Vor den Wahlen: Wird Zürich die linkste Stadt der Schweiz?

Nr. 3 –

Sie wollen Zürich klimafreundlich umbauen und die Wohnungskrise stoppen. Drei bewegungsnahe rot-grüne Kandidat:innen könnten die Stadt nachhaltig verändern.

Linke Verstärkung für den Zürcher Stadtrat: Dominik Waser (Grüne), Simone Brander (SP) und Walter Angst (AL) beim Limmatplatz.

In den kommenden zwei Jahrzehnten setzt der rot-grüne Zürcher Stadtrat, unterstützt vom Gemeindeparlament, auf einen Totalumbau der Stadt. Während nach Schätzungen die Bevölkerungszahl um ein Viertel steigen wird, soll die Stadt gleichzeitig ihren CO2-Ausstoss auf netto null reduzieren.

Vor diesem Hintergrund wählt am 13. Februar die städtische Bevölkerung Parlament und Regierung neu. Lange glaubte kaum jemand an grosse Veränderungen, da aus dem Stadtrat nur der links-alternative Richard Wolff nicht mehr zur Wiederwahl antritt. Dass die acht Bisherigen – drei Sozialdemokrat:innen, zwei Grüne, ein Vertreter der GLP und zwei der FDP – wiedergewählt würden, galt als ausgemacht.

Doch es könnte zu einer Überraschung kommen – wie auch eine neue Umfrage des «Tages-Anzeigers» zeigt. Denn aus dem links-grünen Spektrum treten drei neue Kandidat:innen an, die alle das Zeug haben, über ihre Partei hinaus viele zusätzliche Wähler:innen zu mobilisieren und so der schwächelnden FDP einen oder gar zwei Sitze abzujagen.

Geschäftsmodell nicht nachhaltig

Die Alternative Liste (AL) will ihren Sitz mit Walter Angst verteidigen, der seit 2002 im Stadtparlament sitzt. Der Sechzigjährige ist bestens vernetzt: Der ausgebildete Lehrer und frühere Redaktor der PdA-Zeitung «Vorwärts» war lange zentrale Figur im 1.-Mai-Komitee, Mitbegründer der Menschenrechtsorganisation Augenauf und aktiv in der Antiglobalisierungsbewegung. Seit 2009 ist er Sprecher des Mieterinnen- und Mieterverbands. Zum «Geschäftsmodell» Zürich sagt er: «Zürich geht es nicht zuletzt wegen der hier ansässigen Banken und Versicherungen, der grossen IT-Firmen und der Immobilienwirtschaft finanziell sehr gut. Das führt aber auch zu Widersprüchen.»

Angst erkennt an, dass die Stadt versucht, die Wirtschaft zu diversifizieren: «Zentral dafür sind der Ausbau der Kitas und der Umbau der Volksschule zu einer Tagesschule.» Mindestens so wichtig ist ihm jedoch die «Stärkung des Gemeindesozialismus», also der Betriebe der Stadtverwaltung. So brauche es bessere Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal. Kürzlich überraschte Angst allerdings, als er sich im Gemeinderat gegen eine Verdopplung eines Coronasonderbonus für das Spitalpersonal einsetzte, wie es SP und Grüne gefordert hatten. «Ich will strukturelle Reformen und nicht einfach Wahlgeschenke verteilen. Auch in Zürich ist Geld endlich», begründet er seine Haltung.

Kämpferisch zeigt sich Angst auch, wenn es um die Wohnpolitik geht. Die Stadt habe gegenüber der immer aggressiver auftretenden Immobilienwirtschaft «Beisshemmungen». Der Anteil gemeinnütziger Wohnungsbauten stagniert dagegen. Die Folge: Leute mit tiefen Einkommen werden aus der Stadt verdrängt. Angst will dafür sorgen, dass erst vor vierzig Jahren erstellte Wohnhäuser nicht mehr abgerissen werden dürfen. Subventionen für energetische Sanierungen sollen nur ausbezahlt werden, wenn Eigentümer:innen auf Wohnungskündigungen verzichten. Nicht zuletzt soll die Zahl der gemeinnützigen Alterswohnungen stark erhöht werden. Dazu hat Angst kürzlich zusammen mit anderen eine Volksinitiative eingereicht.

Velostadt Bern als Vorbild

Auch die neue SP-Kandidatin Simone Brander macht sich im Wahlkampf für günstigen Wohnraum stark: «Die Mieten haben sich in den letzten zwanzig Jahren fast verdoppelt. Die Stadt muss daher mehr Wohnraum selber kaufen», sagt sie. Die SP sammelt derzeit Unterschriften für eine Volksinitiative, damit die Stadt jährlich 500 Wohnungen erwirbt. Dem Argument, dass die Stadt damit selbst noch den Preiskampf antreibt, hält Brander entgegen, dass die Wohnungen dann ja der Spekulation entzogen würden.

Kernthemen der 44-jährigen Umweltwissenschaftlerin Brander sind der Verkehr und das Klima. Von 2007 bis 2020 arbeitete sie im Bundesamt für Energie, seit 2021 beim Kanton Aargau im Bereich erneuerbare Energien. Vergangenes Jahr wurde Brander vom Bezirksgericht Zürich zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt, weil sie als Sprecherin des Vereins Umverkehr an einer illegalen Veloaktion teilgenommen hatte. Brander engagiert sich auch im Fussgängerverein.

Das Thema Verkehr ist in Zürich ein Dauerbrenner: Trotz dreissig Jahren rot-grüner Regierung ist die Bevölkerung mit den für Velofahrer:innen herrschenden Bedingungen in der Stadt äusserst unzufrieden, wie eine jüngst publizierte Umfrage ergab. Auch die vielen Velodemos und Critical-Mass-Fahrten zeugen davon. «In der Vergangenheit fehlte der Wille, den Autos Platz wegzunehmen», sagt Brander. Vieles sei nun gesetzlich in die Wege geleitet, damit es besser werden könnte, jetzt gehe es ans Umsetzen. «Wenn man es anpacken will, geht es», ist sie überzeugt und verweist auf die Stadt Bern, wo in den letzten Jahren im grossen Stil Velospuren verbreitert wurden.

Junge Generation muss mitreden

Die Kandidatur des Grünen Dominik Waser haben zu Beginn viele als Jux angesehen. Doch der 24-jährige Landschaftsgärtner verfügt dank seiner vielfältigen Engagements über ein gutes Kontaktnetz und jede Menge Glaubwürdigkeit. Waser ist Aktivist der Klimastreikbewegung und Mitgründer des Vereins Landwirtschaft mit Zukunft. Er setzte sich an vorderster Stelle für die Initiative gegen synthetische Pestizide ein. Als Kämpfer gegen Foodwaste gründete er 2019 eine Firma, die Gemüse verkauft, das nicht den Schönheitsidealen der Grossverteiler entspricht. Ausserdem verkörpert Waser eine neue Generation: «Derzeit ist im Stadtrat niemand unter 46. Junge sind nicht vertreten, obwohl Entscheide gefällt werden, die ihre Leben noch lange konkret betreffen. Das muss sich ändern.»

Waser propagiert wie die Klimabewegung netto null bis 2030 und fordert damit, dass die Stadt ihre beschlossenen Klimaziele verschärft. Sie habe eine «historische Verantwortung». Der Stadtrat will Zürich bis 2040 auf netto null bringen und auch die indirekten Emissionen, die durch den Konsum der Bevölkerung entstehen, reduzieren. Der Gemeinderat hatte dieses Ziel kürzlich noch etwas zugespitzt. Doch für Waser ist auch das noch zu wenig: «Zürich verfügt über riesige finanzielle Mittel. Doch die Verantwortlichen getrauen sich zu wenig und sind nicht bereit, über das derzeit scheinbar ‹Realistische› hinauszugehen.» Für Waser geht es auch darum, die gesellschaftlichen Konsummuster zu ändern. «Wir müssen zeigen, dass ein gutes Leben für alle möglich ist, ohne alles kaputt zu machen.» So will er etwa kommerzielle Werbung im öffentlichen Raum einschränken.

Angst, Brander, Waser: Wenn die links-grün orientierte Wähler:innenschaft die Wahlvorschläge ihrer Parteien beherzigt, könnten alle gewählt werden. Zürich würde so die linkste Stadt der Schweiz – und die Chance würde damit steigen, dass die grossen Pläne Zürichs auch tatsächlich umgesetzt werden.