Kunst: Auf leisen Sohlen zum Widerstand

Nr. 8 –

Protest ist kein Schaumbad: Evan Ifekoya beschwört im Zürcher Migros-Museum die Heilkräfte der Kunst und führt dabei den Modebegriff der Self-Care auf dessen aktivistische Ursprünge zurück.

Eingangsbereich des Migros-Museums in Zürich: Die mehrstimmigen Gesänge, die aus den Räumen schallen, sind so mysteriös wie der Saaltext zur Ausstellung «Resonant Frequencies» von Evan Ifekoya. Um Heilung, Self-Care und kollektives Bewusstsein durch Tonfrequenzen und Vibrationen soll es gehen, so viel wird verraten. Ein Heilungsprozess durch Kunst?

Bevor dieser allenfalls beginnen kann, müssen wir unsere Schuhe am Eingang zurücklassen. Dann tapsen wir in Socken über die Türschwelle, und ein leises «Pffffft» erklingt. Von der Decke rieselt eine Duftmischung auf die Köpfe: «Lavendel, Eukalyptus und Bayleaf», verrät der:die Künstler:in über die selbstzubereitete Mischung. So wandeln die nun wohlriechenden Besucher:innen in eine Installation mit dem Namen «The Welcome». Sie besteht aus einem begehbaren Hexagon, konstruiert aus farbigen Plexiglasscheiben. In der Mitte der Installation schimmert eine runde Wasserfläche, «Die Sonne» genannt, ihre Oberfläche vibriert – eine zeremonielle Wandelhalle?

Die wechselnde Lichtstimmung, die mehrschichtige Klanginstallation und die Duftüberreste im Raum: Das alles fügt sich zu einer komplexen Gesamterfahrung zusammen, die auch das Potenzial zu überfordern birgt. Bevor die Sinneseindrücke zu viel werden, ist ein Aufenthalt im zweiten Hexagon der Ausstellung empfohlen. Hier finden sich zwei Massagematten am Boden, und wer sich darauf hinlegt, spürt es unter dem Rücken summen. Richten wir dann den Blick zur Decke, sehen wir in einem runden Spiegel in die eigenen Augen. Unausweichliche Selbstreflexion, das wird durch diese Konfrontation bestimmt erlebt. Was aber hat es mit der Heilung auf sich?

Von wegen Luxus

Die Antwort darauf findet sich nicht so direkt wie das eigene Gesicht im Deckenspiegel. Die auf Sockeln platzierten Instrumente und die tiefen Klänge, die unablässig durch den Raum schallen, zeigen in die Richtung einer möglichen Antwort: Klang ist in den Werken von Evan Ifekoya zentral. Die Hörer:innen sollen durch Klangkompositionen in andere Bewusstseinszustände versetzt werden. Ifekoya lässt dazu Frequenzen wie 174 Hertz erklingen, die zu einem Entspannungs- und Ruhezustand im Gehirn führen und in der ganzen Ausstellung genutzt werden.

Was wie eine künstlerisch inspirierte Meditationspraxis klingt, hat Wurzeln im afroamerikanischen Civil Rights Movement sowie in Praktiken der feministischen Aktivist:innen der sechziger und der achtziger Jahre. Die in der Ausstellung aufgegriffenen Begriffe von «Heilung» und «Self-Care» finden dort ihren aktivistischen Ursprung, jenseits einer konsumgeprägten Kauf-dir-Räucherstäbchen-und-nimm-ein-Schaumbad-Mentalität. Die Schwarze feministische Aktivistin und Poetin Audre Lorde machte das 1988 in ihrem Essay «A Burst of Light» deutlich: «Mich um mich selber zu kümmern, ist kein Luxus, es ist Selbsterhaltung, und das ist ein politischer Kampfakt.» Bevor die Selbstfürsorge käuflich wurde, ein Konsumakt in der kapitalistischen Gesellschaft, war sie also als feministischer Gegenentwurf und als Widerstandsakt des afroamerikanischen Civil Rights Movement gedacht. Wenn nämlich Menschen sich dort um sich selber kümmern, wo sie von der Gesellschaft in der Regel vernachlässigt werden, ist das an sich schon ein Protest.

Jenseits von Wellness

An diese Denkart und Philosophie knüpfen nun auch die «Resonant Frequencies» im Migros-Museum an. Evan Ifekoya, geboren 1988 in Nigeria und heute in London lebend, hat hier einen Raum entworfen, der uns zwingt, innezuhalten, hinzuhören, zu riechen – und der uns auf einer summenden Massagematte auf unser Spiegelbild zurückwirft. Eine Gegenbewegung zur Hektik unseres Alltags, ein Widerstandsraum, der uns durch Klänge bestenfalls zur Ruhe bringt – eine Ruhe, die ja gerade deshalb auch ein Hauptprodukt des boomenden Wellness- und Spiritualitätsmarkts ist, weil sie in der Leistungsgesellschaft Mangelware ist.

Dabei gelingt es der Ausstellung, sich von dieser Welt abzugrenzen, obwohl sie sich derselben Utensilien wie die Spiritualitätscommunity bedient: Duftnebel, Klangkomposition und Farbschemata, Symbole wie Sonne, Mond und regenbogenfarbene Hexagone – die Ästhetik bewegt sich an der Grenze zum Esokitsch. Wenn Ifekoya diese dennoch nie überschreitet, dann nicht zuletzt deshalb, weil keine Yogi-Tee-Anweisungen bereitgestellt, sondern die Besucher:innen weitgehend sich selber überlassen werden. Diese Konzeption bedingt aber auch, dass die Nachricht der Ausstellung verstanden wird, ohne dass sie erklärt wird: Das Gefühlserlebnis soll für sich sprechen.

Wahrscheinlich funktioniert das nicht für alle. Aber ein Akt der Heilung ist so oder so durch die Repräsentation von Evan Ifekoya selbst gegeben: Dass nonbinäre People of Color eine Einzelausstellung in der Schweiz erhalten und einen Raum kreieren, in dem sich Mitglieder von einer der am stärksten diskriminierten Gesellschaftsgruppen wohlfühlen sollen, das passiert hier vielleicht zum ersten Mal. Und in Socken und nach Lavendel riechend durch den durchgestylt-sterilen Kunstpalast des Löwenbräu-Areals zu schlendern, ist auch ein Akt des Widerstands, selbst wenn man sonst vielleicht auf einer anderen Frequenz als die Ausstellung schwingt.

Evan Ifekoya: «Resonant Frequencies». Bis 1. Mai 2022 im Migros-Museum, Zürich.