung wie folgt: «Die Nutzniesser wären in erster Linie bei den multinationalen Unternehmen, den Banken, Versicherungen und Holdinggesellschaften zu suchen, nicht aber bei den KMUs.»

Maurers rote Kurve

Entsprechend versuchte SVP-Finanzminister Ueli Maurer kürzlich vor den Medien gar nicht erst, den Anschein zu erwecken, dass es ihm um die KMUs gehe. Der Bundesrat war 2013 zu den Befürwortern umgeschwenkt und wollte die Abschaffung der Emissionsabgabe in die Unternehmenssteuerreform III packen, was die Parlamentsmehrheit verhinderte («um das Fuder nicht zu überladen»).

Maurer versuchte vielmehr zu beweisen, dass die Steuersenkungen für Multis der letzten zwanzig Jahre zu mehr Steuereinnahmen geführt haben – wozu er eine kletternde rote Kurve an die Wand projizierte. Schlaumeier Maurer unterschlug, dass mit steigendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) logischerweise auch die Steuereinnahmen steigen sollten. Allerdings ist es tatsächlich so, dass die schweizweiten Gewinnsteuern mit 94 Prozent stärker gewachsen sind als das BIP (50 Prozent). Die Schweiz hat derart viele Konzerne angelockt, dass die Ausfälle der Steuersenkungen kompensiert wurden. Diese «Erfolgsgeschichte», so Maurer, solle fortgeführt werden.

Sinkende Kantonseinnahmen

Es ist eine Vogel-Strauss-Politik: Die Schweiz hat mit ihrer Steuerpolitik anderen Ländern über Jahre Abermilliarden an Steuereinnahmen geraubt, was dort zu riesigen Schuldenbergen beigetragen hat. Nun, da sich die OECD-Länder seit einiger Zeit mit globalen Steuerregeln und eigenen Steuersenkungen wehren, geht die Schweiz mit ihren Steuersätzen immer weiter nach unten. Doch die Rechnung geht immer weniger auf. Es ist wohl kein Zufall, dass Ueli Maurer für seine rote Kurve allein die Einnahmen des Bundes berücksichtigte: In etlichen Kantonen sind die Einnahmen trotz BIP-Wachstum seit Jahren stagnierend, in Luzern sind sie seit 2006 regelrecht eingebrochen.

Mit der aktuellen OECD-Reform, die eine globale Mindeststeuer vorsieht, begründet Maurer nun auch die Abschaffung der Emissionsabgabe. Und dies, obwohl er eingestehen musste, dass er noch keine Ahnung habe, welche Konsequenzen die Reform für die Schweiz haben werde. Maurer: «Im Moment tappen wir hier leider noch völlig im Dunkeln.»

Die grossen Gewinner:innen der zahlreichen Steuersenkungen sind die zehn Prozent Reichsten, denen drei Viertel der in Schweizer Besitz befindlichen Aktien gehören. Wie Zahlen zeigen, die die WOZ vom Londoner Datenprovider Refinitiv erhalten hat, sind die Dividendenzahlungen der zwölf Konzerne, die seit 2002 ununterbrochen im Swiss Market Index (SMI) sind, ihrerseits um unglaubliche 234 Prozent gewachsen – von 10,3 auf 34,4 Milliarden Franken (vgl. Grafik weiter oben). Die milliardenhohen Aktienrückkäufe der Konzerne, von denen die Aktionär:innen in letzter Zeit profitiert haben, sind da noch nicht eingerechnet.

Das könnte erst der Anfang sein

Mit der Abschaffung der Emissionsabgabe würden die Aktionär:innen mit einer weiteren Viertelmilliarde Franken subventioniert. Und das könnte erst der Anfang sein: Bis letzten September wollte die Parlamentsmehrheit auch die zwei übrigen Stempelsteuern abschaffen (Umsatzabgabe und Versicherungsabgabe). Zwei Tage nachdem bekannt geworden war, dass das Referendum von SP, Grünen und Gewerkschaften gegen die Emissionsabgabe zustande gekommen war, zog sie ihren Plan zurück. Dieser sollte offenbar im Abstimmungskampf nicht zur Bürde werden. Maurer fügte nebenbei allerdings an, dass die übrigen Stempelsteuern «zu einem späteren Zeitpunkt» in Angriff genommen werden könnten. Dies wäre eine weitere Subvention in Höhe von zwei Milliarden Franken.